Anfang dieser Woche twitterte ein Redakteur des Standard, „im Pisa-Ranking nicht vorne zu sein, ist jedenfalls einmal kein schlechtes Zeugnis für das Schulsystem eines Landes.“ Die Top Performer der PISA Studie von 2018 sind China, Singapur, Estland, Japan und Südkorea – was zeigt, dass mit Ausnahme des kleinen baltischen Staates Asien bei der Schulbildung die Nase vorne hat. Österreichs Schüler finden sich im unteren Mittelfeld, und das sei kein Grund zur Sorge, da ja die heimischen Kinder glücklicher seien als ihre unter massivem Leistungsdruck stehenden Kommilitonen in Fernost.

Die österreichische Einstellung zum Bildungssystem erinnert ein bisschen an einen Betrunkenen dem im Glücksgefühl des Rausches nicht klar ist, dass irgendwann der Kater folgt. Ein Dauerrausch mag vergnüglich klingen, aber besonders produktiv ist er langfristig nicht. Ich will damit nicht sagen, dass mir das Wohlfühlen von Kindern nicht am Herzen liegt, aber ich mache mir Sorgen, dass dieser Fokus uns immer weiter im Wettbewerb mit Asien zurückfallen lässt. Die Idee, dass der Wohlstand, den wir heute genießen eine Art Geburtsrecht sei und der Rest der Welt nur die materiellen Güter produzieren wird, die wir dann konsumieren ist fatal. Und wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen wird es auch eine kollektive Anstrengung benötigen und nicht nur den Wunsch, sich möglichst wohl zu fühlen. Wer es sich in der Gegenwart bequem machen möchte, wird von der Zukunft überrollt werden.

Hollywood sieht China mittlerweile als wichtigeren Markt als Europa

In China erinnert man sich noch gut an den Besuch einer britischen Delegation von 1792 die mit allerhand europäischen Innovationen am Hof von Kaiser Qianlong auftauchte. Man habe keinen Bedarf am Schnickschnack des Westens ließ der Kaiser die Briten wissen und schickte sie wieder nach Hause. China sollte diese Arroganz bereuen, als die Europäer knapp 50 Jahre später nicht mit Teleskopen, sondern mit Kanonenbooten zurückkehrten. Im ersten Opiumkrieg 1839 demütigten und beendeten europäische Waffen das chinesische Selbstverständnis als global dominierendes Reich der Mitte. Über den Niedergang Chinas sind viele Bücher geschrieben worden, doch alle kommen zu dem Schluss, dass das Hauptproblem eine innere Stagnation war, die das ganze Land erfasst hat. Statt sich zu modernisieren, fixierte das kaiserliche Bildungssystem auf Etiquette und Konfuzius, während die Europäer den modernen Nationalstaat entwarfen. Im Peking des 21. Jahrhunderts setzt man alles daran, diesen Fehler nicht zu wiederholen. So wie in Taiwan, Singapur und Südkorea setzt man auf ein Schulsystem, welches sicherstellen soll, dass dem Staat die besten Köpfe zur Verfügung stehen. Während in Österreich es mittlerweile eine Ausnahmeerscheinung ist, wenn ein führender Politiker ein Studium nicht nur begonnen sondern auch abgeschlossen hat, sind von den Mitgliedern des Politbüros unter Xi Jinping ein Großteil fertig ausgebildete Ingenieure oder Techniker.

Aber nicht nur in Asien, sondern auch außerhalb macht sich diese Mentalität bemerkbar. Asiatische Studenten an westlichen Universitäten zählen zu den Top-Performern, und machen sich über den geringeren Leistungsdruck im Vergleich zu den Institutionen in ihren Heimatländern lustig. Und bevor jetzt der Einwand kommt, diese Studenten würden nur gute Mathematiker sein aber wir Europäer seien ja so unendlich kreativ: Das mag vor 100 Jahren noch gestimmt haben, aber auch in der Kunst- und Kulturszene holt man im Osten auf. Hollywood sieht China mittlerweile als wichtigeren Markt als Europa, und Südkorea hat eine Filmindustrie, die mit Europa leicht mithalten kann – egal ob Filme („Parasite“) oder Serien („Squid Game“).

