Botschafter Li Xiaosi: „China zusammenzuhalten, ist nicht leicht“
China hat sich in den letzten Jahren zu einer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht entwickelt. Das facettenreiche Land zählt zu den wichtigsten Handelspartnern Österreichs und verfolgt einen eigenwilligen Weg. Grund genug mit dem chinesischen Botschafter Li Xiaosi über seine Arbeit in Österreich, Chinas Sicht auf die Welt und die politischen Ziele des Landes zu sprechen.
Herr Botschafter, Sie vertreten seit sechs Jahren in Österreich ein Land so groß wie die EU mit 1,4 Milliarden Einwohnern. Sie selbst haben eine sehr vielseitige Karriere hinter sich. Sie waren im Ministerium für Post und Telekommunikation beschäftigt, wechselten in das Außenministerium und waren seit damals in verschiedenen Ländern aktiv. Seit Oktober 2016 sind Sie Botschafter in Österreich. Wie würden Sie einem Chinesen Österreich beschreiben?
Ich habe sehr viele positive Eindrücke. Österreich ist nicht nur ein schönes Land, sondern auch Vorbild in vielerlei Hinsicht, wenn man die Entwicklung des Landes betrachtet. Die glänzende Kulturgeschichte reicht weit zurück und wirtschaftlich ist das Land hochentwickelt. Die Landschaft ist wunderschön und die Menschen sehr freundlich. Aber ich glaube, wir – Österreich und China – sollten noch intensiver zusammenarbeiten. Wir können unsere Beziehungen, unser gegenseitiges Verständnis weiter vertiefen.
Wo sehen Sie Potential?
In erster Linie bei der gegenseitigen Wahrnehmung, dem gegenseitigen Verständnis. China und Österreich liegen weit voneinander entfernt. Viele Österreicher waren bereits in China, viele noch nicht. Diese kennen China hauptsächlich durch die Zeitung, das Fernsehen oder vom Hörensagen. Das Bild über China ist da oftmals nicht so umfassend oder tiefgehend. So plädiere ich für noch engere Kontakte zwischen den beiden Ländern. Damit wir uns noch besser kennenlernen und verstehen.
Menschen, die in China gelebt haben, sprechen oft bewundernd über die Entwicklung dieses Landes und wie konsequent Ziele verfolgt werden. Medienberichte über China sind sehr oft kritisch. Ist das öffentliche Bild verbesserungswürdig?
Europa, Österreich und China sind ganz unterschiedlich. In der Geschichte, der Kultur, der politischen und gesellschaftlichen Systeme. Dass wir deshalb ab und an unterschiedliche Sichtweisen haben, ist ganz normal. Ich glaube die Kritik in Europa gegenüber China muss man genau analysieren. Ein Grund ist, dass man hier China nicht so gut kennt, ich kann deshalb manche Kritik durchaus gut verstehen. Allerdings versuchen auch manche mit Absicht Chinas Entwicklung, unser System und damit unseren Weg schwarz zu malen. Ich kann solche Kritik oder Vorwürfe nicht verstehen. In China sagen wir: „Einmal sehen ist besser als hundertmal hören“. Damit meine ich, es ist wichtig China zu kennen, bevor man sich eine Meinung bildet. Deshalb werbe ich dafür, dass die Kontakte auf allen Ebenen und in allen Bereichen intensiviert werden. Politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.
In Österreich leben rund 30 000 Chinesen. Mit welchen Wünschen wenden sich diese an Sie?
Ungefähr die Hälfte davon besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft. Mein Eindruck ist, dass sich nahezu alle sehr gut in die österreichische Gesellschaft integrieren. Viele haben hier geheiratet, sie betreiben Restaurants oder arbeiten im Forschungsbereich. Sie sind gerne hier, den Österreich ist ja sehr lebenswert. Aber natürlich sind diesen Menschen auch die bilateralen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern wichtig, sonst würden sie in eine Zwickmühle geraten, da sie sich beiden Ländern verbunden fühlen. Manchmal ärgern sie sich über einseitige Berichterstattung in Medien oder Diskriminierung in der Gesellschaft. Das kommt allerdings nur sehr selten vor.
Vor 15 Jahren war die wirtschaftliche Zusammenarbeit noch sehr gering, ich erinnere mich an die Planungen eines Techno Towers (Link) in Wien. Heute sind chinesische Firmen auch in Österreich präsent. Wie unterstützen Sie Unternehmen, die hier geschäftlich tätig sind.
