FPÖ-Nationalratsabgeordnete Petra Steger kann sich die Häme nicht verkneifen. “Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz hat das Rennen zur korruptesten Person des Jahres knapp verpasst!”, schreibt sie auf Facebook. “Dennoch befindet er sich gemeinsam mit den Machthabern von Weißrussland, Afghanistan, Syrien und der Türkei in den Top 5. Weit hat es die ÖVP gebracht… 🤦🏻‍♂️”.

Steger bezieht sich auf einen neuen Bericht des “Organized Crime and Corruption Reporting Project” (Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption, kurz OCCRP), das Kurz zu einem der korruptesten Politiker des Jahres 2021 ernannt hat.

PS: Petra Steger hat ihr Posting nach Veröffentlichung dieses Artikels gelöscht, anscheinend weil es ihr peinlich war.

Bei OCCRP handelt es sich um eine Enthüllungsplattform und ein Netzwerk von Journalisten-Organisationen aus verschiedenen Ländern. Zitat von der Homepage: “Durch den Aufbau und die Ausrüstung eines globalen Netzwerks von investigativen Journalisten und die Veröffentlichung ihrer Geschichten deckt OCCRP Verbrechen und Korruption auf, damit die Öffentlichkeit die Machthaber zur Rechenschaft ziehen kann.”

"Ibiza"-Aufdecker freut sich über die Nennung von Kurz

Hocherfreut über das OCCRP-Ranking ist auch der mehrfach ausgezeichnete Investigativ-Journalist Bastian Obermayer. Im Jahr 2019 hat Obermayer mit seiner Berichterstattung den “Ibiza”-Skandal mitausgelöst, er ist darüber hinaus Co-Autor des Buchs “Die Ibiza-Affäre – Innenansichten eines Skandals”. Gerne teilt der Pulitzer-Preis-Gewinner nun den OCCRP-Tweet unter Verweis auf “Österreich”:

Was Obermayer wie Steger entgangen sein dürfte: Der sechsköpfigen Jury aus hochkarätigen Investigativ-Journalisten und Wissenschaftlern aus aller Welt ist ein mehr als peinlicher Recherchefehler unterlaufen. Sie hat Kurz bei der Auflistung als Parteiobmann der FPÖ bezeichnet. Er soll sogar auf Ibiza gewesen sein. Es kommt noch besser: Mit Kurz’ Obmannschaft bei der FPÖ und dem Ibiza-Skandal wurde Kurz’ Reihung überhaupt erst begründet. Ein Skandal, in den Kurz überhaupt nicht involviert war, führte zu seiner Aufnahme unter die fünf Finalisten – unter insgesamt 1167 Nominierten.

Wörtlich hieß es auf der Homepage: “Kurz führte die österreichische FPÖ an, deren Mitglieder in einem Undercover-Video erwischt wurden, in dem einer Person, die sich als Verwandter eines russischen Geschäftsmanns ausgab, Regierungsverträge im Austausch für positive Berichterstattung versprochen wurden.”

Screenshot vom 27. Dezember 2021

Als sogenanntem “Ibiza-Aufdecker” sollte Bastian Obermayer eigentlich nicht entgangen sein, dass Kurz ÖVP-Chef war und – nach jetzigem Wissensstand – keineswegs zu jenem ominösen Ibiza-Treffen gereist ist. (Falls es Obermayer tatsächlich nicht wissen sollte, müsste er womöglich noch sein Buch umschreiben. . .)

Und auch Petra Steger blendet offensichtlich den Anlass für die Aufnahme von Kurz in die Reihe der fünf korruptesten Politiker aus. Denn dass ausgerechnet Ibiza und Kurz’ FPÖ-Obmannschaft der Grund dafür sind, kann nur schwer in Sinne der FPÖ-Nationalratsabgeordneten sein.

Kurz bleibt auf Platz 5 – mit anderer Begründung

Die hochkarätige Jury hat den Fehler mittlerweile ausgebessert. Nun ist dort zu lesen: “Kurz war Chef der regierenden ÖVP, die, gemeinsam mit neun anderen Politikern und Journalisten, der Unterschlagung und Bestechung beschuldigt wird.” Wohlgemerkt: Anders als etwa gegen den ehemaligen Grünen-Politiker Christoph Chorherr wurde gegen Kurz noch nicht einmal eine Anklage erhoben. Zurzeit laufen nur Ermittlungen. Da war doch was, Unschuldsvermutung…..!?

Nichtsdestotrotz hat sich das investigative Netzwerk nicht veranlasst gesehen, an der Reihung etwas zu ändern. Erst war es Ibiza, nun sind es die mutmaßlich manipulierten Beinschab-Umfragen, die Kurz’ Aufnahme in der “erlauchten” Liste begründen. Der ehemalige, demokratisch gewählte Bundeskanzler Österreichs befindet sich in einer Reihe mit Diktatoren, von denen manche zivilen Widerstand gegen ihre Regime mit Brutalität niedergeschlagen haben, darunter der syrische Diktator Baschar al-Assad, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der afghanische Staatspräsident Mohammad Aschraf Ghani und auf Platz eins Alexander Lukaschenko, der Präsident von Weißrussland.

Übrigens: Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass die sechsköpfige Jury ihre Entscheidung einstimmig getroffen hat.

Putin, Orban, Salvini waren schon im Fokus von OCCRP

Das investigative Netzwerk knöpft sich ansonsten primär Politiker vor, zu denen teilweise gerade die FPÖ ein gutes Verhältnis pflegt. Im Jahr 2014 erhielt etwa der russische Präsident Wladimir Putin die “Auszeichnung”. Ansonsten hat die Plattform auch schon öfters den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban kritisiert oder den ehemaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini.

Für manche FPÖler pikant: Die Juroren sind in verschiedenen Konsortien des Investigativen Journalismus tätig, die von der Open Society Foundations des US-Investors George Soros finanziell unterstützt werden. Soros ist eine umstrittene Persönlichkeit, um die sich auch fragwürdige Verschwörungstheorien ranken.