Da „draußen gibt es Feinde – die Politik, die Reichen, die Konzerne und die Polizei“. Das sei die „gemeinsame Überzeugung“ der Anhänger der „Letzten Generation“, sagt die Diplompsychologin Maria-Christina Nimmerfroh von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Dadurch würde das Zusammengehörigkeitsgefühl massiv gestärkt: „Das ist eine geschlossene Gruppe, deren Zusammenhalt darauf basiert, dass es von außen Widerstand gibt.“

Die Forscherin hatte sich ein Jahr lang undercover bei der „Letzten Generation“ eingeschleust, und nahm an Protesttrainings teil. Sie wollte vor allem die Beweggründe der Mitglieder verstehen. Zu diesem Zweck gab sie vor, selbst Gruppenmitglied werden zu wollen, nannte aber nicht ihren richtigen Namen. Im Interview mit der „Berliner Zeitung“ spricht sie über ihre Entdeckungen.

Wir-Gefühl wie bei einer Sekte

Die Anhänger fühlten sich von ihren eigenen Aktivitäten und deren Wirksamkeit angespornt, sagt Nimmerfroh. Das Empfinden sei: „Ich bin sofort Teil einer Bewegung und kann etwas machen, was in der Öffentlichkeit enorm wahrgenommen wird. Ein Wir-Gefühl entsteht und darum kümmert sich die Gruppe auch durch Tandempartner und Bezugsgruppen.“

Warum tun die Chaoten diesen Protest sich selbst und den anderen Menschen an?Sean Gallup/Getty Images

Allerdings würden die Narrative von oben vorgegeben „und nicht diskutiert oder abgestimmt. Es gibt Sätze, die man nicht mehr sagen darf, die Gruppe ist extrem regelbehaftet.“

Klimakleber vor Ort wissen kaum etwas über Geldgeber und Hintermänner

Das wird von den Klimaklebern nicht hinterfragt. So kritisch deren Einstellung gegenüber der bösen Welt draußen ist, so vertrauensselig ist sie offenbar gleichzeitig gegenüber der eigenen Organisation. Dass es eine Kerngruppe gibt und eine streng hierarchische Struktur, scheint sie nicht zu interessieren. Auch woher das viele Geld kommt, hinterfragen sie nicht: „Der Kenntnisstand der Personen innerhalb der Letzten Generation unterscheidet sich sehr stark: Über Finanzierung, hauptamtliche Stellen und den Wechsel der Forderungen und inhaltlichen Schwerpunkte. Die Personen, die vor Ort aktiv sind, wissen darüber oft wenig. Ich bin nicht richtig dahinter gestiegen, warum das so ist.“

Das Brandenburger Tor wurde von der Letzten Generation mit orangener Farbe angesprüht.APA/dpa/Paul Zinken

Das findet auch Maria-Christina Nimmerfroh mekrwürdig: „Wie kann man so hohe Risiken für die Organisation eingehen und gar nicht wirklich wissen, woher das Geld kommt und wie die Entscheidungen fallen?“ Hier zeige sich ein Selektionsprozess: „Nur die Personen, für die dieser Informationsstand in Ordnung ist, bleiben bei der Gruppe. Die Gruppe ist relativ klein, dafür, dass sie so eine hohe Bedeutung hat.“

Wer ins Gefängnis wandert, wird zum Vorbild

Stark gefördert und gepflegt werde auch die Sehnsucht nach dem Martyrium. Die Anhänger bereiten sich auf Gefängnisaufenthalte und teure Strafen vor. „Es gibt die interne Ansage ‚wir wollen die Knäste füllen‘. Die Letzte Generation heroisiert Personen, die ins Gefängnis gehen. Diese Personen schildern ganz oft, wie sie ihre eigene Angst überwunden haben. Das soll Vorbildcharakter haben.“ Das Narrativ: Man überwindet seine Ängste und geht für eine große Sache ins Gefängnis.

Im deutschen Strafrecht ist der Gefängnisaufenthalt nun mal die schärfste Sanktion des Staates. Deshalb könne man von einem Märtyrertum sprechen. „Die zweitstärkste ist der Vermögensverlust und der wird ja auch propagiert, damit Schadensersatzforderungen nicht vollstreckt werden können.“ Auch darauf werden die Akteure vorbereitet. „Es gibt Fortbildungsveranstaltungen für das dauerhafte Leben unter der Armutsgrenze. Mehr Märtyrertum kann ich mir für den Rechtsstaat nicht vorstellen.“

Maria-Christina Nimmerfroh Psychologin forscht zur gesellschaftlichen Wirkung von Non-Profit-Organisationen an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Dort leitet sie die Spezialisierung Wirtschaftspsychologie. Früher arbeitete sie als Gerichtsreporterin und trat 2022 für die FDP als Bürgermeisterkandidatin in Griesheim an.