Die Herzen der Chinesen hier in Österreich schlagen sowohl für Österreicher also auch für China. Diese Menschen haben also eine Brückenfunktion zwischen beiden Ländern, sind oftmals mit Verwandten oder Freunden in der Heimat in Kontakt. Sie machen auch Geschäfte dort und fördern dadurch die Handelsbeziehungen zwischen China und Österreich. Sie spielen eine wichtige und positive Rolle für das gegenseitige Verständnis. Deshalb ist eine der Hauptaufgaben der chinesischen Botschaft die legitimen Rechte von chinesischen Staatsbürgern hier in Österreich zu schützen, ihre Interessen zu vertreten. Wir haben hier über 40 chinesische Unternehmen, wie etwa Huawei, FACC oder die Hochgeschwindigkeitszüge produzierende CRRC. In diesen Unternehmen arbeiten sehr viele Österreicher, manchmal sind Teile des Managements aus China. Wir erwarten von allen, dass sie die österreichischen Gesetze streng einhalten, etwa auf die Mitarbeitersicherheit oder eine saubere Produktion achten. Auch sie tragen eine gesellschaftliche Verantwortung, denn wir wollen ein gutes Verhältnis zwischen China und Österreich.
Gerade im Wirtschaftsbereich gibt es immer wieder Reibungspunkte zwischen China und den USA, die auch in Europa spürbar sind. Haben Sie die neue amerikanische Botschafterin, Frau Kennedy, schon willkommen geheißen?
Ich habe gelesen, dass sie mittlerweile in Wien angekommen ist, aber ich habe sie noch nicht persönlich gesehen oder getroffen. Wir werden Gelegenheit haben, zusammenzukommen. Aufgrund Omikron müssen wir aber mit persönlichen Kontakten noch sehr vorsichtig sein.
Die US-Regierung fokussiert ihre Außenpolitik seit einiger Zeit auf China. Also weniger Europa, mehr Asien. Letztendlich betrifft dieser Fokus auch alle chinesischen Aktivitäten in Europa. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
USA und China sind wichtige Staaten in der Welt. Beide sind permanente Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Die USA sind das größte entwickelte Land, China ist das größte Entwicklungsland. Die USA sind die größte, China die zweitgrößte Volkswirtschaft. Wenn beide gut zusammenarbeiten, wird das beiden Völkern nützen und im Interesse der ganzen Welt sein. Wenn wir miteinander streiten, dann wird das beiden schaden und auch nicht im Interesse der anderen Länder sein. Deswegen sind wir immer für gegenseitigen Respekt, friedliche Koexistenz und guter Zusammenarbeit. Die USA wollen ihren Status als stärkstes Land der Welt aufrechterhalten. Es ist weder unsere Absicht noch unser Ziel die USA zu überholen. Unser wichtigstes Ziel ist, das Lebens unserer Bevölkerung zu verbessern. Es geht uns um unser Recht, uns weiterzuentwickeln. Die USA versuchen das umfassend zu stören und einzudämmend. Damit meine ich Handelseinschränkungen, technologischer Boykott, Unterbrechung der akademischen Kontakte und auch militärische Provokationen in unserer Umgebung. Die USA versuchen anti-chinesische Allianzen zu schmieden, um unsere Entwicklung zu stören. Wir wollen ein friedliches internationales Umfeld, denn für unsere Wirtschaftsentwicklung brauchen wir Stabilität in China und auch in der Welt. Deswegen verfolgen wir immer eine Außenpolitik des Friedens. Aber natürlich nehmen wir auch unser legitimes Interesse wahr, unsere Souveränität, territoriale Integrität und Entwicklung zu verteidigen.
Die EU ist ein Partner der USA. Wie nehmen Sie die Eigenständigkeit der Europäischen Union bei außenpolitischen Entscheidungen hinsichtlich China wahr?
Alle Länder stehen vor vielen gemeinsamen Herausforderungen. Handel, Pandemie, Terrorismus und so weiter. Wir sitzen gemeinsam in einem großen Boot, nicht in vielen kleinen Booten. Deshalb müssen wir zusammenarbeiten, um die globalen Herausforderungen bewältigen zu können. Deswegen sind wir gegen Blockpolitik, wir wollen Dialog statt Konfrontation. Deswegen sind wir dagegen, dass die USA im Pazifik oder sonst wo auf der Welt Bündnisse gegen China schmieden. Wir haben seit vielen Jahrzehnten ein gutes Verhältnis zu den europäischen Ländern. In der Vergangenheit haben sich die Beziehungen dank beider Seiten gut entwickelt. Europa und China sind große Märkte, starke politische Kräfte in der Welt, wichtige Handelspartner und auch Partner bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen. Unser Interesse ist, ein starkes, einiges Europa. Europa und die USA haben natürlich gemeinsame politische Systeme. Das soll sich aber nicht gegen einen dritten Staat richten. Wir brauchen in erster Linie Frieden, Harmonie und Zusammenarbeit in der Welt. Nicht Gegensätze, Konflikte und Konfrontationen.
