Die Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ sind festgefahren. Beide Parteien beanspruchen das Finanz- und das Innenministerium für sich. Nun treffen sich die Parteichefs mit dem Bundespräsidenten: Am Mittwochnachmittag um 17 Uhr empfängt Alexander Van der Bellen zunächst Christian Stocker (ÖVP), am Donnerstag folgt Herbert Kickl (FPÖ).

Eine wichtige Frage ist, wie sich Van der Bellen in dieser Situation verhalten wird.

Am Donnerstag wird Kickl (r.) ein weiteres Mal bei Van der Bellen (l.) vorstellig werden.APA/TOBIAS STEINMAURER

Die Verfassung setzt dem Bundespräsidenten enge Grenzen – zumindest auf dem Papier. Doch Van der Bellen ist ein erfahrener Politiker, der seinen Handlungsspielraum kennt und durchaus versuchen dürfte, die Dinge in eine für ihn günstige Richtung zu lenken. Man darf nicht vergessen: Das Telefon in der Hofburg dürfte derzeit häufig klingeln. In Brüssel und Berlin gibt es erhebliche Vorbehalte gegen eine blau-schwarze Koalition unter Herbert Kickl. Und auch Van der Bellen steht einer FPÖ-geprägten Regierung bekanntlich skeptisch gegenüber.

Was kann der Bundespräsident tun?

Die Verfassung lässt dem Bundespräsidenten Einflussmöglichkeiten – auch wenn er weder eine Koalition erzwingen noch einfach Neuwahlen anordnen kann. Er kann in dieser Phase durch öffentliche Appelle Stabilität und Verfassungstreue einfordern. Ihm bleibt auch die Möglichkeit, eine Expertenregierung einzusetzen, die allerdings eine Mehrheit im Nationalrat benötigt.

Kann Van der Bellen indirekt versuchen, die Regierungsbildung zu beeinflussen?

Van der Bellen hat verschiedene Möglichkeiten, eine ihm nicht genehme Regierungsbildung zu erschweren, etwa indem er die Verhandlungen durch zeitliche Verzögerung beeinflusst und durch öffentliche Äußerungen Druck auf die Parteien ausüben.

Zudem wird in der Hofburg bereits offen diskutiert, ob eine Expertenregierung eine Alternative sein könnte, sollten die blau-schwarzen Verhandlungen scheitern – der exxpress berichtete. Eine weitere Option wäre theoretisch, dass Van der Bellen eine eigene Kanzlerempfehlung abgibt.

Welche Regierung würde Van der Bellen bevorzugen?

Eine FPÖ-geführte Koalition ist sicher nicht sein Wunschmodell, aber Alexander Van der Bellen weiß, dass er sie praktisch kaum verhindern kann, wenn sich beide Parteien einigen (siehe unten). Sollte das Projekt Blau-Schwarz scheitern, wäre ihm eine Koalition mit stabiler Mehrheit wohl am liebsten – vor allem, um die internationale Glaubwürdigkeit Österreichs zu wahren.

Van der Bellen würde daher vermutlich eine ÖVP-SPÖ-Koalition bevorzugen, da beide Parteien politische Erfahrung und Stabilität bieten. Auch eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS käme ihm entgegen, wenngleich er ihr dem Vernehmen nach geringe Chancen einräumt.

Neuwahlen dürften Van der Bellen hingegen nicht gefallen: Sie würden Unsicherheit bringen und werden laut Umfragen die FPÖ weiter stärken.

Van der Bellens Möglichkeiten, die Grünen wieder ins Spiel zu bringen, sind begrenzt. Auch wenn er ihnen politisch nahe steht, eine Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und NEOS hat schlicht keine Mehrheit. Und die Einbindung der Grünen in eine ÖVP-SPÖ-Koalition wäre zwar theoretisch denkbar, aber von der ÖVP kaum gewollt.

Kann Van der Bellen eine blau-schwarze Regierung verhindern?

Theoretisch ja, indem er die Angelobung verweigert. Allerdings könnte er zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer begründen, warum er sich etwa weigert, Kickl als Bundeskanzler anzugeloben, nachdem er ihm ja bereits den Regierungsbildungsauftrag erteilt hat.

Fest steht: Ohne Angelobung durch den Bundespräsidenten kann eine neue Bundesregierung nicht ins Amt treten. Die Folge wäre, dass alle Beteiligten so lange weiter verhandeln, bis FPÖ oder ÖVP als Koalitionspartner abspringen und sich mit einer anderen Partei einigen, mit der sie eine Mehrheit im Parlament haben.

Im Prinzip könnte der Bundespräsident sofort eine Expertenregierung angeloben und jede Person seines Vertrauens zum Bundeskanzler ernennen. Nur bräuchte diese Regierung eine Mehrheit im Parlament. Andernfalls würde sie sofort durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Das könnte dann in Neuwahlen münden, die Van der Bellen indirekt herbeigeführt hat. Schließlich kann er auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Nationalrat auflösen.

Aber das ist alles Theorie. Wahrscheinlicher ist eine Expertenregierung erst nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen.

Wann könnte Van der Bellen eine Expertenregierung einsetzen?

Eine Expertenregierung könnte am ehesten dann zum Einsatz kommen, wenn sich die Parteien nicht auf eine Koalition einigen können und das Parlament keine mehrheitsfähige Regierung zustande bringt. Das ist ein durchaus denkbares Szenario.

Der Ablauf könnte in etwa folgender sein: Scheitern die Koalitionsverhandlungen, stellt Van der Bellen fest, dass keine arbeitsfähige Regierung zustande gekommen ist. Er könnte dies als Legitimation sehen, um eine Übergangsregierung mit parteiunabhängigen Fachleuten und Verwaltungsbeamten einzusetzen. Diese würde bis zu einer politischen Lösung oder Neuwahlen im Amt bleiben.

Mit einer Expertenregierung könnte Van der Bellen verhindern, dass eine instabile Minderheitsregierung entsteht oder sofortige Neuwahlen das politische Chaos vergrößern. Das wäre für Österreich keine Premiere mehr: Nach dem Ibiza-Skandal setzte Van der Bellen im Jahr 2019 die Expertenregierung Bierlein ein, die das Land bis zu den Neuwahlen stabil hielt. Ein ähnliches Modell könnte wieder auf den Tisch kommen.

Fazit

Nach außen wird sich Van der Bellen als Garant der Verfassung und der Stabilität präsentieren. Doch hinter den Kulissen kann er die Regierungsbildung durch geschickte Manöver beeinflussen – sei es durch Verzögerungen, sei es durch gezielte öffentliche Äußerungen.

Van der Bellens – wahrscheinliches – Ziel: eine aus seiner Sicht tragfähige und international akzeptable Koalition.

Eines kann der Bundespräsident allerdings nicht tun: eine ÖVP-SPÖ-Koalition erzwingen, wenn sich diese beiden Parteien nicht einigen. Theoretisch könnte er aber eine FPÖ-ÖVP-Koalition verhindern und dann, wenn keine andere Koalition zustande kommt, eine Expertenregierung einsetzen.