In den Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und NEOS sind diese ein zentrales Thema. Was ist ein solches Defizitverfahren, was würde es für Österreich bedeuten und welche Alternativen gibt es? Ein Überblick.

Die EU-Regeln für Finanzpolitik sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) festgelegt. Er wurde 1997 geschlossen, heuer reformiert und soll solide öffentliche Finanzen garantieren. Laut den Maastricht-Kriterien dürfen Mitgliedsstaaten nicht über einem Budgetdefizit von 3,0 Prozent bzw. einer Staatsschuldenquote von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen. Jüngste Daten zeigen Österreich jeweils deutlich darüber. Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) erwartet 2024 eine Neuverschuldung von 3,7 Prozent, für 2025 rechnet sie mit 4,1 Prozent. Die Schuldenquote lag zuletzt bei rund 80 Prozent.

Neue Regeln lassen Staaten länger Zeit

Der SWP setzt sich aus einem sogenannten präventiven und einem korrektiven Arm zusammen. Der präventive Teil soll insbesondere Etatdisziplin und damit vorsorglich die Vermeidung übermäßiger Defizite gewährleisten. Liegt dennoch ein übermäßiges Defizit in einem Mitgliedstaat vor, setzt der korrektive Arm an. Dieser kann die Muskeln spielen lassen: Bei übermäßiger Verschuldung kann ein Defizitverfahren eingeleitet werden, das exzessive Staatsschulden abbauen soll.

Für dieses Verfahren erstellt die EU-Kommission einen Bericht, in dem sie das übermäßige Defizit feststellt. Dann gibt die Kommission dem betroffenen Land einen Weg vor, wie die Verschuldung abzubauen ist. Mit dem erneuerten SWP haben die Staaten nun länger Zeit, um Schulden und Defizit zu senken, nämlich maximal sieben statt bisher vier Jahre. Außerdem werden bestimmte Budgetposten herausgerechnet, etwa die Verteidigungsausgaben vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. Werden die Anforderungen nicht erfüllt, können Sanktionen verhängt werden.

Finale Budgetzahlen stehen noch aus

EU-Kommission und Österreichs Koalitionsverhandler wollen die aktualisierten EU-Zahlen abwarten, die in den nächsten Tagen übermittelt werden. Bis Ende des Jahres hat Österreich aufgrund der im September stattgefundenen Nationalratswahl Zeit bekommen, einen Budgetplan einzureichen. Die Entscheidung über ein Defizitverfahren gibt es frühestens beim Treffen der Wirtschafts- und Finanzministerinnen und -minister im Jänner.

Bei den Gesprächen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS geht es u.a. darum, ob ein solches Verfahren nicht auch Vorteile hätte. Andreas Schieder, EU-Parlamentarier der SPÖ, hatte zuletzt für diesen Weg plädiert. “Es wäre gescheit, das Verfahren zur Anwendung zu bringen, weil es wesentliche Erleichterungen im Konsolidierungsprozess mit sich bringen würde”, sagte er zur “Presse”. Laut Schieder würde sich “der Konsolidierungsbedarf damit massiv verringern”. Die Rede ist von mindestens 15 Milliarden Euro Einsparungsbedarf. Ohne ein Defizitverfahren würde die Summe wohl 20 Mrd. übersteigen.

ÖVP und NEOS wohl dagegen

Die Regierungsverhandler müssten sich dann auf strengere Maßnahmen einigen. Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller betonte am Freitag im “Kurier” den geringeren Konsolidierungsbedarf bei einem Defizitverfahren: “Das ist insbesondere für das kommende Jahr relevant.” Andererseits könne dieser Weg einen Reputationsverlust für Österreich bedeuten. Es gebe also Vor- und Nachteile bei beiden Optionen.

ÖVP und NEOS sind tendenziell gegen die Einleitung des EU-Defizitverfahrens. Knackpunkt für eine Koalition ist wohl eine Einigung in dieser Frage. Auch die Höhe der Einsparungen muss festgelegt werden. Finanzminister Gunter Mayr hatte kürzlich betont, Österreich werde alles daransetzen, ein Defizitverfahren zu vermeiden. Allerdings bleibe es den “Regierungsverhandlern vorbehalten, die Maßnahmen dann auch zu fixieren”.  (APA/red)