Sie meinen, die unterschiedlichen politische Systeme belasten das Klima zwischen China und Europa?
Wir haben grundsätzlich eine gute Kooperation mit Europa. Aber leider befinden sich derzeit die Beziehungen zwischen China und der EU an einem Tiefpunkt. Europa sollte China auch verstehen. China kann das politische System Europas nicht kopieren. Wir lernen von anderen recht fleißig, auch von deren politischen Systemen. Aber wir können das nicht 100-prozentig übernehmen. Das würde zu Chaos, zu Bürgerkrieg in China führen. Wir gehen also einen Weg, der zu den chinesischen Verhältnissen passt. Wir haben Unterschiede in Menschenrechten und Demokratie. Das ist normal. Aber das soll kein Hindernis für die gute und stabile Entwicklung unserer Zusammenarbeit sein. Man sollte China objektiv, umfassend betrachten und auch die Entwicklungsabsicht erkennen. Denn wenn man auf die Entwicklung Chinas blickt, sind riesige Fortschritte sichtbar, auch in menschenrechtlicher Hinsicht. China wird sich auch immer weiter verbessern, in allen Aspekten. Dafür brauchen wir gegenseitigen Respekt und eine gewinnbringende Zusammenarbeit für die EU und China. Beide sind wichtige Handelspartner. Dass es zu Handelskonflikten kommt, ist auch ganz normal. Wir sollten nur nicht die Beziehungen abbrechen, sondern uns zusammensetzen, um diese Konflikte zu lösen. Das heißt: Dialog statt Konflikt.
Harmonie und Zusammenarbeit dürften mit Russland besser funktionieren. Das Handelsvolumen zwischen China und Russland liegt erstmals deutlich über 100 Milliarden US-Dollar. Ist das eine neue Freundschaft?
Wir haben eine gute strategische Partnerschaft mit Russland. Das ist verständlich, denn wir haben die längste gemeinsame Landesgrenze. In der Geschichte waren die Beziehungen sehr turbulent, es ging auf und ab. Aber seit mehr als 30 Jahren haben sich die Beziehungen sehr gut entwickelt. Wir haben viele Gemeinsamkeiten in zahlreichen wichtigen internationalen Fragen. Und wir sind wichtige Handelspartner. Russland ist ein wichtiger Energielieferant für China und importiert auch viele Produkte aus China. Im UN-Sicherheitsrat haben wir bei vielen wichtigen internationalen Themen, beispielsweise bei der iranischen Nuklearfrage oder bei globalen strategischen Sicherheitsfragen oft gemeinsame Berührungspunkte. Und wir beide teilen auch die Vorbehalte gegen die Hegemonie und die Machtpolitik der USA.
Über Russland nähern wir uns Deutschland. Die neue deutsche Außenministerin Baerbock wird die olympischen Spiele in China persönlich boykottieren und nicht zur Eröffnungsfeier kommen. Haben Sie aus Österreich schon eine Rückmeldung bekommen?
Aus Österreich gab es keine negative Meldung betreffend die olympischen Winterspiele in Peking. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit. In der Vorbereitung der Winterspiele haben 20 chinesische Skimannschaften, in Summe etwa 400 Sportler in Österreich trainiert, mit österreichischen Betreuern. Viele österreichische Trainer und Experten arbeiten seit einigen Jahren in China, um Chinas Wintersport zu unterstützen. Ich bin auch mit dem österreichischen olympischen Komitee in Kontakt, sie alle haben ihre Unterstützung für die olympischen Winterspiele zum Ausdruck gebracht. Österreichs Unternehmen sind ebenfalls sehr erfolgreich am chinesischen Wintersportmarkt aktiv. Beispielsweise beim Bau von Wintersportanlagen.
Europas Unternehmen sind derzeit von der Lieferkettenproblematik betroffen. Wie lange wird diese, ihrer Einschätzung nach, noch bestehen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Lieferkettenprobleme mit dem Ende der Pandemie verschwinden werden. Trotz Corona sind zwischen China und Europa im vergangenen Jahr 15 000-mal Güterzüge gefahren. Der weitere Ausbau dieser landgebundenen Infrastruktur ist jedenfalls wichtig.
