Zu Beginn hat das türkis-grüne Experiment viel positive Spannung erzeugt. Das Beste aus zwei Welten – das hätte Österreich gut tun können nach all den Jahren der Reform-Scheu. Doch dann kam die Pandemie. Eine Situation, mit der jede Regierung dieser Welt überfordert war. Und – das sollte eigentlich nicht vergessen werden, auch wenn wir alle Monate der Pandemie- und Maßnahmen-Müdigkeit hinter uns haben – die junge Riege in Österreich hat gute Arbeit geleistet. Daran ändern alle möglichen Fehlschläge wie die Corona-Ampel etc. auch nichts – so viel Fairness muss sein.

Der eigenartige Kurs der Oppositionsparteien

Die Oppositionsparteien aber haben im Schatten dieser Jahrhundert-Herausforderung an die Politik einen eigenartigen Kurs gefahren.

Von Anfang an konnten sie sich nicht zu einem nationalen Schulterschluss in der Notsituation durchringen. Dann sahen sie das Umfrage-Hoch der Regierenden und begannen jede Maßnahme zu zerpflücken, zu kritisieren, zu bekämpfen. Im Nachhinein wusste jeder alles besser und trompete es laut in den Blätterwald hinein. Dort schallten dann Schlagzeilen wie „Regierung hat Virus nicht im Griff“ heraus (wie soll sie, hat niemand gefragt). „Gearbeitet“ wurde von Rot-Rosa-Blau und der innergrünen Opposition nur im U-Ausschuss.

Wen kann man sonst wählen?

Und so sehnen nun alle Neuwahlen herbei – aber was ist das Angebot?

Pamela Rendi-Wagner, nun schon seit dreieinhalb Jahren Parteimitglied, beherrscht die SP-Gebetsmühle bereits virtuos: Täglich eine neue Forderung nach Steuergeld-Verteilung, täglich ein neues Verlangen nach Erhöhung von staatlichen Zuwendungen, nichts ist der SPÖ auf unsere Kosten zu teuer. Auch nicht die verlangte (zumindest) Teil-Verstaatlichung der MAN-Werke, wo die Löhne 60 – 80 Prozent über dem Kollektivvertrag der Branche liegen. Kein Wunder, dass man da nicht von kühl rechnenden Privaten wie Siegfried Wolf gerettet werden will, sondern lieber vom splendablen Staat.

Die Pinken haben statt eines konsistenten Programms zu jedem Thema auf Knopfdruck und ohne eine Minute aufs Nachdenken zu verschwenden die „einzige und einzig richtige“ Lösung – wobei man eigentlich nur dankbar sein darf, dass bisher noch nie die Probe aufs Exempel gemacht werden musste. Denn die pinke Weisheit verschwindet glücklicherweise sehr schnell, sobald sie sich in einer Koalition befindet – siehe Wien.

Die FPÖ, die gar nicht langsam an Boden zurückgewinnt, ist wie immer nur gegen alles – ohne irgendetwas positiv Relevantes von sich zu geben. Spannend wird’s erst, wenn der Kampf Kickl gegen Hofer in die Endrunde geht.

Einziges Parteiprogramm der drei bleibt: Kurz muss weg. Wenn nicht anders, dann durch Wahlen. Vielleicht sollten sie Reinhold Mitterlehner als gemeinsamen Kanzler-Kandidaten engagieren – niemand könnte diese Programmatik so schön vertreten wie er.

Dürftiges Gegenangebot

Aber: Als Angebot an den Wähler ist das alles mehr als dürftig.

Und wenn es bei den derzeit regierenden Parteien nicht viel besser aussieht, dann liegt das sicher in erster Linie daran, dass sie in den letzten 15 Monaten mit der Pandemie-Bekämpfung ausgelastet waren – bis auf wenige Ministerien.
Leonore Gewessler etwa hat gearbeitet. E-Autos über alles, das Klima soll uns allen viel Geld wert sein – ohne dass geklärt wäre, was und vor allem zu welchem Preis für uns z. B. die Entsorgung der Akkus zu bewerkstelligen sein wird. Gewesslers Regierungsmaxime lautet: Zuerst beschließen, dann rechnen.

Neuesten Zahlen zufolge wird die Dekarbonisierung Europas mehr als eine Billion Euro kosten. Wer soll das bezahlen? Die Reichensteuer hat ja der neue grüne Gesundheitsminister schon für das Abtragen der Corona-Defizite eingefordert – und zweimal kann man auch Steuergeld nicht ausgeben. Also wird der Mittelstand zahlen müssen – nur: so ehrlich ist auch kein grünes Parteiprogramm.

