In spanischen Medien werden Berichte laut, denenzufolge Marokko den Flüchtlingsansturm Anfang der Woche auf die spanische Nordafrika-Exklave Ceuta nicht nur provozierte, sondern auch bewusst Minderjährige mobilisierte, um den Migrationsdruck auf Ceuta zu erhöhen.

Keine Grenzkontrollen mehr zu Ceuta

Spanien hat mit Marokko ein Rücknahmeabkommen von illegal eingereisten Migranten abgeschlossen, welches aber laut internationalem Recht nicht auf unbegleitete Minderjährige angewendet werden darf. Wie unter anderem die Tageszeitung EL Mundo am Freitag berichtet, soll die marokkanische Regierung im Internet sogar Gerüchte verbreitet haben, der portugiesische Fußball-Weltstar Cristiano Ronaldo spiele in dem von Marokko umgebenden spanischen Territorium an der nordafrikanischen Mittelmeerküste, um vor allem Kinder und Jugendliche zu animieren, ebenfalls den Grenzzaun zu überschreiten, an dem Rabat in der Nacht auf Montag die Grenzkontrolle ohne Erklärung und Ankündigung aussetzte.

Migranten versuchen, die Grenze zwischen Marokko und der spanischen Enklave Ceuta zu erreichenAPA/AFP/FADEL SENNA

Sehr wohl unterrichtet davon waren aber anscheinend alle fluchtwilligen Marokkaner. “Wir hörten bereits am Sonntagmorgen von Migranten, dass es am Abend keine Grenzkontrollen mehr zu Ceuta geben würde”, erklärte Helena Maleno von der im marokkanischen Tanger stationierten spanischen Flüchtlingsorganisation Caminando Fronteras der Zeitung “ABC” vor einigen Tagen.

Madrid: Angriff auf die Grenze Spaniens und der EU

Die Lokalzeitung “El Faro de Ceuta” berichtet von marokkanischen Eltern aus den Nachbardörfern, die Facebook-Gruppen bilden, um ihre sich anscheinend in Ceuta befindlichen Kinder zu suchen. Bis zu 720 Kinder seien nach der Schule nicht nach Hause zurückgekehrt und nach Ceuta geschwommen, um Ronaldo spielen zu sehen, ohne ihren Eltern überhaupt Bescheid gesagt zu haben. Andererseits wurden laut spanischer Medien anscheinend von der Regierung in Rabat zudem die Gerüchte in Umlauf gebracht, Spanien würde die Ankömmlinge direkt aufs spanische Festland fliegen, von wo aus sie weiter in andere EU-Staaten wie Frankreich oder Deutschland gehen könnten.

Spanische Soldaten stehen Wache, während Migranten auf Felsen vor der Küste der spanischen Enklave Ceuta stehenAPA/AFP/Antonio Sempere

Am Mittwoch ging auch Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles hart mit Rabat ins Gericht. Die Weigerung der marokkanischen Sicherheitskräfte, die Migranten am Montag und Dienstag vom Grenzübertritt nach Ceuta abzuhalten, komme einem Angriff auf die Grenze Spaniens und der EU gleich, sagte Robles im spanischen Nationalradio RNE.

Instrumentalisierung minderjähriger Kinder "inakzeptabel"

Marokko habe zudem Minderjährige als Druckmittel gegen Madrid eingesetzt. Die Grenzpolizei habe “Kinder im Alter von sieben oder acht Jahren” passieren lassen. “Sie haben sie benutzt, unter Missachtung des Völkerrechts”, sagte Robles. Es sei “inakzeptabel”, das Leben von Kindern und anderen Menschen für politische Zwecke aufs Spiel zu setzen. Spanien werde diese Art der “Erpressung” nicht hinnehmen und lasse sich nicht unter Druck setzen, betonte die Ministerin.

Als weitere Migranten von der Polizei am Überqueren der Grenze gehindert wurden, verbrannten sie ein Motorrad aus Protest.APA/AFP/FADEL SENNA

Auch die spanische Bischofskonferenz forderte Marokko auf, Armutsflüchtlinge und Kinder nicht weiter für ihre geopolitischen Interessen zu instrumentalisieren. “Die Verzweiflung und Verarmung vieler Familien und Minderjähriger kann und darf von keinem Staat dazu genutzt werden, die legitimen Bestrebungen dieser Menschen für politische Zwecke auszunutzen”, stellte der Madrider Weihbischof José Cobo klar.

5600 von 8000 Migranten wieder abgeschoben

Anfang der Woche stürmten mehr als 8000 Migranten die spanische Exklave. 5600 Migranten wurden in der Zwischenzeit wieder nach Marokko abgeschoben, unter ihnen auch zahlreiche Minderjährige, was von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde.

Grund für die Aussetzung der Grenzsicherungen waren offensichtlich Verstimmungen in Rabat mit der Haltung Spaniens im Westsahara-Konflikt. Spanien hatte sich bereit erklärt, aus humanitären Gründen den an Covid erkrankten Führer der Polisario-Unabhängigkeitsbewegung in einem spanischen Krankenhaus zu behandeln. Die Frente Polisario kämpft für die Unabhängigkeit der Westsahara, die bis 1975 spanische Kolonie war und danach von Marokko entgegen einer UNO-Resolution einfach besetzt wurde.

Marokkanische Medien verleumden Spanien

Rabat sah die Behandlung des Unabhängigkeitskämpfers als Affront an. Spanien müsse einen hohen Preis dafür zahlen, wenn es Marokko “diskreditiere”, schrieb Marokkos Minister für Menschenrechte, Mustapha Ramid, im Onlinedienst Facebook und bestätigte damit indirekt den bewusst ausgelösten Flüchtlingsansturm auf die spanische Exklave.

Minderjährige Migranten warten darauf, bei ihrer Ankunft in der spanischen Enklave Ceuta auf COVID-19 getestet zu werdenAPA/AFP/Antonio Sempere

Unterdessen versuchen Marokkos staatlich gelenkte Medien das Verhalten der spanischen Grenzschützer zu diskreditieren, werfen ihnen Gewalt vor. Und bezichtigen Spanien sogar der Lüge. Die Aufnahmen eines spanischen Grenzschutzbeamten bei der Rettung eines Babys, welche durch die internationalen Medien gingen und das von Marokko ausgelöste humanitäre Chaos zeigten, seien bereits vor Jahren in der Türkei gemacht worden. Spanische TV-Aufnahmen und die Polizei widerlegten die Behauptungen der marokkanischen Regierung allerdings.

Europäische Union unterstützt Spanien

Unterstützung erhielt Spanien im diplomatischen Konflikt mit Marokko nun erneut auch von der Europäischen Union. Die EU-Kommission warnte Rabat, die EU-Hilfen für das nordafrikanische Land zu überprüfen, sollte dieses nicht seinen Grenzschutzverpflichtungen nachkommen. Das berichtet die Zeitung El País. Seit 2007 habe Brüssel Marokko über 13 Milliarden Euro überwiesen, mit denen neben Entwicklungsprojekten auch der Grenzschutz und die Versorgung der Migranten aus anderen afrikanischen Staaten südlich der Sahara finanziert werden sollten. (Manuel Meyer/APA/Red)