Wir haben in Österreich und Europa vergessen, dass wir als Zivilisation auf dem kulturellen Kapital vergangener Generationen aufbauen, und unser heutiger Wohlstand weniger auf unseren kontemporären Leistungen als auf jenen der vorangegangenen Generationen beruht. Aber wie lange wird das noch möglich sein? Auf die Frage, wie er bankrottgegangen sei antwortet ein fiktiver Charakter in Ernest Hemingways „The Sun also Rises“ folgendermaßen: „Auf zweierlei Weise, erst schleichend und dann plötzlich“. Eine Zivilisation die sowohl moralisch als auch wirtschaftlich über ihre Verhältnisse lebt, kann keinen permanenten globalen Führungsanspruch reklamieren, und irgendwann wird sich das auch im sinkenden Wohlstand der Bevölkerung widerspiegeln. Wie das Handelsblatt berichtet, hat sich der Anteil Deutschlands an den weltweit exportierten Hightech-Waren seit 1990 nahezu halbiert – der von China jedoch dementsprechend zugenommen. Im Hightech Bereich dominiert mit den USA im Moment noch ein westlicher Staat, aber auch das muss nicht ewig anhalten. Wenn nach der Produktion auch die Innovation Richtung China abwandern sollte, werden europäische durch chinesische Konzerne ersetzt werden und dann wird auch die Wertschöpfung vermehrt in Asien und nicht mehr in Europa stattfinden.

Mit dem kommenden Wohlstandsverlust kommt auch der langsame Abstieg in die geopolitische Bedeutungslosigkeit: Während des Schreibens dieser Zeilen verhandeln Russland und die USA über die zukünftige Sicherheitsarchitektur Europas, und praktisch kein einziger Vertreter der EU ist an diesen Gesprächen beteiligt.

Gleichzeitig bereitet man sich in Teilen Europas mit stoischer Ruhe auf einen möglichen Blackout vor, der Annahme, dass aufgrund der katastrophalen Energiepolitik der letzten Jahre kurzfristig der Strom auch für längere Zeit ausfallen könnte. So wie es in Kabul eben nur zu bestimmten Zeiten eine verlässliche Stromversorgung gibt, wäre es dann auch in Wien und Berlin. Von der ersten Kernspaltung am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin 1938 in den Blackout 2022. Oder wie Hemingway sagen würde, der Abstieg kam zuerst schleichend, dann plötzlich.

Wir brauchen ein Schulsystem, das den Leistungsgedanken wieder forciert

Der aufmerksame Leser fragt sich wahrscheinlich, was das Abschneiden bei der PISA Studie mit Geopolitik zu tun hat. Die Antwort darauf liefert Arthur Wellesley, besser bekannt als der 1. Duke of Wellington und Bezwinger Napoleons in der Schlacht bei Waterloo 1815: „Die Schlacht von Waterloo wurde auf den Spielfeldern von Eton entschieden.“ Was Wellington damit meinte, war dass das britische Schulsystem (mit dem Internat Eton als Beispiel) jene Werte vermittelte, welche den militärischen Erfolg über Napoleon erst möglich gemacht haben. Doch welche Werte vermitteln wir in unseren Schulen heute?

Die europäische Bildungspolitik des 18. und 19. Jahrhunderts wird in der heutzutage üblichen Ideologisierung der Geschichte gerne als imperialistisch, nationalistisch und proto-faschistisch abgetan, aber gleichzeitig genießen wir alle noch die Ergebnisse ebendieser Politik. Das im Niedergang befindliche humboldtsche Bildungsideal mit seiner Betonung des autonomen Individuums und einer ungezügelten Neugierde gegenüber der Welt war Europas Geheimwaffe im Kampf um die globale Vorherrschaft. Man vergisst es gerne, aber neben den unbestreitbaren Schattenseiten waren die europäischen Imperien nicht nur Zerstörer, sondern durchaus auch Bewahrer. Es waren die Europäer, denen es gelang, die Hieroglyphen zu übersetzen und es war in den europäischen Metropolen wo Institute gegründet wurden, welche sich zu 100% der Erforschung nicht-europäischer Kulturen widmeten. Der britische Historiker Niall Ferguson beschreibt in seinem Buch „Der Westen und der Rest der Welt: Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen“ auf kompakte Art und Weise, wie es insbesondere der Zugang zu Bildung und Wissenschaft war, welcher die Europäer von einem Hinterwäldlertum im 15. Jahrhundert innerhalb von 300 Jahren an die Weltspitze katapultierte. Wie Ferguson ebenfalls richtig anmerkt, nichts von alledem hat mit Rasse oder Genetik zu tun, sondern mit Ideen welche von jeder Gesellschaft wie eine App „downloadbar“ sind. Und exakt das passiert in Asien: Von der Meiji Restauration in Japan 1868 über die Unabhängigkeit Singapurs 1959 bis zum modernen China imitieren und verbessern nicht-westliche Staaten ursprünglich westliche Ideen – inklusive katastrophaler Ideen wie jener des Kommunismus. Während in den europäischen (und auch US-amerikanischen) Schulen die kommende Generation mit einer Art Dauerschuldkomplex bezüglich der eigenen Geschichte indoktriniert wird, lehrt man außerhalb des Westens mit westlichen Methoden – und befindet sich zunehmend auf der Überholspur.

