Er habe nie gedacht, dass er eines Tages ebenfalls auf Trump setzen würde, sagt Schröder mit einem Grinsen, in dem das Wissen darüber steckt, dass es seinen Genossen daheim bei solchen Worten graust.

Auf Einladung der Schweizer Weltwoche und ihres Chefredakteurs Roger Köppel sind Schröder und Orbán auf „neutralem Boden“ der Wiener Sofiensäle zum Podiumsgespräch erschienen, und das Publikum steht schon eine Stunde vorher in langen Schlangen vor dem Gebäude an.

Gut 400 Gäste applaudieren schon beim Erscheinen der beiden Politiker, die jeder für sich eine Art Hass-Figur darstellen. Schröder ist in der eigenen Partei als gut bezahlter Energie-Lobbyist Russlands in Ungnade, Orbán der wohl meistgehasste Regierungschef in Brüssel und im linksliberalen Lager Europas. Weil beide sich für eine Beendigung des Ukraine-Kriegs einsetzen, gelten sie als „Putin-Knechte“ und Kostgänger Russlands, was die versammelte Schar im Saal eher als erfrischende Quertreiberei des etablierten Politikbetriebs feiern.

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Wie sie mit den jeweiligen Anfeindungen umgehen, will Köppel gleich zu Beginn im prachtvollen Ambiente des reich verzierten Saalbaus wissen. Er habe gute Freunde, nicht nur politische, sagt Schröder, letztere hier in Wien allerdings eher weniger. Eine Anspielung auf die internen Querelen der österreichischen Sozialdemokratie. „Ich habe meine Frau, fünf Kinder, sechs Enkel – es gibt schon welche, die mich mögen“, sagt Orbán. Außerdem sei er als Antikommunist im Kommunismus aufgewachsen und gewohnt, dass die Macht gegen ihn stehe. „Wir Ungarn haben einen guten Spruch: Ungarn haben nicht Recht, aber sie werden Recht haben.“

Friedenspläne und Schuldzuweisungen: Warum der Waffenstillstand scheiterte

Im Frühjahr 2022 hätte es die Chance zu einem Waffenstillstand in der Ukraine gegeben, erzählt Schröder. Er sei damals von Schweizer Freunden geben worden, zu vermitteln. Sicherheitsgarantien, Autonomie für den Donbas und keine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine hätten die wichtigsten Punkte gelautet, bestätigt auch Orbán. Er habe die Papiere für eine mögliche Feuerpause selbst in Händen gehalten. Nach seiner Lesart habe der damalige britische Premier Boris Johnson verhindert, dass es dazu kam. Warum, bleibt offen.

Er habe sich zu Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft überlegt, welche Akzente er setzen wolle, sagt Orbán. Man bekommt da einige Hundert Verwaltungsakte auf den Tisch, die man abarbeiten muss, und wenn sich dann in Brüssel nichts ändert, klopfen einem die Bürokraten dort anschließend anerkennend auf die Schultern.

Angesichts der Tatsache, dass in seinem Nachbarland jeden Tag Hunderte sterben, Witwen und Waisen zurückbleiben, habe er sich entschlossen, den Versucht für einen Waffenstillstand zu unternehmen. Waffenstillstand, wohlgemerkt, ein Friedensschluss brauche sehr viel mehr Zeit und Akteure. Gescheitert sei der Vorstoß unter anderem an Wolodymyr Selenskyj, der erklärte, den Krieg gewinnen zu wollen. Orbáns Einwand, dass die Zeit gegen ihn arbeite, habe er nicht gelten lassen wollen.

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Putin wiederum habe Garantien gewollt, dass eine Feuerpause von der Ukraine nicht zur Aufrüstung genutzt werde. Eigentlich hätten die Europäer den Vorstoß des Ungarn flankieren müssen, sagt Schröder. Er habe mit Blick auf Europa allerdings auch keine großen Hoffnungen mehr. „Sie wollen Russland besiegen“, sagt Orbán, allen voran die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, mit der der Regierungschef seit längerem in einer sehr persönlichen Fehde liegt.

"Dieser Krieg ist verloren"

„Dieser Krieg ist verloren“, sagt Orbán. „Die Lage wird immer schlechter.“ Wenn Europa keine eigenen Soldaten schicken wolle, müsse man das endlich einsehen. „Dass Europa darauf stolz ist, mit Russland nicht zu kommunizieren, ist barbarisch und diplomatischer Analphabetismus.“

Kritik an der Ukraine-Politik und Hoffnung auf Trump

In diesem Punkt herrscht völlige Einigkeit zwischen dem Sozialdemokraten Schröder und dem Konservativen Orbán. „Seit wann wird man für eine Friedensinitiative gescholten“, sagt der Alt-Kanzler, der von Brüssel ähnlich viel oder wenig hält, wie Orbán. Immer nur zu sagen, wer gewinnen müsse und wer verlieren soll, ersetze ja keine Politik. Ihm gehe es auch um die Souveränität Europas, so Orbán. Wenn Deutschland und Frankreich nicht handelten, sitze man wieder am Katzentisch, wenn Trump mit Putin den Krieg beende.

Es gebe da ein fundamentales Missverständnis der Europäer gegenüber Russland, sagt der Regierungschef und verweist auf seine Erfahrung in der Sowjet-Ära: Wir im Westen stellen die Freiheit und den Wohlstand in den Mittelpunkt der Politik, für Russland dagegen sei Stärke der zentrale Wert. Trump und die Amerikaner verstünden das, weil sie auch von ihrer geografischen Größe, von ihrer Stärke und Macht durchdrungen seien. „Die Macht der Amerikaner riecht nach McDonald’s, die der Russen nach Robbenfett auf groben Stiefeln“, sagt Orbán.

Orbáns Sorge um Wirtschaft: „Wenn wir das nicht ändern, werden wir verrecken“

Ihn treibt aber noch etwas anderes um. Schröder habe damals die deutsche Wirtschaft gerettet. „Wer rettet heute die deutsche Wirtschaft? Wir haben heute in Europa viermal so hohe Energiepreise wie die Amerikaner. Das funktioniert nicht. Wenn wir das nicht ändern, werden wir verrecken.“ Die immer wieder beschworene „multipolare Welt“ werde die europäische Wirtschaft jedenfalls nicht retten.

Schröders Appell: Politik muss tun, was das Land braucht

Europa habe in der jüngeren Geschichte immer wieder gegeneinander Krieg geführt und Millionen eigener Christen abgeschlachtet, sagt Orbán, heute erlaube es Massenmigration von Muslimen. Die alten Rechts-Links-Schemata funktionieren nicht mehr. „Wir haben Krieg, Migration, Gender- und Familienfragen. Die alten Flügel lösen sich auf. Wir brauchen eine neue Mitte und neue Politiker mit Führungsqualitäten.“

Er fühle sich da jedenfalls nicht mehr angesprochen mit seinen 80 Jahren, sagt Schröder mit seinem fröhlichen Niedersachsen-Slang. Da müssten andere ran.

Am Ende, sagt Schröder unter dem donnernden Applaus des Publikums, das zum Teil sogar aus Norddeutschland angereist ist, komme es in der Politik darauf an, Dinge zu tun, die das Land braucht und voranbringen, auch wenn man damit seine eigene Wiederwahl gefährdet. Das große Thema seines Lebens. Und der unausgesprochene Hinweis, dass heutige Politiker aus einem anderen Holz geschnitzt sind. Dass es kein besseres Holz ist, das haben sie im Saal längst verstanden.

Der Bericht ist ursprünglich auf unserem Partner-Portal NiUS erschienen.