
Rudolf Öller: Ein Denkmal für Wladimir
So wie einst Europa unter Hitler-Deutschland droht nun Russland unter Putin ein ungeheurer Aderlass: Kreative und freiheitssuchende Menschen verlassen das Land. Davon könnten Europa und die USA profitieren, so wie die USA schon von der Fluchtbewegung während des Zweiten Weltkriegs profitiert haben, findet eXXpress-Kolumnist Rudolf Öller.
Die Scharia brachte die Zeitenwende. Vor der Scharia waren die Länder des Islams Horte des Wissens. Es waren vor allem iranische, aber auch arabische Wissenschaftler, die das Wissen der Antike in ein dunkles Europa brachten. Nachdem sich die Scharia als Rechtsnorm im Islam ausgebreitet hatte, erlahmte der Forscherdrang. Gleichzeitig begann mit der Renaissance der unaufhaltsame Aufstieg Europas.
Vor dem Zweiten Weltkrieg war Europa das Zentrum moderner Wissenschaften. Deutsch, Französisch und Englisch waren die internationalen Sprachen der Wissenschaft. Nach dem Krieg übernahmen Großbritannien und die USA gemeinsam die Führungsrolle, Englisch wurde zur lingua franca aller Wissensbereiche.
Die beiden erwähnten Revolutionen haben etwas gemeinsam. Es ist die Freiheit des Denkens in Kunst und Wissenschaft. Freiheit ermöglicht ein Aufblühen, Unterdrücken ein Verdorren. Zurzeit wiederholt sich die Geschichte auf tragische Weise.
Ketzer
Die Beseitigung gebildeter Bürger und die Dressur der Untertanen waren immer schon die wichtigsten Maßnahmen, den Traum vom „neuen Menschen“ zu verwirklichen. Das Ergebnis war jedes Mal ein Desaster. Auch die Inquisition hatte vor Jahrhunderten versucht, unbotmäßige Wissenschaftler zu disziplinieren. Der Astronom und Physiker Galileo Galilei wurde verurteilt, nachdem er ein von der Kirche abgelehntes Modell unseres Sonnensystems propagiert hatte. Die anglikanische Kirche jagte keine Ketzer. Es ist daher kein Zufall, dass die industrielle Revolution in Großbritannien ihren Anfang nahm. Kontinentaleuropa folgte mit Verspätung.
Der Diktator Pol Pot wollte in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Kambodscha eine kommunistische Gesellschaft errichten. Mit Hilfe seiner „roten Khmer“ ließ er alle ermorden, die eine mittlere oder höhere Bildung besaßen. Der ungebildete Rest sollte das Rohmaterial für eine neue Gesellschaft sein. Am Ende hatten ungefähr vier Millionen Kambodschaner einen gewaltsamen Tod erlitten. Übrig blieb ein ruinierter Staat mit traumatisierten Menschen.
Führungsnation
Josef Dschughaschwili, genannt Stalin, ließ Intellektuelle genauso ermorden und vertreiben wie Hitler. Hitlers Jagd auf Juden führte zu einem Massenexodus in Richtung Großbritannien und USA. Nicht nur jüdische Wissenschaftler wanderten aus, sondern auch viele nichtjüdische Kollegen, die damals als „Gesinnungsjuden“ beschimpft wurden. Der in die USA geflüchtete ungarische Atomphysiker Eugene Wigner (geboren als Wigner Jenö Pál in Budapest) sagte einmal: „Die USA sollten für Hitler ein Denkmal errichten als Dank für seinen Beitrag zum Fortschritt der amerikanischen Naturwissenschaften.“ Es waren fünf europäische Juden, die die ersten amerikanischen Atombomben bauten: Robert Oppenheimer, Leo Szilárd, Edward Teller, John von Neumann und er erwähnte Eugene Wigner.
Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die USA „nur“ ein industrieller Gigant. Die Nobelpreise wurden in Europa eingesammelt. Nach dem Krieg war alles anders. Wegen der Fluchtbewegung der Wissenschaftler sind die USA heute eine naturwissenschaftlich-technische Führungsnation. Andere Länder holen auf, aber in allen internationalen Vergleichen sind die besten Universitäten der Welt nach wie vor in den USA.
Freiheit des Denkens
Die erste russische Atombombe mit der Bezeichnung RDS-1 (Reaktiwny Dwigatel Spezialny) detonierte im Jahr 1949. Damals wussten die Amerikaner noch nicht, dass die sowjetische Bombe ein exakter Nachbau der Nagasaki-Atombombe war. Die Baupläne hatte der kommunistische Spion Klaus Fuchs in Los Alamos gestohlen, kopiert und über Kuriere nach Moskau geschickt. Die Russen waren damals auf gestohlene Pläne angewiesen, weil Stalin die intelligenten und kreativen Leute einsperren oder ermorden ließ. Bei der Entwicklung der Raketen lief es ähnlich. Während die Amerikaner fähige deutsche und amerikanische Ingenieure zur Verfügung hatten, musste Stalin, der Raketen auch aus sowjetischer Produktion haben wollte, seinen besten Raketeningenieur (Sergej Koroljow) aus dem Gefängnis holen.
