Die Terrororganisation Hamas verliert die Kontrolle – aber sie ist nicht besiegt. Noch nicht, warnt die international angesehene israelische Völkerrechtlerin Yifa Segal. „Der Kipppunkt ist nah – aber noch nicht erreicht“, betont sie im exxpressTV-Interview mit Redakteur Stefan Beig. „Die Menschen erkennen, dass Hamas sie nicht schützt, sondern als menschliche Schutzschilde missbraucht.“

Segal war Stabschefin des israelischen Botschafters in Washington und ist Gründerin sowie langjährige Direktorin des International Legal Forum (ILF) – einem globalen Netzwerk von Juristen und Aktivisten in über 40 Ländern im Kampf gegen Terror und Antisemitismus.

Israels Hilfe wirkt – und bringt Hamas ins Wanken

Israel unternimmt enorme Anstrengungen, um die Menschen in Gaza mit humanitärer Hilfe zu versorgen. Die internationale Kritik daran sei vollkommen unverständlich, sagt Segal. Der neue Gaza Humanitarian Fund (GHF) habe in nur zwei Monaten mehr erreicht als UN-Organisationen in eineinhalb Jahren.

Die Fake News spielen den Terroristen in die Hände: „Hamas ist in Panik – denn der GHF entzieht ihr Macht: Macht über die Bevölkerung, Macht über das Bild in der Welt.“ Israel liefert so viele Hilfsgüter wie kaum ein Land je in ein aktives Kriegsgebiet.

Die Versorgung der Palästinenser mit Hilfe von internationale Organisationen funktionierte wesentlich schlechter als jene über die GHF, sagt Israel.APA/AFP/Omar AL-QATTAA

Der Plan für Gaza: Stück für Stück ein Leben ohne Hamas

Seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 arbeitet Yifa Segal an Konzepten für den „Tag danach“. Ihr jüngster Plan sieht vor, den Wiederaufbau Gazas mit lokalen Partnern vor Ort zu gestalten – ohne Hamas.

Ein Beispiel: Yasser Abu Shabab, ein lokaler Clanführer, kämpft mit seiner Miliz in Rafah aktiv gegen die Hamas. „Israel sollte das Gebiet offiziell als Hamas-freie Zone anerkennen – und Abu Shabab als legitimen Ansprechpartner. Dann könnten wir mit ihm über die Versorgung, den Wiederaufbau und die Sicherheit sprechen.“

Mehrere Geiseln wurden den Angehörigen in Israel tot übergeben.APA/AFP/Jack GUEZ

Ziel sei, der Hamas nach und nach Territorium und Kontrolle zu entziehen. Wenn eine Zone als befreit gilt, „wissen alle Gegner der Hamas, dass sie dort sicher sind. Sie können dorthin gehen – und so verliert Hamas Macht und Rückhalt.“ Langfristig, glaubt Segal, werde sich eine klare Mehrheit der Bevölkerung gegen die Terroristen entscheiden – und sich in befreite Teile des Gazastreifens zurückziehen.

Europas Zwei-Staaten-Modell ist eine Illusion

Segal hält die westliche Vorstellung eines zentralisierten palästinensischen Staates für realitätsfremd. „Die Region basiert auf Clans, Milizen, Stammesstrukturen – das ist die Realität“, unterstreicht sie. Diese Stammes-Strukturen bestehen schon seit Generation, sie sind viel älter als PLO oder Hamas. Auch Abu Shababs Miliz sei eigentlich ein Beduinenstamm im Süden Gazas.

Die Strategie der Hamas – sie kämpft um ihr Überleben – zieht den Krieg in Gaze in die Länge.APA/AFP/Jack GUEZ

Erst kürzlich forderten Stammesführer aus Hebron und anderen Regionen in einem offenen Brief an die internationale Gemeinschaft, endlich auf die erzwungene Zentralherrschaft zu verzichten. Segal: „Überall dort, wo im Nahen Osten Stammesstrukturen erhalten bleiben, herrscht mehr Stabilität – und deutlich weniger Gewalt.“

Ihr Appell: Statt künstlicher Staaten braucht es dezentrale Einheiten – Mini-Staaten, Emirate, autonome Regionen. „Warum passen wir das Modell nicht der Region an? Die Zwei-Staaten-Idee ist eine romantisierte Vorstellung Europas – ohne Bezug zur Wirklichkeit.“

Die große Lüge: Gaza war bisher ein Gefängnis

Segal fordert ein weiteres, oft übersehenes Recht für die Palästinenser: das Recht auf Auswanderung. „Palästinensern wird das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit verweigert. Niemand lässt sie gehen – nicht einmal die Staaten, die am lautesten für sie sprechen.“

Die internationale Gemeinschaft halte an einem „gefängnisartigen Status quo“ fest – auf Kosten der Bevölkerung.

