
Rudolf Öller: Fortschritt
Die folgenden Sätze darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: Seit etwa fünfzehn Jahren lautet die vorherrschende Devise insbesondere unter jungen Leuten „links“. Entsprechende Schlagworte sind „progressiv“, „demokratisch“ und „revolutionär“, wohingegen man unter allen Umständen vermeiden sollte, sich als „bourgeois“, „reaktionär“ und „faschistisch“ abstempeln zu lassen. Heute möchte jeder, selbst die Mehrheit der Katholiken und der Konservativen, „progressiv“ sein.
Diese Sätze könnten aus jedem beliebigen Medium unserer Tage stammen. In Wahrheit sind sie dem Werk „Der Schriftsteller und der Leviathan“ entnommen und exakt 75 Jahre alt. Geschrieben hat sie seinerzeit Eric Arthur Blair, der unter dem Pseudonym George Orwell weltberühmt wurde. Die Zeilen wurden im Frühjahr 1948 geschrieben, im gleichen Jahr, in dem George Orwell seinen dystopischen Roman „1984“ fertigstellte.
Orwells Sätze zeigen, dass sich in der konservativen Gedankenwelt der Linken seit drei Generationen absolut nichts geändert hat. Auch heute noch glauben alle, die sich für links halten, sie seien „progressiv“, und die politischen Gegner seien „reaktionär“ und „faschistisch“. Nicht einmal das zum Gähnen reizende Allerwelts-Schimpfwort „Nazi“ ist neu.
Die Gesellschaftskritiker, Kulturwissenschaftler, Revoluzzer, Bobos und andere, die sich für Fortschritts-Monopolisten halten, sind in Wahrheit Lachnummern. Es geht hier nicht darum, Kulturwissenschaften oder politische Meinungen generell zu belächeln oder auszupfeifen. Es muss aber erlaubt sein, die überheblichen „Fortschrittlichen“ als das zu bezeichnen, was sie sind: Blender und Angeber.
Eizellen
Wer hat in den letzten Jahrhunderten den echten Fortschritt gebracht? Es waren ausschließlich Naturwissenschaftler und Techniker. Ohne den Fortschritt dieser wahren Progressiven könnte keiner der heutigen Politiker irgendwelche Versprechungen machen. Die Entdeckungen der MINT-Leute (Mathematik, Naturwissenschaft, Informatik, Technik) bewirkten sogar Gesellschaftsveränderungen. So begann die Emanzipation der Frauen nicht irgendwann im 20. Jahrhundert, sondern bereits 1827, als der Mediziner und Zoologe Karl Ernst Ritter von Baer die weibliche Eizelle entdeckte. Davor galten Frauen nur als wandelnde Brutkästen. Danach wusste man, dass Frauen so wie die Männer, Zellen zur Fortpflanzung bilden.
Wer hat die Blutgruppen entdeckt und damit – über die Bluttransfusionen – Millionen Menschen das Leben gerettet? Es war ein österreichischer Arzt. Wer hat das Penizillin entdeckt und damit die Lebenserwartung der Menschen deutlich erhöht? Es war ein britischer Mediziner. Wer hat die Gentechnik gestartet, was beispielsweise dazu geführt hat, dass Insulin nicht mehr aus tierischen Bauchspeicheldrüsen gewonnen wird, sondern antikörperfrei und somit schonend gentechnisch erzeugt werden kann? Es war ein Schweizer Molekularbiologe. Wer hat die Röntgenstrahlen entdeckt und damit der modernen Chirurgie, insbesondere der Unfallchirurgie, einen gewaltigen Schub gegeben? Es war ein deutscher Physiker. Wer hat die Voraussetzungen für die Wärmepumpe entwickelt, die ein grüner deutscher Minister allen Bürgern als Heizung der Zukunft unterjubeln will? Es waren ein Engländer und ein Ire. Wer hat die drei verschiedenen Typen an Wasserturbinen erfunden, die heute in Kraftwerken die Bewegungsenergie des Wassers in Rotationsenergie umwandeln? Zwei Amerikaner und ein Österreicher.
