Ursula von der Leyen: Kritik von links und rechts wächst
Von der Leyen habe die EU geschwächt, unpopuläre Handelsabkommen vorangetrieben und in Krisen zu zögerlich reagiert. Das Ergebnis: sinkende Zustimmung, nur noch 23 Prozent stehen hinter ihr.
Während in Tallinn der erste Schnee fällt und in Wien der Sturm ausgeschenkt wird, richtet sich in Brüssel alles auf ein politisches Erdbeben: Das Europaparlament stimmt in Kürze über gleich zwei Misstrauensanträge gegen Ursula von der Leyen ab. Die Präsidentin der EU-Kommission steht sowohl von links als auch von rechts unter Beschuss – berichtet Brussels Signal.
Linke und Rechte im Gleichklang
Die Fraktion Patriots for Europe wirft von der Leyen vor, die EU durch „radikale grüne Politik“ und ihr Versagen bei den großen Herausforderungen wie Wirtschaft und Gesellschaft geschwächt zu haben. „Die EU ist heute schwächer als je zuvor“, heißt es in ihrem Antrag.
Auch die Linke holt zum Schlag aus – diesmal wegen angeblicher Untätigkeit in der Nahost-Politik, vor allem in Bezug auf Israel und Gaza.
Doch bei aller Gegensätzlichkeit sind sich beide Lager in einem Punkt einig: Von der Leyens Handelsagenda stößt auf breite Ablehnung. Sowohl das US-EU-Handelsabkommen als auch das geplante MERCOSUR-Abkommen mit Südamerika werden heftig kritisiert – viele nationale Regierungen hatten sich zuvor klar dagegen ausgesprochen.
Chancen gering – noch
Trotz der Attacken: Ein Sturz von der Leyens gilt vorerst als unwahrscheinlich. Der Grund: Die beiden Lager werden wohl nicht gegenseitig für die jeweiligen Anträge stimmen, und die mächtige Europäische Volkspartei (EVP) steht offiziell weiter hinter der Kommissionspräsidentin.
Doch genau hier liegt der Knackpunkt, so die Analyse: Die EVP steckt tief in der Krise. Zwar liegt sie in Umfragen vorne, doch nur deshalb, weil die populistische Rechte in drei Lager zersplittert ist. Würden diese Kräfte eine Allianz bilden, kämen sie laut Prognosen auf 224 Sitze – deutlich mehr als die EVP mit 174.
Ein bröckelndes Machtzentrum
Eine stabile Mehrheit im Parlament benötigt 360 Sitze. Das derzeitige Bündnis aus EVP, Sozialdemokraten und der zentristischen Renew Europe kommt gerade einmal auf 367 Mandate. Ein hauchdünner Vorsprung, der bei weiteren Erfolgen der Rechten rasch dahin sein könnte.
Und auch in den Mitgliedsstaaten zeigt sich der Trend: In Ländern wie Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich oder Portugal liegen rechte oder rechtspopulistische Parteien in Umfragen vorn – die klassische Mitte-Rechts-Partei verliert rasant an Boden.
Symbolischer Befreiungsschlag?
Genau deshalb, so die Argumentation, müsse die EVP handeln – und zwar radikal: Ein Misstrauensvotum gegen von der Leyen könnte als Symbol für einen Neuanfang wirken. Es wäre das Signal: Wir haben verstanden, wir lösen uns von der „Inkompetenz im eigenen Haus“.
Denn die Fakten sprechen klar gegen sie: Im August hatten laut Umfragen nur 23 Prozent der Europäer noch ein positives Bild ihrer Amtsführung. Besonders das unbeliebte US-EU-Handelsabkommen habe von der Leyen zur politischen Hypothek gemacht.
Die alte Wunde: Weber gegen von der Leyen
Auch die parteiinterne Geschichte spricht Bände: 2018 war Manfred Weber Spitzenkandidat der EVP – doch übergangen wurde er von Merkel und Macron zugunsten von der Leyen. Ein Affront, der das Prinzip der Spitzenkandidaten ad absurdum führte und die EVP-Basis nachhaltig verärgerte.
Weber, der die Partei seit Jahren prägt, sieht sich bis heute als „abgestochen“ von den eigenen Leuten. Loyalität zur Kommissionspräsidentin? Kaum gegeben.
Der rechte Hebel
Ob von links oder rechts – für beide Seiten ist klar: Ursula von der Leyen steht ihren Projekten im Weg. Während Populisten ihr vorwerfen, die nationalen Interessen zu verraten, kritisieren Zentristen ihre Rolle als Ballast für die europäische Idee.
Ein Zusammenschluss von rechten und linken Kräften könnte rechnerisch eine Mehrheit gegen sie mobilisieren. Die Frage ist, ob alte Gräben überwunden werden können – und ob die EVP den Mut aufbringt, das sinkende Schiff zu verlassen.
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