Andrei Caramitru gehört zu den einflussreichsten Ökonomen Rumäniens. Der frühere Topmanager von McKinsey und der Boston Consulting Group war Berater der Regierungspartei USR – und gilt heute als scharfer, pointierter Analyst wirtschaftlicher Entwicklungen. Im Interview mit Alex Todericiu warnt Caramitru vor politischer Instabilität, kritisiert Österreichs Rolle in seinem Heimatland – und fordert, dass das umstrittene Verhalten der OMV bei Petrom zur Chefsache zwischen Wien und Bukarest gemacht wird.

„Die Inflation wird durch den Schock auf bis zu zehn Prozent steigen“

Der Präsident Rumäniens, Nicușor Dan, sendet Botschaften der Ruhe und des Vertrauens und sagt, es „gibt keinen Grund zur finanziellen Panik“, und es müsse Stabilität gezeigt werden, gleichzeitig greift die Regierung unter Ministerpräsident Ilie Bolojan zu einem in Jahrzehnten beispiellosen Fiskalschock. Wird diese scheinbare Divergenz bei Kommunikation und Vorgehen die Effektivität der Anti‑Inflationsmaßnahmen beeinträchtigen?

Die Inflation wird unweigerlich infolge eines plötzlichen Schocks ansteigen, vielleicht sogar auf rund zehn Prozent. Entscheidend ist jedoch, dass dieser Schock ein einmaliges Ereignis bleibt und ab 2026 wieder abnimmt.

Ich bin allerdings ebenfalls besorgt über eine offensichtliche Diskrepanz zwischen Präsident und Premierminister in der Kommunikation. Am Ende zählt politisches Vertrauen – nur mit politischer Stabilität können Reformen erfolgreich sein und wir können auf eine schnelle Rückkehr zu Wirtschaftswachstum hoffen.

„Wiens imperiale Haltung ist überholt: Das BIP Rumäniens wird jenes Österreichs übertreffen“

Zurzeit besucht der rumänische Staatspräsident Österreich, um Gespräche mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kanzler Christian Stocker (ÖVP) zu führen. Sie haben sich in der Vergangenheit sehr kritisch über den wirtschaftlichen Einfluss Österreichs in Rumänien geäußert. Wie sollten Ihrer Ansicht nach die rumänischen Behörden die Beziehung zu ausländischen Investoren – insbesondere den österreichischen – managen?

Ich halte es für sehr wichtig, dass sich Österreich von einer imperial wirkenden Haltung gegenüber Rumänien distanziert und sich daran gewöhnt, dass Rumäniens Bruttoinlandsprodukt auf mittlere Sicht jenes Österreichs übertreffen wird und das ist auch normal, da Rumänien doppelt so viele Einwohner hat, Zugang zum Meer besitzt, über Energieressourcen verfügt, sowie starke Unterstützung aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Deutschland, aber auch aus der Türkei oder Israel erhält und ein digitales Ökosystem hat, das dem Österreichs überlegen ist.

Österreich müsste Partner dieser positiven Entwicklung sein, nicht wie zuletzt Blockierer – etwa durch das Schengen-Moratorium zum Schutz kroatischer und serbischer Logistikrouten, das immer wieder verschobene Neptun-Deep Projekt (unter Beteiligung von Greenpeace Österreich) sowie die Blockade der Energie‑Interkonnektivität mit Westeuropa. Letztlich ist Rumänien nicht mehr auf Investitionen oder Finanzierungen aus Österreich angewiesen – wie noch vor 20 Jahren –, sondern Österreich hängt von Rumänien ab, durch die riesigen Dividenden, die Petrom, Erste, Raiffeisen und andere Unternehmen nach Wien zahlen – Unternehmen, die in Rumänien hervorragend performen und große Gewinne erzielen, was grundsätzlich positiv ist.

„Österreichische Unternehmen zahlen in Rumänien deutlich niedrigere Steuern“

Handelt die Regierung Bolojan richtig, wenn sie höhere Steuern einführt und damit das Risiko eingeht, Unternehmen zu vertreiben – oder wäre ein versöhnlicherer Ton und eine andere Strategie angemessener gewesen, um ein attraktives Investitionsklima aufrechtzuerhalten?

Ich glaube nicht, dass österreichische Unternehmen in anderen Ländern wesentlich höhere Gewinne erzielen als in Rumänien, und schon gar nicht in Österreich selbst. Die Steuern, die sie in Österreich zahlen, sind deutlich höher als in Rumänien.

Meiner Ansicht nach sollte die Regierung Bolojan eine partnerschaftliche Balance mit Wien suchen. Falls das nicht möglich ist, können österreichische Firmen zeitnah zu sehr guten Preisen an rumänische oder konsortiale Investoren verkauft werden – so könnten sie ihre finanzielle Mutterfirma (die erheblich schlechter dasteht als ihre Tochtergesellschaften in Rumänien) stabilisieren.

OMV: „Entscheidungen in Wien dürfen nicht Rumäniens Interessen verletzen“

Răzvan Nicolescu, ehemaliger Energieminister (2014) in Bukarest und Mitglied des Aufsichtsrats von Petrom OMV, veröffentlichte Ende Juni 2025 einen Brief, in dem er den Rücktritt von Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender und CEO der OMV sowie Leiter des Aufsichtsrats von Petrom, fordert. Nicolescu wirft Stern ein missbräuchliches, diktatorisches sowie herablassendes Verhalten gegenüber der rumänischen Gesetzgebung und anderen Petrom-Aktionären vor. Glauben Sie, dass der Präsident Rumäniens dieses sensible Thema während seines Besuchs ansprechen sollte?

Ja, ich denke, dass das Vorgehen der OMV-Management Vertreter bei Petrom auf höchster Ebene besprochen werden sollte. Soweit ich es aus den öffentlich vorgebrachten Kritikpunkten verstanden habe, gibt es Anschuldigungen wegen Missbrauchs, illegalem Verhalten und Nichtbeachtung lokaler und europäischer Corporate-Governance-Regeln.

Letztlich hält OMV 51 Prozent an Petrom und Rumänien kann nicht akzeptieren, dass Gesetze ignoriert oder strategische Interessen Rumäniens durch Entscheidungen von Wien aus verletzt werden – Petrom ist doch eine an der rumänischen Börse kotierte rumänische Aktiengesellschaft. Entscheidungen müssen laut Gesetz ausschließlich vom Petrom-Management getroffen werden, das allen Aktionären gleichermaßen verpflichtet ist.

Andrei Caramitru, 48, hat ein Studium der Finanzmathematik an der Universität Genf abgeschlossen, arbeitete als Experte für Fusionen & Übernahmen bei UBS (Zürich und London), war Senior-Partner bei McKinsey & Company (Schweiz und Osteuropa) und Managing Director/Partner bei Boston Consulting Group, Wien. In Rumänien war Caramitru 2019 Berater des USR‑Präsidenten (Uniunea Salvați România), einer Partei, die heute an der Regierung beteiligt ist.