Ein TV-Interview des bekannten polnischen Generals Rajmund Andrzejczak lässt zurzeit in Polen die Wogen hochgehen. Andrzejczak, der noch vor kurzem – bis Oktober 2023 – Generalstabschef der polnischen Armee war, hält darin fest: Polen müsse sich auf einen Krieg mit Russland vorbereiten. Es blieben noch zwei bis drei Jahre. Überdies fand er gegenüber dem Nachrichtensender Polsat News dramatische Worte über die Lage an der Front: „Dieser Krieg wird von den Ukrainern verloren.“

Zu wenig Soldaten, zu wenig Rüstung, eine dramatische Lage an der Front: Der polnische Offizier zeichnet ein düsteres Bild vom Kriegsverlauf in der Ukraine.

Putin nach Präsidentschaftswahlen gestärkt

General Andrzejczak nimmt sich anscheinend kein Blatt vor den Mund. Schon vor einem Jahr, als sich noch viele Hoffnungen bezüglich der Gegenoffensive der Ukraine machten, erklärte er in einem TV-Interview unumwunden: „Wir haben keine Munition mehr für die Ukraine. Unsere Industrie ist nicht in der Lage, die Ausrüstung in die Ukraine zu schicken und unsere eigenen schwindenden Reserven zu erhalten“, und: Auch Sanktionen können Russland nicht stoppen. Diese ehrliche Einschätzung der Lage sei für viele ein „Schock“ – der eXXpress berichtete damals.

Ein Jahr später dürften weit mehr Personen Andrzejczaks damalige Beurteilung teilen. Umso bedrückender ist, was der General jetzt zu sagen hat. Er sieht Putin nach den Präsidentschaftswahlen in Russland gestärkt. Jetzt werde vieles für den Kreml-Chef einfacher, darunter auch eine weitere Mobilisierungswelle. „Das verheißt nichts Gutes, weder für die Ukraine noch für Polen“, räumte der Offizier ein.

Nach den Präsidentschaftswahlen sei eine weitere Mobilisierungswelle durch Putin möglich, meint der General.

Kiews Probleme: Unvollständige Truppen, schwierige Mobilisierung, zu wenig Ausrüstung

Auch auf die aktuelle Lage an der Front geht der TV-Gast ein, die er als „sehr, sehr dramatisch“ bezeichnet: „Es gibt keine Wunder im Krieg.“ Ein Wechsel des Oberbefehlshabers könne die Lage nicht ändern. „General Oleksandr Syrskyj steht vor dem gleichen Dilemma wie vor ihm General Walerij Saluschnyj. Er musste die Truppen zurückziehen, um die Frontlinie zu ordnen. Alle Probleme, die Saluschnyj hatte, sind geblieben“.

Als Probleme der ukrainischen Armee nannte der General den Mangel an vollständigen Truppen, die Schwierigkeiten bei der Mobilisierung, die begrenzte Versorgung mit Ausrüstung und die erlittenen Verluste: „Es fehlen mehr als zehn Millionen Mann. Ich schätze, dass die Verluste in Millionen und nicht in Hunderttausenden zu beziffern sind. Das Land hat keine Ressourcen mehr und niemanden, der kämpfen kann“, hält er fest.

Zu Berichten, wonach den Ukrainern bis Ende März die Flugabwehrraketen ausgehen werden, meint Andrzejczak: „Das bedeutet effektivere Angriffe, mehr Opfer, mehr zerstörte Elemente der staatlichen Infrastruktur. Diesen Krieg verlieren die Ukrainer“, lautet sein bitteres Fazit.

Walerij Saluschnyj (50, Bild) war bis Februar Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine.APA/AFP/UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS SERVICE/HANDOUT

Polen sollte Atomwaffen besitzen, findet Andrzejczak

Einen Krieg mit Russland schließt Andrzejczak nicht aus. Über den Zeitpunkt meint er: „Es hängt viel von uns ab, ob es in zwei, drei oder fünf Jahren sein wird. Unsere Aufgabe besteht darin, die Bedrohung zu beseitigen. Dafür ist noch Zeit, aber es gibt noch viel zu tun.” TV-Moderator Bogdan Rymanowski möchte wissen, ob noch zwei oder drei Jahre Zeit zur Vorbereitung bleiben. Dabei verweist er auf deutsche Geheimdienstdaten, denen zufolge Russland nach 2026 einen der NATO-Mitgliedstaaten angreifen könnte. Darauf der General: „Ich denke ja”.

Ebenso fragt Rymanowski, ob Polen zur Gruppe der Länder gehören sollte, die Atomwaffen besitzen. „Meiner Meinung nach: absolut ja. Das würde uns in eine ganz andere Liga versetzen“, antwortet Andrzejczak. Auf die Frage, ob der Besitz von Atomsprengköpfen die Russen abschrecken würde, entgegnet Rajmund Andrzejczak: „Ich glaube, sie würden Angst haben.“