Eine der häufigsten Antworten auf den Tweet des oben erwähnten Redakteurs war, dass es besser sei, glückliche als kluge Kinder in den Schulen zu haben. Ich kann dieser Idee emotional einiges abgewinnen, aber nachhaltig ist sie nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob unsere Schüler wirklich glücklicher sind. Die von den Medien gehypte „Fridays-For-Future“ Bewegung mit ihren Schülerstreiks (eigentlich eine Form der Bildungsvermeidung) ist mittlerweile mehr eine sektenartige Massenpsychose, welche immer mehr junge Menschen in eine von Klimaängsten getriebene Depression stürzt. Kombiniert mit zwei Jahren Coronapolitik und Schullockdowns wird hier die Zukunft einer ganzen Generation verspielt, und deren Glück wird mit sinkenden Berufschancen auch nicht zunehmen.

In den letzten beiden Jahren wurden im Zuge der Coronakrise die Schulanforderungen immer weiter zurückgeschraubt und das Leistungsniveau weiter nach unten nivelliert. Statt jetzt eine massive Schul- und Universitätsreform durchzuführen, bei der die unsäglich langen Ferien und intellektuellen Leerläufe abgeschafft werden, bleibt alles wie es ist. Der Arbeitsminister beklagt einen drohenden Mangel an Fachkräften und die heimischen Unternehmen vom Banken- bis in den Industriesektor beklagen, dass unter den Bewerbern für offene Stellen ein Großteil unfähig ist, sich in Wort und Schrift kohärent auszudrücken aber dennoch unrealistische Erwartungen hat, was Arbeitszeit und Entlohnung betrifft. Gleichzeitig äußert die Politik den Wunsch, mehr und mehr Menschen an die Universitäten zu schicken, um dort die Bildungsdefizite der Schulen auszugleichen. Das kann nicht funktionieren und hier braucht es ein fundamentales Umdenken.

Es sollte kein Grund zur Schande sein, Schulen und Universitäten als Eliteschmieden für die Zukunft zu sehen, und es sollte ein Grund sein, stolz zu sein, wenn das Ausbildungssystem neben Universitätsabsolventen auch hervorragende Facharbeiter und Handwerker hervorbringt. Dafür benötig es aber ein Schulsystem, das den Leistungsgedanken wieder forciert und nicht unterdrückt und ein Gesellschaftsbild, in dem die Lehre den gleichen sozialen Status genießt wie das Absolvieren eines Studiums.

Die linken Träume sind widersprüchlich

Um es brutal zu sagen, es ist nicht die Aufgabe der Schule, jemanden glücklich zu machen, sondern unseren Kindern die Werkzeuge in die Hand zu geben, um ihres eigenen Glückes Schmied zu sein. Die in Österreich um sich greifende Idee, dass ein glückliches Leben in erster Linie aus wenig Arbeit, viel Urlaub und am besten einem staatlichen Einkommen besteht, mag auf den ersten Blick verführerisch erscheinen, ist aber voller innerer Widersprüche. Der Österreichische Gewerkschaftsbund und ähnliche Organisationen machen Stimmung für die 4 Tage Woche, weil nur mindestens drei freie Tage die volle Entfaltung unseres sozialen und kreativen Potentials ermöglichen würden. Die unterschwellige Arroganz und die historische Vergessenheit solcher Forderungen sind verblüffend. Offensichtlich geht man beim ÖGB und anderen davon aus, dass es keinen globalen Wettbewerb gibt, und wenn uns die asiatischen Staaten überholen, keine Konsequenzen für unsere Wirtschaft zu erwarten sind. Wir könnten auch gleich die 2 Tage Woche einführen und Jeff Bezos und Dietrich Mateschitz enteignen, um das zu finanzieren – letzteres ist ja schon länger der heimliche Traum links der Mitte. So könnte man ein paar Jahre länger weiterwursteln, bis man ganz Europa zu einem Hallstatt für reiche Chinesen gemacht hat. Schön anzusehen, aber letzten Endes nur eine Fassade vergangener Größe hinter der nichts mehr erfunden, produziert, oder gearbeitet wird.

Ralph Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien. Auf Twitter unter @Raphfel sowie auf seinem Podcast “The Global Wire” kommentiert er regelmäßig das globale wirtschaftliche und politische Geschehen.