Im Jahr 2014, als der pro-russische Präsident Wiktor Janukowytsch gerade im Begriff war, aus der Ukraine zu fliehen, rief Wladimir Putin die Leiter seiner Militär-, Sicherheits- und Spionageabteilungen zu einer nächtlichen Sitzung. Stundenlang wurde beraten. Um sieben Uhr morgens verkündete Putin: “Wir müssen damit beginnen, die Krim an Russland zurückzugeben”.

"Sie schüren Putins Ängste"

Eine der schicksalhaftesten Entscheidungen Putins fiel im Umkreis seiner höchsten Sicherheitsbeamten. Seit damals erlebt Russland eine zunehmende Isolation, gleichzeitig steigt die Bedeutung der russischen Sicherheitsleute rund um Putin – in Russland Silowiki genannt. Viele dienten beim KGB, haben konservative Ansichten und vertreten Verschwörungstheorien. Sie “beherrschen die Tagesordnung, schüren Putins Ängste und provozieren Spannungen und eskalieren”, sagt Tatjana Stanowaja, Gründerin des politischen Analysehauses R.Politik. Es sind vor allem vier Männer:

Nikolai Patruschew

Nikolai Patruschew ist auch Vorsitzender des russischen Volleyballverbands.getty

Der Leiter des russischen Sicherheitsrates Patruschew spielt die informelle Rolle von Putins nationalem Sicherheitsberater. Patruschew ist von Beruf Geheimdienstoffizier und kennt Putin seit den 1970er Jahren, als beide noch gemeinsam für den KGB in Leningrad gearbeitet haben. Später wurde er Putins Nachfolger als Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB und ist seit 2008 Vorsitzender des Sicherheitsrats. In Interviews hat er sich als Verschwörungstheoretiker geoutet. Er glaubt, die westlichen Mächte wollen Russland zerstören. “Den Vereinigten Staaten wäre es viel lieber, wenn Russland überhaupt nicht existieren würde, als ein Land”, sagte er 2015 in einem Interview.

Seine Rhetorik zur Ukraine, die er als “Protektorat” des Westens bezeichnet, ähnelt der von Putin. “Jeden Moment kann es in der Ukraine zu so starken Spannungen kommen, dass Millionen von Ukrainern fliehen und an anderen Orten Zuflucht suchen werden”, sagte er kürzlich in einem Interview, in dem er einen möglichen Konflikt vorhersagte.

Patruschew soll Attentate genehmigt haben, darunter die Ermordung des russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko. Jene russischen Agenten, die mutmaßlich den gescheiterten Staatsstreich 2016 in Montenegro ausführen wollten, sollen in Patruschews Flugzeug Montenegro verlassen haben.

Sergej Naryschkin

Naryschkin kümmert sich darüber hinaus um die Interpretation russischer Geschichtegetty

Der Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes Naryschkin soll ebenfalls ehemaliger KGB-Offizier sein und Putin spätestens seit den 1990er Jahren kennen, als beide im Büro des Bürgermeisters von St. Petersburg arbeiteten. Naryschkin ist ein Putin-Loyalist, der dem russischen Staatschef in den Kreml gefolgt ist und ab 2004 als stellvertretender Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Entwicklung, ab 2008 als Leiter der Präsidialverwaltung von Dmitri Medwedew und von 2011 bis 2016 als Vorsitzender des Parlaments der Staatsduma diente. Er ist ein geschickter Redner, der gelegentlich als potenzieller Putin-Nachfolger gehandelt wurde.

Naryschkin ist auch ein Hardliner, der sich mit Verschwörungstheorien beschäftigt. In einem Interview zu Jahresbeginn nannte er den Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny eine westliche Verschwörung. Der Westen habe mit Hilfe eines “Opfers” die russische Opposition unterstützen wollen. Anfang 2022 verglich er die ukrainische Regierung mit “Hitlers Besatzung”. Auf die Frage, ob er jemals verraten worden sei, sagte er in einem Interview: “Eines beruhigt mich: Diese Verräter sind entweder schon im Feuer der Hölle verbrannt oder werden es mit Sicherheit tun”.

Naryschkin (r.) im Gespräch mit Patruschewgetty

Naryschkin steht der Russischen Historischen Gesellschaft vor, die eine aggressive Rolle bei der Förderung günstiger Interpretationen der russischen Geschichte spielt – ein Lieblingsprojekt Putins.

Bei der im Fernsehen gezeigten Sitzung des Sicherheitsrates kurz vor Beginn der Invasion wurde Bortnikow von Putin bloßgestellt: Stammelnd sprach sich Naryschkin statt für die Anerkennung für die Annexion der Gebiete aus, wovon damals offiziell eigentlich noch nicht die Rede – heute schon eher.

Alexander Bortnikow

Kennt Putin ebenfalls seit den 1970er Jahren: Alexander Bortnikowgetty

Als Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB spielt Bortnikow eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung von Putins Kontrolle über das Land. Der ausgedehnte Sicherheitsapparat beschäftigt Hunderttausende von Mitarbeitern und ist für alles zuständig, von der Terrorismusbekämpfung über die Grenzsicherung, die Spionageabwehr und die elektronische Überwachung bis hin zur inoffiziellen Terrorisierung der politischen Opposition. Auch Bortnikow kennt Putin seit den 1970er Jahren, als beide im Leningrader KGB dienten. Sein Einfluss auf Putin dürfte aber geringer sein, als jener von Patruschew oder Naryschkin.

Die Söhne von Bortnikow und Patruschew sind einflussreiche russische Beamte geworden. Dmitri Patruschew ist der russische Landwirtschaftsminister und Denis Bortnikow ist stellvertretender Präsident und Vorstandsvorsitzender der staatlichen VTB-Bank.

Sergej Schoigu

Sergej Schoigu macht gemeinsam Jagdurlaube mit Putingetty

Schoigu war weder beim KGB noch beim Militär. Aber wegen seiner Aufsicht über Russlands Militär, einschließlich des aggressiven Militär-Nachrichtendienstes GRU, ist er häufig an wichtigen Sicherheitsentscheidungen oder zumindest an deren Umsetzung beteiligt. Es war Schoigus Befehl, der die plötzliche Truppenaufstockung im März/April beendete, die in Europa erstmals die Alarmglocken wegen der Möglichkeit einer neuen russischen Invasion in der Ukraine läuten ließ. Ebenso überwachte er in Weißrussland jene “Kriegsspiele”, die als Deckmantel für die Vorbereitung auf den Angriff dienten.

Schoigu stammt aus Tuwa, einer buddhistischen Republik in Sibirien, die an die Mongolei grenzt. Putin und Schoigu machen regelmäßig kurze Jagd- und Angelurlaube in Sibirien, die Schoigu direkten und ungehinderten Zugang zum russischen Präsidenten verschaffen. Evgeny Minchenko, ein politischer Analyst, der eine Rangliste russischer Beamter erstellt, sagte Anfang dieses Jahres: “Im Moment gibt es nur ein einziges Mitglied des Kabinetts, das dem Politbüro 2.0 angehört. Und das ist Schoigu.”