Olaf Scholz will nicht, dass wir das wissen: Alles, worum es ihm noch geht, ist der Kanzlerbonus
Die Ampel ist Geschichte. Die Bundesregierung aus den beiden verbliebenen Parteien, der SPD und den Grünen, hat keine parlamentarische Mehrheit. Die Bevölkerung will mehrheitlich Neuwahlen, so schnell wie möglich. Eine Analyse von Alexander Kissler.
Der Bundeskanzler hat Anderes im Sinn. Olaf Scholz klammert sich an die Macht, die ihm längst entglitten ist. Er erfindet billige Ausreden und abenteuerliche Begründungen, um weiter im Bundeskanzleramt residieren zu können. So zeigt er noch auf seinen letzten Metern als Regierungschef, wie wenig er für das Amt geeignet war. Seine überraschende Ankündigung an diesem Freitag, über das Datum der Neuwahlen „möglichst unaufgeregt diskutieren“ zu wollen, könnte sich auch als Verlautbarungspolitik ohne Substanz herausstellen.
Olaf Scholz hat ein seltsames Zeitverständnis
Weder die Kunst des Regierens, noch die ebenso schwierige Kunst des Abgangs beherrscht der Sozialdemokrat. Er weigert sich, die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Als er Finanzminister Christian Lindner entließ, behauptete Scholz, er habe „stets das Wohl unseres ganzen Landes im Blick“. Darum wolle er die Vertrauensfrage erst am 15. Januar 2025 stellen – in des Kanzlers Worten: „gleich in der ersten Sitzungswoche des Bundestages im neuen Jahr.“ Eine Hängepartie von über zwei Monaten und Neuwahlen erst im März nennt Scholz „gleich“. Um das Zeitverständnis des Kanzlers scheint es nicht zum Besten bestellt.
Das ist die erste Abwehrstrategie der Sozialdemokraten, um Scholz ein paar zusätzliche Wochen im Amt zu sichern: Es käme jetzt, heißt es, doch gar nicht darauf an, wann die Neuwahlen stattfänden. Viel wichtiger sei es doch, eine „handlungsfähige Regierung“ zu behalten, „die die Kraft hat, die nötigen Entscheidungen für unser Land zu treffen.“ So ignoriert die SPD die Realität auf doppelte Weise. Die Regierung ist nicht handlungsfähig, und 54 Prozent der Deutschen wollen laut ZDF-Politbarometer Wahlen vor März 2025. Nur 30 Prozent sind mit dem Terminvorschlag von Scholz einverstanden.
Die SPD schickte nun ihren Fraktionschef im Bundestag vor, um den Schutzwall um Scholz weiter zu befestigen. Rolf Mützenich klagte im Deutschlandfunk, „wir drehen uns jetzt wie bei einem Popanz nur um den Termin“. Die Debatte balle sich „allein um den Termin“ und um „formale Fragen“. Die Bürger hätten ganz andere Sorgen, etwa die Frage, ob die von der Ampel vorbereitete Kindergelderhöhung noch verabschiedet werde. Es brauche deshalb „im demokratischen Verfassungsbogen einen Pakt für Deutschland noch in den nächsten Wochen“.
Die SPD schiebt der Union den schwarzen Peter zu
Tatsächlich haben die Bürger das Recht, dass ihre Interessen von einer Regierung vertreten wird, die gestalten kann. Das kann die Ampel bekanntlich nicht. Mützenich buhlt im „demokratischen Verfassungsbogen“, also jenseits der AfD, um Leihstimmen. Er will, dass die Union ihren Segen gibt für Ampel-Projekte. Sollten CDU und CSU sich verweigern, machen diese sich laut Mützenich einer „Blockadehaltung“ schuldig. Das ist die zweite Abwehrstrategie der Sozialdemokraten: der Union die Verantwortung zuschieben für das eigene Scheitern.
