Der Fall, der vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg verhandelt wird, könnte die Definition offizieller EU-Dokumente nachhaltig verändern – und die Glaubwürdigkeit der EU-Kommissionspräsidentin auf eine harte Probe stellen.

Der Konflikt entbrannte rund um den Abschluss eines der größten Impfstoffgeschäfte in der Geschichte der Europäischen Union. Im Frühjahr 2021 orderte die EU 1,8 Milliarden Dosen des Corona-Impfstoffs von BioNTech/Pfizer – zu einem geschätzten Gesamtwert von 35 Milliarden Euro. Der Deal, der als entscheidend für Europas Impfkampagnen galt, wurde zu einer Zeit vereinbart, als andere Hersteller wie AstraZeneca mit massiven Lieferengpässen kämpften.

Doch es sind nicht die Dosen oder die Milliarden, die nun im Mittelpunkt stehen. Es ist die Frage, ob Ursula von der Leyen dabei auf offizielle Kanäle verzichtete und Verhandlungen über private SMS und Telefonate führte. Ein Anwalt der EU-Kommission bestätigte vor Gericht, dass Nachrichten ausgetauscht wurden, behauptete jedoch, sie seien „nicht relevant“ für die Politik der Kommission und würden daher nicht als Dokumente gespeichert. Dies wirft Fragen auf.

Rechtsstreit um Transparenz

Die New York Times hat auf Grundlage der EU-Verordnung 1049/2001 und der EU-Grundrechtecharta Klage eingereicht, um Einblick in die Kommunikation zu erhalten. Sie argumentiert, dass das öffentliche Interesse an den Inhalten dieser Nachrichten eindeutig überwiege und die EU-Kommission gegen geltende Transparenzgesetze verstoße.

Der Streit vor Gericht könnte darüber hinaus die Grundlage dafür legen, welche Kommunikationsformen künftig als offizielle Dokumente gelten – eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Der Journalist Alexander Fanta, der den Fall ins Rollen brachte, betonte: „Es geht auch darum, was die Europäische Kommission als Dokument wertet und was nicht.“

Bisher sind SMS, Webex-Unterhaltungen oder Teams-Nachrichten nicht speicherpflichtig. Sollte das Gericht die Klage der New York Times unterstützen, könnte dies neue Standards schaffen und die Dokumentationspflicht der EU-Institutionen erheblich ausweiten.

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Schatten aus der Vergangenheit

Die aktuelle Kontroverse um die Pfizer-SMS wirft zudem neue Schatten auf Ursula von der Leyens Vergangenheit. Kritiker erinnern an den sogenannten „Berateraffären“-Skandal während ihrer Zeit als Verteidigungsministerin. Damals wurden auf ihrem Diensthandy alle SMS gelöscht, bevor sie einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss übergeben werden konnten.

Auch die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) hat Ermittlungen aufgenommen. Der Europäische Rechnungshof hatte zuvor die Verhandlungen mit Pfizer als intransparent und fehlerhaft kritisiert. Hinzu kommt, dass mindestens 215 Millionen Dosen aus dem Deal, die aufgrund abgelaufener Haltbarkeitsdaten nicht genutzt werden konnten, bereits vernichtet wurden. Der daraus entstandene Schaden für die Steuerzahler beläuft sich auf rund 4 Milliarden Euro, wie Politico berichtete.

Ein Urteil mit Signalwirkung

Das Verfahren ist nicht nur eine juristische Prüfung der Kommunikationspraktiken der EU-Kommission, sondern könnte zum Testfall für deren Transparenzpolitik werden. Sollte das EuG die Offenlegung der fraglichen Nachrichten anordnen, würde dies von der Leyens Führungsstil infrage stellen.

Der Ausgang dieses Prozesses könnte weitreichende politische und rechtliche Folgen haben – nicht nur für die Kommissionspräsidentin, sondern für die gesamte Europäische Union.