Dass die FPÖ in den Umfragen auf Platz eins liegt, ist nichts Neues. Ungewöhnlich ist nur, dass sie das schon so lange ist nämlich seit mehr als einem Jahr. „Die FPÖ hatte in den Umfragen die Pole-Position schon zwei Mal“, sagt der Historiker Prof. Lothar Höbelt (67) im Interview auf eXXpressTV, nämlich „einmal knapp vor der Regierungsbeteiligung im Jahr 2000, und dann am Höhepunkt der Asylantenflut im Jahr 2016.“ Dass die Freiheitlichen erstmals über einen so langen Zeitraum vorne liegen, führt Höbelt, der mehrere Jahrzehnte Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien war, auf die Schwäche der anderen Parteien zurück.

„Bei den Umfragen gab es einen Einschnitt mit dem Rücktritt von Kurz“

Höbelt: „Was diese Position der FPÖ so untermauert ist nicht, dass sie so besonders gut ist, sondern, dass die Anderen so besonders schlecht sind.“ Die FPÖ hatte schon in der Vergangenheit 27 Prozent erreicht, nur hatte das bisher nicht für den ersten Platz gereicht. Zurzeit werde die Volkspartei vor allem für die Koalition mit den Grünen abgestraft: „Bei den Umfragen gab einen eindeutigen Einschnitt: Die ÖVP war bei ungefähr 30 Prozent bis zum Rücktritt von Sebastian Kurz und dann fiel sie auf 20 Prozent, und davon kommt sie bisher nicht weg.“

Prof. Lothar Höbelt (r.) im Gespräch mit Stefan Beig (l.)

Diese zehn Prozentpunkte an bürgerlichen Wählern „waren lange Zeit im Wartesaal: Sie waren mit Recht angefressen auf alles, was da so passiert ist, aber Kickl war nicht unbedingt die erste Adresse. Nun sind sie über kurz oder lang zu Blau zurückgekehrt. Man kann nicht die ÖVP dafür belohnen, dass sie vor den Grünen den Kotau macht. Der Kurz-Rücktritt war das Symbol dafür.“

„Eine Koalition mit den Grünen ist der Gruß des Todes“

Mit Blick auf die Ampelkoalition in Deutschland meint der Historiker überdies: „Eine Koalition mit den Grünen ist der Gruß des Todes, der dem Partner immer enorm schadet.“ Die Grünen würden ein Programm fahren, „das die Leute wirtschaftlich behindert und schädigt“. Überdies leide die österreichische Koalition darunter, dass „einfach zu unterschiedliche Interessen und Mentalitäten aufeinander stoßen. So etwas ist lustig als kurze Partnerschaft, aber für eine dauerhafte Zusammenarbeit ist das halt der schlechtest mögliche Ausgangspunkt.“

eXXpress-Redakteur Stefan BeigeXXpressTV

Grundsätzlich dürfte den Wählern keiner der jetzigen Spitzenkandidaten ein besonderes Anliegen sein: „Wenn ich die Umfragen richtig lese, sind die Kanzlerpräferenzen alle unter den Parteipräferenzen. Da ist kein Kurz, Haider, Kreisky oder Schüssel.“ Aber wenn man die ÖVP nicht für die Koalition mit den Grünen belohnen kann, „was soll man dann sonst wählen als Blau?“

„Herbert Kickl ist kein blaues Urgestein“

Herbert Kickl sei „kein blaues Urgestein“ – im Gegensatz zu Haider oder Strache. „Er ist hochintelligent. Er ist niemand, der eine Buberlpartie um sich schanzt, sondern er ist eher jemand von einsamen Entschlüssen, und er führt die Partei recht geschickt, weil er sich nämlich in viele Dinge nicht so einmischt, wie es Haider getan hätte.“

Inhaltlich sei Kickl „mehr Populist und weniger rechts. Die Themen, mit denen er gerade auffällt, wie die Corona-Aufarbeitung, sind nicht klassisch rechts. Schon gar nicht die Neutralität: In den 1990er hat Haider noch gesagt, wir müssen zur NATO. Das sind alles nicht klassisch freiheitliche Themen, die er jetzt besonders besetzt, weil er halt hofft, dass da Leute kommen, die sonst mit der FPÖ relativ wenig zu tun hätten.“

Überdies erläutert Prof. Höbelt, der auch ein langjähriger FPÖ-Kenner ist, weshalb die Politik immer schriller wird, weshalb das Nein der ÖVP zu einer Koalition mit Kickl ein Fehler sein dürfte, weshalb nach der Wahl Blau-Schwarz bzw. Schwarz-Blau doch wahrscheinlicher sein könnte, und er Kickls politische Überzeugungen einschätzt.