Wie sehr der Vorwurf der Blockadehaltung zum letzten Strohhalm der SPD geworden ist, belegt eine Episode, die die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler bei X berichtet. Demnach sei sie, Güler, „im Foyer des Reichstags“ von einem SPD-Kollegen angeschrien worden, „wir müssten jetzt staatspolitische Verantwortung tragen und dürften keine ‚Frontalopposition‘ machen.“
Die Demokratie kennt jedoch nur eine Opposition, und diese hat die denkbar wichtigste Aufgabe. Sie muss die Regierung kontrollieren. Sie ist nicht als Mehrheitsbeschafferin für eine kollabierte Exekutive vorgesehen. Womöglich aber lässt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz seiner Partei durch solche vermeintlich staatspolitischen Appelle die oppositionellen Zähne ziehen.
Die dritte Abwehrstrategie klang bei Mützenich ebenfalls an. Das ganze Procedere einer Bundestagswahl sei doch viel zu aufwendig, um es übers Knie zu brechen. Er rate zu „Gelassenheit“. Ein seltsamer Vorschlag: Eine ausgeknockte Regierung bittet beim Souverän um Geduld. Dabei war es die Regierung selbst, die durch ihr inkompetentes Handeln alle Geduldsfäden beim Volk reißen ließ.
Baerbock sieht in Neuwahlen keinen Stabilitätsfaktor
Die Abwehrstrategien vier, fünf und sechs eines gescheiterten Kabinetts sind ebenfalls untauglich. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock behauptete nun in der ARD-Sendung „Maischberger“, ein früher geordneter Übergang, „wo auch noch Weihnachten und Silvester dazwischen liegt“, sei kaum möglich. Den Deutschen, heißt das, sind keine Wahlkämpfe in der besinnlichen Jahresendzeit zuzumuten.
Generell, verstieg sich Baerbock weiter, seien Neuwahlen „ohnehin nicht so’n Stabilitätsfaktor für Demokratien“. Offenbar hat die grüne Spitzenfrau den Kern der Demokratie nicht begriffen: Demokratien beruhen auf freien Wahlen und nicht darauf, dass die Regierung zu einem ihr genehmen Zeitpunkt dem Souverän das Recht einräumt, im Sinne der Regierung abzustimmen. Stabilität ist hier ein Codewort für den Machterhalt der amtierenden Minister.
Sechstens und letztens sagen Scholz und die Grünen, ein früher Regierungswechsel könnte die deutsche Unterstützung für die Ukraine gefährden. Scholz will „unsere Unterstützung für die Ukraine, die einem schweren Winter entgegengeht“ erhöhen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge, sagte sogar: Der entlassene Finanzminister Lindner sei seiner „Verantwortung für die Ukraine“ nicht gerecht geworden. Annalena Baerbock treibt die Instrumentalisierung des russischen Überfalls so weit, dass sie das Verbleiben der grünen Minister im Amt mit dem Ausharren der Ukrainer in ihrer Heimat vergleicht – was bekanntlich gar nicht alle Ukrainer tun.
Robert Habeck setzt auf das Prinzip Wuschelkopf
Die auf verschiedene Weisen untauglichen Abwehrstrategien der Regierung sollen einen schlichten Umstand verdecken: Scholz, die SPD und die Grünen scheuen das Votum der Wähler. Der Kanzler will mit dem Bonus des Amtsinhabers und einem möglichen Rückenwind durch die Hamburger Landtagswahlen Anfang März das Unmögliche versuchen und eine Wiederwahl erreichen.
Bei den Grünen setzt der designierte Kanzlerkandidat Robert Habeck ebenfalls auf den Faktor Zeit. Er ist zuversichtlich, Scholz desto besser in die Schranken verweisen zu können, je länger er sich als emotional nahbarer Gegenentwurf zum spröden Hanseaten präsentieren kann. Der gefühlige Wuschelkopf gegen den Bürokraten mit der verschlissenen Aktentasche: So stellt Habeck sich das vor.
Nach Lage der Dinge werden beide Pläne nicht aufgehen. Den Kanzler Scholz wird es bald nicht mehr und den Kanzler Habeck nie geben. Das macht das falsche Zeitspiel besonders bitter: Deutschlands Zukunft wird vertändelt, damit eine abgewirtschaftete politische Führung ihre illusionären Karrierepläne bis zum Letzten ausreizen kann.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partner-Portal NIUS erschienen.
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