Siegesparade ohne Sieg: Wie wird uns Putin drohen?
Die Aufmerksamkeit der Welt konnte der Kreml-Chef bereits auf sich ziehen. Wenn Putin am 9. Mai auf dem Roten Platz in Moskau zu seinen Landsleuten sprechen wird, werden nicht nur diese ihm zuhören. Alle Welt fragt sich, auf was sie sich gefasst machen muss. Zunächst hieß es, Putin werde vor dem 9. Mai den Angriff auf die Ukraine intensivieren, um bis zur Militärparade einen Sieg zu verkünden – den er aber am Vortag noch immer nicht errungen hat. Mittlerweile steigt die Angst, die Siegesfeier werde zum Tag der neuen Eskalation werden.
Drei Szenarien sind zurzeit denkbar. Darauf deuten auch Putins eigene Entscheidungen in den vergangenen Tagen hin. Die drei Optionen schließen sich näher besehen nicht zwingend gegenseitig aus. Möglicherweise werden zwei davon oder alle drei eintreten.
Erstens: große Propaganda-Show – sonst nichts
Im russischen TV feiert Putin bereits einen Sieg nach dem anderen. Insofern braucht er auch nicht viel mehr zu tun, um seine Bürger bei der Stange – und damit bei guter Laune – zu halten. Auch ohne allzu große Erfolge auf dem Schlachtfeld benützt er Bilder vom Krieg und deutet sie in seinem Sinne. Die russischen Propaganda ist darin durchaus erfahren.
Um dennoch ein paar herzeigbare Erfolge vorzuweisen, könnte er offiziell die Separatisten-Gebiete Luhansk und Donezk im Donbass annektieren. Russland ist bereits damit beschäftigt, dort alle Spuren der Ukraine zu verwischen. Darüber hinaus hat der Kreml ja die Separatistenregionen wenige Tage vor Beginn der Invasion ohnehin bereits anerkannt.
Es mehren sich auch Hinweise auf eine Siegesparade in der beinahe vollständig zerstörten Hafenstadt Mariupol. Der stellvertretende Leiter der Moskauer Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, soll dort bereits eingetroffen sein, um die Feierlichkeiten vorzubereiten, berichtet der ukrainische Militärgeheimdienst. Mariupol könnte sogar ein Zentrum der “Feierlichkeiten” werden. Die zentralen Straßen der Stadt sollen bereits “von Trümmern, Leichen und nicht explodierten Sprengkörpern gesäubert” werden. Frauen und Kinder im dortigen Stahlwerk wurden bereits evakuiert. “Den Russen sollen Geschichten über die ‘Freude’ der Einheimischen über das Zusammentreffen mit den Besatzern gezeigt werden”, sagt der Geheimdienst.
Zweitens: neue Provokationen in anderen Ländern
Eine Ausweitung der militärischen Ziele wäre ebenfalls denkbar. Genau das befürchtet die Republik Moldau. Im April hat der russische Generalmajor Rustam Minnekajew unverhohlen Transnistrien als nächstes Ziel genannt. Damit konkretisierte er die Operationsziele in der zweiten militärischen Phase. Demnach werde neben dem Donbass und einer Landverbindung zur Krim auch ein Zugang nach Transnistrien angestrebt.
Putin könnte sich aber auch Ziele noch weiter im Westen vorknöpfen, nicht über militärische Angriffe, aber mit Anschlägen. Da Putin sein eigentliches Ziel — die Zerstörung der Ukraine – bisher nicht erreicht hat, wird er dafür ohnehin den Westen verantwortlich machen, voraussichtlich. Tatsächlich steht er schon seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Jahr 2014 auf dem Standpunkt, in dem großen Nachbarstaat nicht nur gegen ukrainische Einheiten zu kämpfen, sondern gegen subversive Machenschaften der USA, Europas und der NATO.
Der aus Russland geflohene Schriftsteller Viktor Jerojefew erwartet für den 9. Mai sogar den Einsatz von Atomwaffen in der Ostsee, gleich “neben Deutschland”, wie er gegenüber der “Welt” sagt.
Selbst ohne Einsatz von Nuklearwaffen könnte Wladimir Putin mit solchen auch nur drohen um Europa und die USA einzuschüchtern. Höchstwahrscheinlich dürfte er in seiner Rede neue Warnungen an den Westen richten. Unter den 77 Flugzeugen, die an einer Flugshow über dem Roten Platz teilnehmen werden, soll sich auch das sogenannte “Weltuntergangsflugzeug” befinden, eine Spezialkonstruktion der Iljuschin II-80, von dem aus Russlands Präsident sein Land im Falle eines Atomkrieges aus der Luft regieren kann. Ein eindeutiges Signal.
Drittens: Kriegserklärung samt Generalmobilmachung
Dass Russland Nuklearwaffen einsetzen wird – auch taktische, mit geringerer Reichweite – dafür gibt es zurzeit keine Beweise. Worin aber sämtliche Geheimdienste übereinstimmen: Putin glaubt nach wie vor an einen Sieg in der Ukraine, sofern er nur die Anstrengungen intensiviert.
Auch wenn das vom Kreml bisher dementiert wird, könnte Russlands Präsident eine Generalmobilmachung verkünden und den Krieg ausrufen. Denn wäre auch offiziell nicht länger von einer Militäroperation die Rede. Davon gehen mittlerweile der ukrainische und der britische Geheimdienst aus.
Auch CIA-Chef Bill Burns erwartet, dass Putin seine Anstrengungen im Ukraine-Krieg eher verdoppelt, als sich zurückzuziehen. “Er hat so viel auf die Entscheidung gesetzt, diese Invasion zu starten, dass er im Moment davon überzeugt ist, dass er mit einer Verdoppelung der Mittel immer noch Fortschritte machen kann”, sagte Burns auf einer Veranstaltung der “Financial Times”. Westliche Militärs beobachten bereits Hinweise auf eine generelle Kriegsvorbereitung in Russland, etwa mit Blick auf die Lagerung von Lebensmitteln.
Diese Variante ist – leider – höchst gefährlich: Was sollen die NATO-Staaten dann tun? In einen Krieg mit Russland eintreten und eine Kettenreaktion riskieren – siehe Erster Weltkrieg?
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