Es gibt eine Unzahl an Büchern und Bildbänden über die interessantesten und bedeutendsten Erfindungen und Entdeckungen der Geschichte. Die Leser erkennen sofort, dass so gut wie alle dieser Entwicklungen von den so genannten bösen weißen Cis-Männern stammen, wobei auch einige Frauen erwähnenswert sind. Nicht eine einzige relevante Erfindung oder Entdeckung stammt von einfältigen Bobos, die sich in maßloser Selbstüberschätzung für „fortschrittlich“ halten.
Facharbeiter
Es gab einmal eine Zeit, da kam politischer Fortschritt noch von Sozialdemokraten. Einer ihrer historischen Verdienste besteht darin, an der Bildung der ersten und zweiten Republik konstruktiv beteiligt gewesen zu sein. Ein alter Sozialdemokrat in meiner Verwandtschaft war Facharbeiter in einer oberösterreichischen Maschinen- und Motorenfabrik. Er konnte mit einem Rechenschieber umgehen, ein Gerät, das junge Generationen nur noch vom Hörensagen kennen. Der Facharbeiter hätte ohne weiteres das Zeug zum Diplomingenieur gehabt, aber die Eltern konnten sich das Studium nicht leisten. Das hat sich geändert. Heute kann jeder alles werden, aber das ist nicht das alleinige Verdienst der Sozialdemokraten. Voraussetzungen für eine Karriere sind heute – in dieser Reihenfolge – Selbsteinschätzung, Begabung, Wille und Fleiß. Das Geld spielt wegen der Möglichkeiten, Stipendien zu lukrieren, zwar noch eine Rolle, aber nicht mehr so wie vor Generationen.
Aufrichtige Demokraten
Lesen wir nochmals bei George Orwell aus dem Jahr 1948 nach: Soweit ich weiß, würde keiner auf die Idee kommen, sich selbst als „bourgeois“ zu bezeichnen, ebenso wie niemand … bekennen würde, dass er ein Antisemit ist. Wenn es danach geht, sind wir alle aufrichtige Demokraten, Anti-Faschisten und Anti-Imperialisten, die Klassenunterschiede ächten, keine Vorurteile gegen Menschen mit anderer Hautfarbe haben und so weiter und so fort.
Hätten diejenigen unter uns, die am wahren Fortschritt arbeiten, mehr Zeit für öffentliche Kommentare, dann sähen die selbsternannten „Fortschrittlichen“ mit ihren bunten Fahnen, gereckten Fäusten und sich ständig wiederholenden demagogische Worthülsen noch komischer aus. Linke generieren keinen Fortschritt, denn das können sie nicht. Sie verteilen nur fremden Gewinn und fremde Entwicklung. Linke sind – Orwell zeigt es – bis heute in der Ideologie der Nachkriegszeit hängen geblieben. Sie sind die wahren Konservativen.
Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und seit Jahrzehnten sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor publizistisch tätig. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet und war ehrenamtlicher Rettungssanitäter, Blaulichtfahrer und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz. Er lebt heute in Vorarlberg.
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Kommentare
Super Artikel,umfassend geschrieben, Chapeau Hr.Oller!
Die SPÖ hat viel Gutes bewirkt. Aber sie klopfen heute noch immer dieselben Parolen wie zu Zeiten ihrer Gründung. Obwohl die Arbeitnehmer längst Verhältnisse genießen, von denen man vor hundert Jahren nicht einmal zu träumen wagte (Kollektivverträge, 5-6 Wochen Urlaub, Mutterschutz, Pflegeurlaub, Kündigungsschutz, Arbeitsinspektorat, Unterstützung durch die Arbeiterkammer, …). Obwohl “Chancengerechtigkeit” schon in den 1970ern erreicht wurde (kein Bildungsweg hängt mehr vom Einkommen der Eltern ab). Obwohl es “soziale Gerechtigkeit” gar nicht geben kann (Begabungen und Leistungswille sind nun einmal unterschiedlich).