Kreatives Denken und Arbeiten ist unentbehrlich für Kunst und Wissenschaft. Die Ukraine ist ein Land, das Künstlern und Wissenschaftlern westliche Freiheiten gewährte. Putin fürchtet, dass dieses freie Denken von der nahen Ukraine nach Osten wandern und die Macht seiner steinreichen Kleptokraten unterminieren könnte. Der Ukraine-Krieg hat also nicht nur mit der NATO und der EU zu tun. Es geht um die in Europa entstandenen Errungenschaften der Aufklärung. Es geht auch um klassische westliche Werte, um die für Diktatoren bedrohlichen Gedanken eines Voltaire, eines Rousseau, eines Kant, eines Goethe, eines Newton, eines Lessing, eines Hume.
Russland spürt bereits die Talentabwanderung freiheitssuchender Künstler und Wissenschaftler. Die langfristigen Folgen dieses Aderlasses werden für Russland mindestens so verheerend sein wie die aktuellen Sanktionsmaßnahmen. In Westeuropa und in den USA könnten daher eines Tages Denkmäler für Wladimir aus St. Petersburg stehen: Dank und Anerkennung für die unentgeltliche Lieferung tausender hervorragender Köpfe.
Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und ist seit Jahrzehnten publizistisch tätig sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet, war über zwanzig Jahre lang ehrenamtlicher Rettungssanitäter und Blaulichtfahrer und lebt heute in Vorarlberg.
Kommentare
Die dt. Telekom hat allen Entwicklern in St. Petersburg eine Weiterbeschäftigung im Ausland angeboten. Mehrere 10.000 IT’ler
haben Russland im März 2022 verlassen.
Na, ich weiß nicht! Wieviele hervorragende Köpfe gibt es denn in einem Land, dessen erfolgreichster Wirtschaftszweig der Export von Rohstoffen ist? Der Artikel entspricht wohl eher akademischem Wunschdenken.
Was schätzen sie wie viel IT-Experten Russland hat zwischen 22 und 40 Jahren?
Bravo. Exzellent und scharfsinnig analysiert.
Österreich wäre gut beraten wenn es sich um diese Menschen bemühen würde. Allerdings müsste sich zuerst Österreich ändern. Leistungserbringer gewinnt man nicht indem man sie als Melkkuh für Asyloptimierer und andere Underperformer und deren Diversity- und Klima-Tralala missbraucht.
Es kommt auch aus wirtschaftlichen Gründen zur Abwanderung tüchtiger Menschen. Die wollen das Geld, das sie erwirtschaften, gerne behalten und nicht an den Sozialstaat abliefern, der ihnen nur ein kleines Taschengeld übrig lässt.
Putin war für viele Jahre ein Garant für Stabilität in einem Land das mit Demokratie nie zu tun hatte.
Bereits bei seinem ersten, für uns klar erkennbaren, Mord mit einer radioaktiven Substanz, welche zu einem langsamen qualvollen Tod führte, hätten in der freien Welt alle Alarmglocken läuten müssen.
Schon damals hätte sich eine Merkel und alle anderen EU Staatsführer nicht mehr mit ihm an einen Tisch setzen dürfen.
Wir in Österreich zählten zu den schlimmsten Putinverstehern und haben in trotz diesem erwiesenen Mordes hofiert.
Einzig die Briten haben von Anfang an diesen Mörder richtig eingeschätzt und das auch offen gesagt.
Ein sehr guter Artikel, aber ob Österreich zu den Profiteuren gehören wird? Auch hier wandern gut Ausgebildete ab, was nach Österreich kommt?
Guter Kommentar! Danke.
Nach den Kommunisten & Nationalsozialisten träumen derzeit auch wieder einige Leute von einem neuen Menschen.
Dieser soll so eine einheitliche zusammengeknetete undefinierbare bunte Masse von Mensch*innen (m/w/d) aus aller Welt sein, auf einheitlichen niedrigen wirtschaftlichen und kulturellen Niveau und – ganz wichtig – mit einer einheitlichen Meinung.
Die nicht zu dieser neuen Menschenmasse dazugehören wollen, sind Rassisten, Nazis und Ungläubige die entfernen werden müssen, denn der einheitliche Mensch ist eine radikale Ersatzreligion, die wie alle radikalen Religionen & Ideologien spaltet, selektiert, ausgrenzt und schlussendlich tötet.
Die derzeitige Linksregierung in Deutschland arbeitet fleißig an diesem neuen Menschen. Dank der Zerstrittenheit unter den Bürgerlichen wird es auch in Österreich sehr bald zu einer solchen Linksregierung kommen.
Zur Ergänzung sollte man erwähnen, dass auch der russische Physiker Kurchatow 1949 an der Entwicklung der ersten russischen Nuklearwaffe gemäß den von Fuchs entwendeten Plänen beteiligt war.
Und hierzulande, speziell in Vorarlberg, müssen die “Intellektuellen” wie zB Ärzte nicht zwar nicht flüchten, aber sie wandern ab.
Die Gründe dazu sind bekannt, dagegen wird aber nichts unternommen.
Vor allem der linksliberalen Politik ist die immer schneller heranwachsende Volksverblödung zu verdanken.
Betteln regelrecht für den Islam und die Scharia.
Oder man schaue auf die Unis. Da öffnet sich teilweise ein grausames Bild…
Auch Andersdenkende haben es nicht mehr leicht in Österreich und wenn man sich gewisse Foren durchliest, ganz speziell eines aus dem größten Nachrichtenportal Vorarlberg’s, dann könnte man zum Schluss kommen dass die Linken die neuen Faschisten sind, von denen Churchill damals schon wusste dass sie sich Antifaschisten nennen werden.