Was bleibt, ist die Hoffnung

Und Türkis?

Immerhin hat die junge Truppe mit dem Engagement von Martin Kocher gezeigt, dass sie verstanden haben, dass es nicht reicht, Mitglied in der Jungen ÖVP gewesen zu sein, um auch als Minister zu bestehen. Aber was der türkise Weg für Österreich bringen soll, das hat uns die Kurz-VP bisher auch verschwiegen.

Hoffen wir, dass uns jetzt Wahlen erspart bleiben. Hoffen wir, dass auch den Parteien klar wird, dass Politik nicht zuletzt ein Wettbewerb der Ideen ist. Dass es dabei um die Zukunft unseres Landes geht. Und dass Wähler nicht durch Inhaltsleere missachtet werden sollten.

Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.

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Kommentare

  • Sarah R. sagt:

    Ich stimme den Artikel von Herzen zu.
    Noch vor einigen Jahren wäre ich im Traum nicht darauf gekommen die schwarze ÖVP zu wählen, doch die neue türkise ÖVP unter Sebastian Kurz hat mich schwer beeindruckt und sich meinen Respekt, mit ihrem Management dieser globalen Pandemie, redlich verdient, zumal sie mit gutem Beispiel voran ging, als sie durchgegriffen hat mit dem ersten Lockdown, um das Leben unserer Mitmenschen vor dieser potenziell tödlichen Krankheit zu schützenan der leider bereits viel zu viele unserer Mitmenschen verstorben sind.
    Umso bestürzt bin ich, dass keine der Oppositionsparteien sich dazu aufraffen konnte sich in diesen schweren Zeiten an einem Strang zu ziehen mir diesen Maßnahmen, statt auf Gedeih und Verderb zu versucht das Boot zum kennen zu bringen, das unsere Coronamaßnahmen sind. Maßnahmen die dazu beitragen sollen unschuldige Leben zu schützen. Unsere Familien Freunde und Bekannte, all ihre Leben werden mit dieser Uneinigkeit aufs Spiel gesetzt.
    Während ich also einen tiefen Respekt gegenüber der türkis – grünen Regierung aufgebaut habe, kann ich zu meinem bedauern nicht das gleiche über unsere Opposition sagen.

  • Jakob sagt:

    @antr
    Da muss ich Sie enttäuschen, ich schätze sachliche Diskussion sehr, ich denke nur, Sie mögen keine Kritik an Ihren Argumenten.
    Allein, dass Sie hier versuchen ein Influenzavirus mit einem SARS-CoV2 gleichzusetzen, zeigt dass sie sich bei diesem Thema nicht auskennen (da hätten Sie im Bezug auf SARS-CoV2 beim Vergleich mit einem Aidsvirus schon mehr Glück).

    Hier sind 3D-Modelle der jeweiligen Viruspartikel:
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2957899/ (ist zwar von 2010, aber sehr gut erklärt)

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2957899/ (hier ist auch der Hauptinfektionsmechanismus zusammenfassend erklärt)

    Bitte lernen Sie politische Anschauungen von wissenschaftlichen Fakten zu unterscheiden:
    Die MoA’s der jeweiligen Impfwirkstoffe sind keine Ansichtssache, genauso wenig wie strukturell wirksame Mutationen (z.B.: Südafrikamutation) am Spikeprotein des Viruspartikels, die zu einer höheren Interaktionsrate mit der Receptor-Binding Domain des ACE2 Rezeptors führen die Basis für die Erhöhung der Infektiösität von SARS-CoV2 darstellen eine Ansichtssache sind!

    Ich selbst hatte in meinem Umfeld Menschen mit schweren Coronaverläufen (Intensivstation) und familiär sogar einen Todesfall zu beklagen, Ihre Verharmlosung ist pure Respektlosigkeit gegenüber den Opfern und deren Angehörigen!

  • Jakob S. sagt:

    Danke, Ruth Pauli, für diese wirklich objektive und ausgeglichene Analyse.
    Ich finde es auch absolut in Ordnung, dass eine Präferenz erkennbar ist, Journalisten sind schließlich auch Menschen. Kritik bezogen auf das politische Handeln (ohne Unterstellungen oder Mutmaßungen) wurde hier dennoch auf alle Parteien ausgeübt.

  • Lobau sagt:

    Wieder ein ausgezeichneter und sachlicher Kommentar von Frau Pauli!