Die Kulturwissenschaften sind keine dezidiert linken Disziplinen, es gibt solche und solche. Genauso sind MINT nicht zwangsläufig anti-linksliberal, viele Klimakleber sind ja Physiker, Informatiker, Molekularbiologen…
Die Geisteswissenschaften haben sehr wohl auch viel weitergebracht, nur Ingenieure und Naturwissenschaften waren das nicht alleine!
Es gibt unter Naturwissenschaftlern tatsächlich verhaltensoriginelle Zeitgenossen (zB. Merkel) und unter Philosophen durchaus ernst zu nehmende Denker, aber Paritäten wird es nie geben. Zurzeit gibt es in den Kulturwissenschaften wenige ernsthafte und kluge Intellektuelle, die man sehr rasch aufzählen kann. Menschen aus der Zeilingerklasse gibt es bei den Kulturwissenschaften gar keine.
danke
Ich bin und bezeichne mich gerne als Bourgeois, als konservativ und bodenständig. Bin stolz drauf. Würde vielleicht manchen Politikern gut anstehen, sich wieder zu diesen Werten zu bekennen!
Sehr umfassend das alles. Es ist richtig, man soll sich nicht in irgend einer politischen Ecke stempeln lassen.
Oft wird es getan, wenn die Argumente ausgehen. Dann ist man bestimmt rechts, weil Meinungen in das systemische Weltbild nicht rein passt. Ob TV Sender oder Politik, alle auf Gleichschaltung, es gilt nur eine Meinung, die Meinung des Systems.
Denke, dass ist eine fatale und falsche Entwicklung.
Beispiel AfD, an allen Ecken wird sie bekämpft.
Eine solche gesellschaftliche Entwicklung steht sich selbst im Weg, ja es ist ein Hemmschuh.
Eine demokratische Gesellschaft sollte offen für alles sein. (außer Hass und Hetze usw. bringt auch niemanden weiter)
akt. Beispiel: Politik mahnt, wir sind eine alternde Gesellschaft (Altersdemographie) und da müsse man gegen steuern.
Zauberwort Zuwanderung. Das ist Einfallslos, gibt es nicht bessere + mehr Vorschläge ? Mario Czaja CDU-Bundestagsabgeordnete von Marzahn-Hellersdorf und Generalsekretär der CDU Deutschlands schlug vor,
jedes Kind soll 10.000,-Euro Starterkapital erhalten.
Oh, da war doch was ? Schon vor langer Zeit schrieb ich in Foren auch hier bei Exxpress über eine Deutsche Babyprämie,
beginnend mit 10.000,- zweites Baby 11.000,- bis 15.000,- max. mit der Bedingung das die Eltern, oftmals sehr jung, das Vater und Mutter dafür einen Schulabschluss und einen Beruf nachweisen müssen oder nachholen müssen. So zu sagen als Vorbild für die heran wachsenden Kleinen. 900.000 sterben, 700.000 Neugeborene gibt es ca. Wir sterben aus. Da muss die Politik gegen steuern. +++ Außerdem ohne Fleiß kein Preis.
Ich schrieb “Deutsche” nur ? da werden doch die linken, grüne, u.a. sagen > Nazi oder Diskriminierung.
Da liegt das Problem, bin aber keiner. Was würde denn passieren, die ganze Welt würde zu uns strömen, 10.000,- für ein Baby ? Na holla die Waldfee. Hier ist die Vernunft gefragt und nicht irgend eine politische Ecke. Der deutschen Gesellschaft + auch die Politik würde ein Problem lösen. Mit der Zuwanderung kommen eher mehr Probleme auf uns zu. Schnell würden mehr deutsche Kinder geboren, die deutsche Gesellschaft verjüngt sich mit den Jahren. Evtl. 2 Millionen pro Jahr an Neugeborene ?
