Fast 500 Schiffe dürften eine wesentliche Rolle beim Transport russischen Rohöls nach China und in andere Häfen Asiens spielen. Die meisten davon sind alte Tanker mit unklaren Besitzern und Versicherern. Sie werden als „Geister-“, „Schatten“- oder „dunkle“ Flotte Russlands bezeichnet. Mit ihrer Hilfe dürfte Russland die im vergangenen Dezember eingeführte Preisobergrenze der G7 und der EU umgehen. Die Obergrenze sollte Öleinnahmen Russlands in Fremdwährung verhindern.

Uralöl kostet bereits mehr als 60 Dollar pro Barrel

Zurzeit dürfte die „Geisterflotte“ für den Kreml besonders wichtig sein. Der Wert des Uralöls hat nämlich die Preisobergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel überschritten. Diese Obergrenze verbietet westlichen Unternehmen den Transport, die Wartung oder die Vermittlung von Ladungen russischen Rohöls, deren Wert diesen Preis übersteigt.

Doch Russland hat sich darauf offenbar vorbereitet. Als sich die Sanktionen abzuzeichnen begannen, wurden plötzlich alternde Rohöltanker in hoher Zahl gekauft. Deren Käufer waren dem Markt bis dahin unbekannt. Ein Zufall? Wohl kaum.

Putins „Geisterflotte“ soll aus insgesamt 500 großteils alten Tankern bestehenGetty

Gebrauchsmarkt für alte, kaputte Tanker geriet ins Wanken

Die Umstellung auf die Geisterflotte soll Monate gedauert haben. „Als klar war, dass es Sanktionen geben würde, geriet der Gebrauchtmarkt für alte, kaputte Tanker ins Wanken“, sagt Michelle Wiese Bockmann, leitende Analystin bei Lloyd’s List Intelligence, die ausführlich über Russlands dunkle Flotte berichtet hat, gegenüber dem „Guardian“. „Es gab Hunderte von Transaktionen, und alle schlossen sich dieser dunklen Flotte an und begannen, russisches Öl zu transportieren.“

So habe sich etwa der Wert eines 16 oder 17 Jahre alten mittelgroßen „Aframax“-Tankers innerhalb von sechs Monaten verdoppelt. Dabei weigern sich die meisten großen Ölkonzerne, Tanker zu chartern, die älter als 15 Jahre sind.

Mit verschiedenen Tricks gelangt das Öl auch in westliche Länder

Das aus Russland heimlich transportierte Öl wird später in Indien und anderswo raffiniert und sogar in jene westlichen Länder exportiert, die Sanktionen gegen den Kreml verhängt haben. Zuvor sollen die Schiffe verschiedene Taktiken nutzen, um ihren Standort oder die Herkunft des transportierten Rohöls aus russischen Häfen zu verbergen. Bockmann nett „‚AIS-Lücken‘, die durch das Ausschalten des Transponders des automatischen Identifikationssystems eines Schiffs entstehen; Schiff-zu-Schiff-Transfers in internationalen Gewässern, die keiner Kontrolle unterliegen; ‚Flag-Hopping‘ oder Änderung des Registrierungslandes eines Schiffes; und ‚komplexe Eigentums- und Managementstrukturen, die sich jeden Monat ändern‘“.

Zahlreiche Lücken im Schiffsmarkt verhindern eine Durchsetzung des Embargos.Getty

Regulierungslücken zu groß: Embargo lässt sich kaum durchsetzen

Fast 12 Prozent des weltweiten Schifffahrtsmarkts sollen mittlerweile „dunkel“ sein und die Regulierungslücken ausnützen. Beispiele gibt es mittlerweile zuhauf. Eines davon führt kürzlich vor Augen, dass dieses Vorgehen nicht frei von Risiko ist, denn manche alternden Schiffe gelten als unsicher.

Das war etwa bei der 27 Jahre alten Pablo der Fall. Der in Gabun registrierte Tanker erlitt im Mai vor Malaysia eine große Explosion. Laut „Le Monde“ soll das Schiff nachweislich sanktioniertes iranisches Rohöl transportiert und hatte wahrscheinlich gerade russisches Öl an einen chinesischen Hafen geliefert haben, bevor sich der Unfall ereignete.

Zu den bisher unbekannten Unternehmen gehört etwa Gatik Ship Management. Es gab in etwa 12 Monaten 1,5 Milliarden US-Dollar aus, um eine Flotte alter Schiffe zu erwerben, die ausschließlich mit russischem Öl und russischen Produkten handelten. „Ich habe so etwas noch nie gesehen und beobachte diese Branche seit 25 Jahren“, sagt Bockmann. Der Financial Times zufolge steht Gatik wahrscheinlich in Verbindung mit Rosneft, dem russischen Ölgiganten.

Es gibt Regulierungslücken und Mängel, die verhindern, dass ein Embargo jemals durchgesetzt werden kann. Dazu Bockmann: „Wenn man sich in der Schifffahrt verstecken will, ist das sehr, sehr einfach.“