Solange Hamas im Gazastreifen herrscht, gibt es keinen Frieden, warnt Yifa Segal.APA/AFP/Jack GUEZ

Hamas: Terror mit PR-Strategie – Europa spielt mit

Der Krieg in Gaza werde gezielt von der Hamas verlängert – mit menschlichen Schutzschilden, Fake News und der Geiselnahme. „Die Hamas nutzt ihr eigenes Volk, um möglichst viele Bilder von Leid zu erzeugen – Bilder, die internationale Medien unkritisch übernehmen.“

Noch immer hält Hamas rund 50 Israelis als Geiseln fest – niemand weiß, ob sie noch leben. Israels Armee tue alles, um Zivilisten zu schützen – genau das verlängere jedoch den Krieg. „Hamas will das Leid. Sie hungern ihre eigene Bevölkerung aus, um Israel zu delegitimieren“, klagt Segal.

Nach wie vor warten viele Israelis auf ihrer verbliebenen Angehörigen, die im Gazastreifen als Geiseln gehalten werden.APA/AFP/Jack GUEZ

Der perfide Deal: Geiseln gegen Terroristen

Völlig absurd sei das jüngste Angebot der Hamas: „Sie wollen entführte Zivilisten gegen Terroristen, die am 7. Oktober mehr als tausend Zivilisten ermordet haben, tauschen – und verlangen dafür auch noch eine Waffenruhe.“

Jede Pause diene nur der Hamas: Sie könne neue Fallen stellen, Israels Hilfe sabotieren und sich neu organisieren. Segals Warnung: „Ein Rückzug jetzt lässt Hamas überleben – und in wenigen Jahren wäre sie stärker denn je.“

Die Berichterstattung der BBC und anderer Medien legitimiert eine Terrororganisation, warnt ein Demonstrant.APA/AFP/Daniel LEAL

Humanitäre Städte sind kein Kriegsverbrechen

Sehr betroffen zeigt sich Segal über eine neue außenpolitische Erklärung, die Israels Maßnahmen kritisiert. Der britische Außenminister David Lammy hatte gemeinsam mit mehr 20 Amtskollegen – darunter auch Beate Meinl-Reisinger (NEOS) – ein Papier unterzeichnet, in dem Israels Vorschlag einer „humanitären Stadt“ als „Zwangsumsiedlung“ kritisiert wird.

Dazu Segal: „Das ist vollkommen absurd. Solche Sicherheitszonen gibt es in Syrien, Sudan, der Ukraine – warum ist es plötzlich illegal, wenn Israel das Gleiche versucht?“ Laut UNHCR seien solche Maßnahmen erlaubt, wenn Zivilisten von bewaffneten Gruppen missbraucht werden. „Wenn Israel so eine Zone errichtet, wäre das eine Katastrophe für Hamas – also lügen sie. Und Europa übernimmt diese Lügen.“

Eine „humanitäre Stadt“ besteht in der Ukraine, in Syrien, im Sudan. Warum werden Israel Kriegsverbrechen vorgeworfen, wenn es dasselbe plant?APA/AFP/Omar AL-QATTAA

Europa übernimmt Hamas-Narrative – und gefährdet Gaza

Segal verurteilt das Verhalten vieler europäischer Außenminister scharf: „Sie glauben den Lügen einer Terrororganisation – einer Organisation, die Babys ermordet hat. Warum fällt es ihnen so schwer zu glauben, dass Hamas auch lügt?“

Wer Angaben aus dem sogenannten „Gesundheitsministerium“ der Hamas übernimmt, ohne sie zu prüfen, mache sich mitschuldig. Dabei stünde es jedem frei, diese Behauptung auch zu überprüfen. Ihr Appell: „Fragen Sie sich: Wem glauben Sie da eigentlich? Und wem geben Sie die Schuld?“

Europa will Frieden – aber glaubt den Falschen. Wer die Hamas als Partner akzeptiert, verspiele die Zukunft Gazas, warnt die Juristin. Ein Wiederaufbau – gemeinsam mit lokalen Partnern, statt mit Terroristen – sei möglich, und damit auch ein Gaza ohne Hamas, unterstreicht Yifa Segal. Aber Europa müsse endlich aufhören, den Tätern zu glauben.

Yifa Segal (geb. 1982) ist eine israelische Anwältin und eine der profiliertesten Expertinnen für internationales Recht und Sicherheitspolitik. Sie ist Geschäftsführerin von Hetz for Israel, einer NGO zur Stärkung von Israels nationaler Sicherheit auf internationaler Ebene. Segal ist zudem mit dem Israeli Defense and Security Forum (IDSF) verbunden, einem sicherheitspolitischen Thinktank aus hochrangigen Militärs, Diplomaten und Experten. Dort arbeitete sie an einem Plan für sichere humanitäre Zonen im Gazastreifen – unabhängig von der Hamas.

Zuvor war Segal Stabschefin des israelischen Botschafters in Washington und Gründerin sowie langjährige Geschäftsführerin des International Legal Forum (ILF) – einem globalen Netzwerk von Juristen und Aktivisten aus über 40 Ländern im Kampf gegen Terror und Antisemitismus.

Yifa Segal studierte Rechtswissenschaften an der Universität Haifa sowie Internationale Beziehungen an der Universität Tel Aviv. Sie begann ihre berufliche Laufbahn  beim Israel Law Center, später war sie Direktorin der israelischen Nachrichtenagentur TPS.