Junge Mädels bräuchten keine Existenzangst haben, nicht abtreiben.
Herr Czaja (CDU) hat sich nicht weit genug vor getraut
(aus Angst ?)
Fazit:
Eine demokratische und wirklich ehrliche Gesellschaft,
sollte alle Türen offen lassen und nicht gleich Personen
diffamieren. Die besten Vorschläge bringen eine Demokratie voran.
Wenn Politik so handeln würde, hätten wir nicht so viele Probleme.
Sanktionen beste Beispiel, wurden aus ideologischen moralischen, Gründen gemacht. Ohne Überlegung + dessen Probleme.
fragen, der praktiziert die passende Methode seit Jahren.
Wahrscheinlich ist er deshalb so “beliebt” bei den Medien.
Im Großen und Ganzen stimme ich der Bestandsaufnahme zu, doch nur die Naturwissenschaften für den Fortschritt verantwortlich zu machen scheint mir zu kurz gesprungen. Schließlich war Eric Blair, respive G. Orwell auch kein Naturwisenschaftler. Was ich ihm auch hoch anrechne ist seine Umkehr von einem glühenden Sozialisten ( “Burmese Days” und “Down and Out in Paris and London”) und Einsichten nach seinen Berichterstattungen auf Seite der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg. Darauf folgten ” Animal Farm” und ” Nineteen Eighty-Four”.
Öller liegt schon richtig, aber man muss die „Gesellschaftswissenschaft“ etwas differenzierter sehen. Sobald Ideologien und parteipolitische Programme in die reale Lebenswelt einfließen, muss man Argumente finden oder kommunizieren die Fehlentwicklungen aufzeigen. In manchen Fällen auch bekämpfen. Und genau das tut Orwell ja auch (halt auf seine Weise).
Daher bitte nicht entweder oder, sondern ein „sowohl als auch“. Aber fundiert und nicht mit Parolen oder „Schlag“-Worten!
Warum fragt niemand diese KPOe Funktionäre was für sie KOMMUNISMUS bedeutet!? 100 Millionen Tote von Lenin über Stalin bis Venezuela sollten doch hinterfragt werden!
Sehr geehrter Herr Öller, wiederum eine äußerst treffende Sachverhaltsdarstellung. Einem einzigen Punkt möchte ich scharf widersprechen : Nein, konservativ sind die nicht. Konservativ, also “bewahrend” muss ja nicht immer nur rückwärts gewandt bedeuten. Aber alles was die von Ihnen angesprochenen Bobos und möchtegern Weltverbesserer anfassen geht zu Klump. Sei es in der Wirtschaft oder gesellschaftlich, sie können nichts und können somit auch nichts bewahren. Es sind nur stumpfe Moralisten, welche immer nur wissen was sie an anderen ändern möchten, sich selbst aber als oberste moralische Instanz sehen. Sie sind keine Religion, denn Gott ahnt es nur, sie wissen es. Sie sind der Indikator einer Gesellschaft die sich Richtung Dekadenz bewegt, beschützte kleine Kinder welche nie der harten Realität ins Auge sehen mussten und darum glauben sie könnten alles erreichen indem sie Sprüche klopfen, prokrastinieren oder krakeelen. Nein, konservativ sind die nicht.
„Sie sind die wahren Konservativen.“ (gemeint sind die Linken). Ja, aber traurigerweise ohne irgendetwas zu bewahren. Wenn die „Letzte Generation“ wirklich recht hat, dann ist es die 68-er-Generation welche für den derzeitigen Zustand der Erde Verantwortung trägt und nicht die Rechten. Also kurz jene, die heute am lautesten nach „Klimaschutz“ schreien und die Jugend in Angst und Hysterie versetzen.