  • Bauer sagt:

    Ein Kompliment an die Autorin des Kommentares. Er hat es bis in das Forum des Standard geschafft:

    https://www.derstandard.at/story/2000126712435/die-causa-kurz-ist-von-der-lebenswelt-der-waehler-weit#posting-1072568157

    Auf das Posting eines Forumteilnehmers (Eine Zeitung für türkise Fans, denen sogar die Presse oder der Kurier “zu kritisch” ist) habe ich im Standardforum folgendes Posting als Antwort geschrieben:

    “Eine deutlich liberale und konservative Ausrichtung ist schon erkennbar, das stimmt.

    Aber da schreibt ja auch eine Daniela Holzinger-Vogtenhuber. Das ist ja noch eine aus dem Pilz-Tream-Team 😉 , oder ein Christian Ortner.

    Der Standard hat ja auch eine Ausrichtung. Es ist ja nichts Schlechtes wenn der Standort bekannt ist, aus dem das Geschehen beobachtet wird.

    Schlecht wird es dann, wenn nicht mehr beobachtet wird, sondern wenn der Journalist glaubt, selbst in das politische Geschehen eingreifen zu müssen, also selbst Spins erzeugen zu müssen, eine Agenda verfolgen zu müssen usw.

    Hier gäbe es genug Anlass zur kritischen Selbstreflexion, denke ich.”

    Die Reaktion der Forenmoderation darauf war, das Posting zu löschen mit dem Hinweis, dass es gegen die Forenregeln verstosse. Löblicherweise hat der Standard ja auch die Möglichkeit, ein gelöschtes Posting überprüfen zu lassen. Mittlerweile ist diese Prüfung abgeschlossen – das Posting bleibt gelöscht.

    Was genau an meinem Posting gegen die Forenregeln verstossen soll, wurde mir nicht mitgeteilt. “Kritische Selbstreflexion” scheint etwas Abwertendes zu sein.

  • antr sagt:

    Warum schafft es nicht ein Journalist der Mainstream Medien einmal neutral zu hinterfragen, wie es Länder ohne Lockdown geht? Auch Sie sehen den Lockdown als alternativlos an, sonst würden Sie nicht meinen, dass die Regierung mit der Pandemiebekämpfung genug zu tun hatte. In Wahrheit hatte die Regierung eine Menge damit zu tun, ihr Vorgehen als richtig hinzustellen. Ich weiß nicht, wie viel der Exxpress an Medienförderungen erhält. Aber die anderen Mainstreammedien sahnen kräftig ab!

  • Johann sagt:

    Das einzige Parteiprogramm der Oppositionsparteien ist,”Kurz muss weg,” dann haben sie wieder realistische Chancen mit einer schwarzen ÖVP ins Bett zu gehen, denn eine ÖVP ohne Kurz würde bestenfalls so um die 25% ‘herumdümpeln.

    Und was die FPÖ betrifft, die haben sich schon mit einer dauerhaften Oppositionsrolle abgefunden und schießen aus allen Rohren gegen Kurz, den wirklich einzigen Politiker der mit der FPÖ könnte …. freilich mit einer FPÖ ohne Kickl …
    Das ist die denkbar schlechteste und dümmste Strategie um wieder ernsthaft ins Gespräch zu kommen. Aber das wollen die FPÖler offensichtlich eh nicht mehr … Warum also noch die FPÖ wählen?

    1. Azzo sagt:

      Warum noch FPÖ wählen?
      Mir fällt momentan beim besten Willen kein Grund ein.

  • Christ.W. sagt:

    Der erste Artikel seit langem dem ich zu 100% zustimmen kann. 2019 wurde schon versucht, mit der Abwahl der Regierung, Kurz weg zu bringen. Der Schuss ging, wie wir wissen, nach hinten los. Genau das würde jetzt wieder passieren, denn wenn alle auf Einen losgehen, dann ergibt das einen gewissen “Mårtyrer-Status” und die Umfragen zeigen das.

  • Bauer sagt:

    Sehr gute und ausgewogene Analyse. Man erkennt zwar Ruth Paulis politische Präferenzen, trotzdem ist der Versuch erkennbar mit einheitlichen Maßstäben zu messen, weshalb auch die Türkisen nicht von Kritik ausgespart bleiben.

    Der ehrliche Versuch mit einheitlichen Maßstäben zu messen ist leider eine journalistische Tugend die verlorengegangen zu sein scheint.

    Der Journalist sieht seine Rolle nicht als objektiver Beobachter sondern als aktiver Teilnehmer im politischen Spiel. Die Objektivität wird dabei nicht mal mehr als Fassade erhalten.

  • Renate Lang sagt:

    Stimme voll zu. Die Rede von Martin Engelberg gestern fand ich sehr gut.

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