Ein wahrlich aufregender Tag für Österreich, an dem gefühlt Minute für Minute neue Politgeschichte geschrieben wurde. Schließlich hängt das Schicksal der mehr als maroden Bundesregierung seit Mitte vergangener Woche am sprichwörtlich seidenen Faden, seitdem die Ermittler mit Durchsuchungsbefehlen an den Türen von ÖVP, Fellner-Medienhaus und bei Bundeskanzler Sebastian Kurz höchstselbst vorstellig wurden. Als dann alle Parteien ihre Gespräche beendet hatten und nach der bereis zweiten Rede des Bundespräsidenten innerhalb von nur drei Tagen dann auch noch binnen kürzester Zeit sowohl Vizekanzler Werner Kogler als auch Bundeskanzler Sebastian Kurz überraschend spontane Ansprachen ankündigten, schien alles möglich: Neuwahlen? Ein Schulterschluss und eine Bekräftigung der türkis-grünen Koalition? Der komplette Bruch seitens der Grünen mit der ÖVP?

Herausgekommen sind einerseits die Bekräftigung seitens Sebastian Kurz, dass er sehr wohl regierungs-und handlungsfähig sei und den Willen habe, auch die Koalition mit den Grünen weiterzuführen – und auf der anderen Seite ein Ultimatum der Grünen, die eben das nicht als gegeben ansehen und der ÖVP die Daumenschrauben ansetzen. Kogler will, dass die ÖVP einen “untadeligen” Kandidaten präsentiert, der in Kurz’ Fußstapfen tritt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen verteilte Rüffel, vertraut aber auf den Rechtsstaat und wollte keine Empfehlung zu Neuwahlen abgeben.

Rendi-Wagner: "Die ÖVP wird Kurz opfern"

Hat da jemand “untadeliger und handlungsfähiger Kanzlerkandidat gefragt” gesagt? Spätestens zu diesem Zeitpunkt rief sich SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf den Plan. Bereits im Laufe des Tages mehrten sich die Meldungen zu einem vermeintlichen Geheimplan einer alternativen Regierungskonstellation sans ÖVP – inklusive FPÖ und Kickl, und mit Pamela Rendi-Wagner an der Spitze. Dass die SPÖ-Chefin dieses Szenario absolut unterstützt, bestätigte sich am späten Abend in der ZiB 2. Dort bekräftigte Rendi-Wagner nämlich nicht nur ihre Forderung nach einem Ende der Amtszeit von Bundeskanzler Sebastian Kurz, sondern gab auch klar zu verstehen, dass sie als Nachfolgerin bereit stünde – und dass die ÖVP, die sich bislang geschlossen hinter Kurz stellte, diese Position nicht mehr lange halten werde können und dem Kanzler in den Rücken fallen werde.

“Ich glaube, dass die ÖVP, die seit 35 Jahren in Regierungsverantwortung ist, auch Kurz opfern wird. So einfach sehe ich das”, erklärte Rendi-Wagner. Sie glaube nicht, dass die ÖVP auf die Regierungsbeteiligung verzichten könne. Österreich brauche jetzt eine Regierung, die nicht täglich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist.

Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Kickl nicht ausgeschlossen

Zur durchaus ebenfalls möglichen Option einer “Expertenregierung”, wie es sie bereits 2019 unter Brigitte Bierlein gab, zeigte Rendi-Wagner sich allerdings skeptisch: Diesmal sei die Situation eine “gänzlich andere”, so die Sozialdemokratin.

“Ich will eine Regierung für Österreich, die arbeiten und gewährleisten kann, dass ermittelt werden kann”, erläuterte die SPÖ-Chefin – und versicherte: “Wenn ich dazu einen Beitrag leisten kann, dann werde ich als Bundeskanzlerin zur Verfügung stehen”. Auffallend: Die SPÖ-Chefin schloss eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ganz konkret nicht aus. Das heißt: Die Sozialdemokratie würde für den Sturz von Sebastian Kurz der Anti-Asyl-Partei und Anti-Impf-Partei FPÖ sogar Regierungssitze verschaffen. Kickl soll nur nicht Gesundheitsminister werden.

Wie der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (“Wir nehmen weitere Afghanen auf”) auf die Aussage der SPÖ-Parteichefin reagiert hat, ist noch nicht bekannt.