Die Neue Seidenstraße? (Link)
Ja. Diese umfasst mehrere Aspekte, wie etwa Handelserleichterungen, finanzielle Unterstützung, Ausbau der Infrastruktur, Verbesserung der Kontakte. Wir sind hier in einem sehr guten Kontakt mit Österreich. Der Bundespräsident und der damalige Bundeskanzler waren schon zu Besuch in China. Es wurde eine freundliche, strategische Partnerschaft entwickelt, das Handelsvolumen steigt stetig, erreichte im letzten Jahr einen neuen Rekord. Tausende österreichische Unternehmen sind mittlerweile in China tätig. Die Bank of China und andere Unternehmen sind nach Österreich gekommen. Auch das ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit im Rahmen der Neuen Seidenstraße. 2019 gab es 1,3 Millionen chinesische Touristen in Österreich. Leider wirkt im Moment die Pandemie bremsend.
China hat in den letzten Jahren rasant an politischer, militärischer, wirtschaftlicher und technologischer Bedeutung gewonnen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
China hat insbesondere seit der Einführung der Politik der Reform und Öffnung große Erfolge erzielt. Wesentlich dabei ist die Verwirklichung des Ziels eines bescheidenen Wohlstands. Über 800 Millionen Menschen wurden aus der Armut geholt. Aktuell besteht die Mittelschicht aus mehr als 400 Millionen Menschen. Auf Innovationen wie die Hochgeschwindigkeitsbahn, der Ausbau der Seehäfen und der Aufbau von Flughäfen sind wir besonders stolz. Auch auf unsere Wissenschaft und Technologie, die Forschungen rund um künstliche Intelligenz sowie automatisches Fahren. Man muss aber verstehen, dass China sehr komplex ist. Wir sind das größte Entwicklungsland der Welt. Unser BIP/Kopf ist immer noch sehr niedrig im Vergleich zu Europa oder den USA. Eine Milliarde Chinesen sind noch nie mit dem Flugzeug geflogen. Wir haben noch viel zu tun. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und uns auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung konzentrieren. Es ist auch richtig, dass unsere Verteidigungsfähigkeit verbessert wurde. Allerdings haben wir nie ein anderes Land angegriffen und wir haben das auch nicht vor. Wir wollen unsere Souveränität und Sicherheit verteidigen können, das ist unser Ziel.
Das bedeutet der diesjährige 20. Parteitag steht im Lichte der Erhöhung des Wohlstandes im Land?
In den vergangenen Jahrzehnten wuchs die chinesische Wirtschaft rasant. Wir achteten auf das quantitative Wachstum. Seit den letzten fünf Jahren achten wir stärker auf das qualitative Wachstum. Wir achten noch mehr auf den Umweltschutz und insbesondere den Ausbau des gemeinsamen Wohlstands. Darin liegt auch der Sinn des Sozialismus.
Wohlstand als Konzept für den inneren Frieden?
China ist sehr komplex. Es ist flächenmäßig so groß wie Europa, in China leben 1,4 Milliarden Menschen. Es gibt 56 Nationalitäten, 55 sind Minderheiten und wir haben auch Unterschiede zwischen Regionen, Stadt und Land, Reich und Arm. China zusammenzuhalten, ist nicht leicht. Da brauchen wir eine starke Führung. Das ist auch das Geheimnis der chinesischen Entwicklung. Eine starke Führung, die nicht willkürlich regiert. Alle Bevölkerungsgruppen sollen an einem Strang ziehen. Wir brauchen auch ständige Reformen und Öffnung nach außen. Und wir brauchen eine friedliche Entwicklung.
Für Entwicklung benötigt man Energie. China ist auch im Segment der Atomkraft entwicklungstechnisch aktiv. Was bedeutet Atomenergie für China?
Ich weiß, Österreich ist gegen Atomenergie. China hat einen sehr ambitionierten Klimaplan. Wir wollen 2030 den Wendepunkt und 2060 die Klimaneutralität erreichen. Die Kohle spielte bisher bei der Energieversorgung in China traditionell eine wichtige Rolle. Wir setzen jetzt auf Wind, Solar, Wasser und natürlich auch Atomenergie. Wir sind der Meinung, dass die neue Atomtechnologie sauber und sicher ist. Aus dem Grund benützen wir auch eine sehr fortgeschrittene Atomtechnologie.
Sie persönlich werden heuer 60 Jahre alt. Sie haben einmal gemeint, Konfuzius sagt „Mit 50 war mir das Gesetz des Himmels kund.“ Was sagt Konfuzius mit 60?
(lacht) Mit 60 kann man ein freies Leben führen, ohne die Grenze zu überschreiten.
Herr Botschafter, vielen Dank für Ihre Zeit.
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