Kanzler ohne Partei? Das große Schweigen in der ÖVP
Turbulente Zeiten für die ÖVP: Die Umfragewerte rasseln stetig bergab, beinahe jede Wahl wird verloren und die Kritik der Basis an den Koalitionsverhandlungen mit der Babler-SPÖ wird immer lauter. Die Parteispitze schweigt und hält weiter an ihren Entscheidungen und Karl Nehammer fest – doch wie lange noch?
Karl Nehammer hat schon bessere Zeiten erlebt. Ende 2021 übernahm der bislang als Innenminister tätige Nehammer nicht nur die ÖVP, sondern auch den Posten des Bundeskanzlers. Als physisch starker Mann sollte Nehammer die Volkspartei nach innerparteilichen Turbulenzen und medialem Trubel wieder mit ruhiger und sicherer Hand anführen und auf der von Sebastian Kurz erarbeiteten Erfolgswelle weitersegeln. So der Plan.
Drei Jahre später sieht die Bilanz allerdings ganz anders aus. Wahlen werden am laufenden Band verloren, die FPÖ hat der Volkspartei den ersten Platz abgerungen und die Umfragewerte der ÖVP rasseln in den Keller. Dieses Wochenende ist besonders schlimm für Nehammer und sein Team: Gleich drei Zeitungen veröffentlichten ihre jeweils an verschiedene Institute in Auftrag gegebenen Umfragen. Das Ergebnis war allerdings immer das gleiche: Die FPÖ rangiert bei 34 bis 35 Prozent uneinholbar auf Platz eins, die ÖVP teilt sich weit abgeschlagen den zweiten Platz mit der SPÖ, bei einigen Umfragen fällt sie sogar hinter diese zurück. Eine ausführliche Analyse der aktuellen Umfragen gibt es übrigens am Montag, 9. Dezember auf exxpressTV um 8:30 Uhr.
Die schicksalshafte 20 Prozentgrenze
Angesichts der aktuellen Umfragen erstaunt das große Schweigen in der ÖVP. Andere Bundesparteiobmänner mussten bei ähnlichen Umfragewerten bereits den Hut nehmen – man erinnere sich zum Beispiel an Josef Pröll oder Reinhold Mitterlehner. Beide Obmänner wurden gegangen als sie sich der magischen zwanzig Prozentgrenze näherten, Mitterlehner ist in einigen Umfragen sogar unter zwanzig Prozent gefallen. Viel fehlt der Volkspartei aktuell auf ein Mitterlehner-Niveau nicht mehr: In der exxpress-Umfrage, durchgeführt vom Meinungsinstitut INSA, liegt die ÖVP derzeit bei 21 Prozent. Doch an eine Notbremsung denkt in der Lichtenfelsgasse niemand. Zur Erinnerung: Sebastian Kurz wurde zum Rücktritt gedrängt als die ÖVP im Oktober 2021 unter 28 Prozent fiel.
Aber wer sollte Karl Nehammer auch nachfolgen? Die Personaldecke der Volkspartei ist äußerst dünn. Die lange als einzig logische Nachfolgerin gehandelte Karoline Edtstadler gab Anfang November bekannt, in der nächsten Regierung nicht mehr für eine Spitzenposition zur Verfügung zu stehen. Ob ihre Kritik an der Verhandlung der Austro-Ampel den Anstoß für einen nicht ganz freiwilligen Rückzug gab, ist freilich reine Spekulation.
Als Zukunftshoffnung der ÖVP wird immer wieder der bundesweit völlig unbekannte Wolfgang Hattmannsdorfer ins Spiel gebracht. Seit genau einmal sechs Wochen Nationalratsabgeordneter, war Hattmannsdorfer davor Soziallandesrat in Oberösterreich. Seine neue Tätigkeit als Generalsekretär der WKO (Wirtschaftskammer Österreich) nimmt Hattmannsdorfer am 1. Jänner 2025 auf. Das Vertrauen der bürgerlichen Wähler muss sich der Oberösterreicher also erst einmal verdienen.
Wie sieht die Situation der Volkspartei im Moment aus? Die Kritik an den Verhandlungen zur Ampel-Koalition bricht nicht nur aus Richtung Wählerschaft herein. Auch in der ÖVP-Basis ist eine Ampelregierung mit der SPÖ regelrecht verhasst, die Verhandlungen mit dem Marxisten Babler entziehen Nehammer immer mehr den Rückhalt seiner eigenen Leute (siehe Tweet).
Innerhalb der Volkspartei rumort es. Das Unverständnis über das Austragen persönlicher Eitelkeiten mit der FPÖ und der daraus resultierenden Ablehnung mit den Freiheitlichen wenigstens einmal in Koalitionsgespräche zu gehen, wird laut Insidern immer größer. „Jeder, der nicht am Verhandlungstisch um seinen eigenen Job rittert, kann die Austro-Ampel nicht nachvollziehen”, so ein ÖVPler zu exxpress. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass es nicht Karl Nehammers Schuld ist, dass die SPÖ derzeit von Andreas Babler angeführt wird. Mit einem gemäßigteren SPÖ-Obmann wäre nicht nur die Akzeptanz für die Verhandlungen größer, sondern auch die Gespräche einfacher.
Vor allem beim Riesenbrocken Budget kommt Nehammer mit den Sozialdemokraten auf keinen grünen Zweig. Die SPÖ drängt auf neue Steuern, die Machtfaktoren innerhalb der ÖVP – Wirtschaft und Bauernbund – lehnen diese ab. Laut der ‚Kronen Zeitung’ haben die Verhandler nun aber angeblich einen neuen Weg gefunden, mit den schwierigen Verhandlungen voranzukommen: Das Volk soll diese Arbeit übernehmen. Mit Volksbefragungen bei wesentlichen Punkten, in denen keine Einigungen erzielt werden können wie etwa Vermögens- oder ORF-Steuer, soll der Wähler ein Machtwort sprechen.
So wichtig Volksbefragungen sind und oft auch angebracht wären, ist die Bildung einer Regierung allerdings keine Aufgabe für eine Volksbefragung. Diese wird mit einer regulären Wahl abgefragt. Das Ergebnis bei der Nationalratswahl war mehr als deutlich: Die Wähler wollen die FPÖ in der Regierung. Wenn schon das Ergebnis einer Nationalratswahl für den Bundespräsidenten nicht bindend ist und er dem Wahlgewinner nicht den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, wie bindend sind dann Ergebnisse einer Volksbefragung?
Die ÖVP schweigt zu den Umfragen, der Kritik der Basis und den Ratschlagen der Funktionäre. Stattdessen knickt Nehammer beim Thema Steuern bereits ein, stellt statt einer Erbschaftssteuer nun eine erhöhte Grundsteuer in Aussicht, ohne zu bedenken, dass diese Gelder in die Gemeindekassen fließen und nicht das Budget sanieren. Auch für Generalsekretär Christian Stocker ist die Austro-Ampel unbestritten, einen Plan B hat man in der ÖVP nicht, was natürlich die Verhandlungsposition enorm schwächt. Die SPÖ kann somit alles fordern, die ÖVP muss mitziehen, denn eine Alternative zur Koalition mit der SPÖ gibt es für die Volkspartei nicht. Bleibt abzuwarten, wie sich die Stimmung innerhalb der Partei entwickelt. Gut möglich, dass der Bundeskanzler der 2025 angelobten Regierung nicht Karl Nehammer heißen wird.
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