Seit Wochen wird die Opposition – auch innerhalb der Grünen– nicht müde, in heuchlerischer Saubermann-Pose das„System Schmid“ zu denunzieren und sich hinter Herbert Kickls Schlachtruf „Kurz muss weg“ zu formieren. (Dass es das einstige Ober-Feindbild der drei österreichischen Linksparteien zum unumschränkten Oppositionsführer bringen konnte, dem alle mit fliegenden Fahnen folgen, ist eine Randnotiz der Ironie der Geschichte.)

Wir bekommen täglich neue Bruchstücke aus den WhatsApp-Nachrichten des ÖBAG-Chefs Thomas Schmid und erleben den Chor der Empörten: Sittenbild! Postenschacher! Weg mit ihm! Nein, nicht genug! Weg mit Blümel! Weg mit Kurz!

Und eigentlich geht es der gesamten Jagdgesellschaft nur um Kurz.

Thomas Schmid wird stellvertretend in mittelalterlicher Weise durchs Dorf getrieben – bespuckt, beschimpft, verspottet, hin zur Richtstätte, auf der man eigentlich Kurz sehen will.

Hier wird ein Mensch auf offener Bühne hingerichtet, weil man des eigentlichen Objekts des Hasses nicht habhaft wird.

Geschieht ihm Recht, bei dem Gehalt, das er bezieht?

Soll das heißen, dass es ein im Voraus bezahltes Schmerzensgeld ist? Dass man einen Menschen ab einem bestimmten Einkommen mit Neid und Hass verfolgen darf und wissentlich öffentlichem Spott und Hohn aussetzen kann, ohne dass man einen stichhaltigen Grund dafür hat?

Nicht einmal ein überführter Mörder muss Derartiges über sich ergehen lassen.

Aber es geht noch ärger.

Zählt der einzelne Staatsbürger nicht?

Wir erleben gerade die Auflösung unseres Rechtsstaats. Und das sollte jeden Österreicher interessieren. Egal, wie er die Causa Schmid sieht. Vor allem müsste es die Justizministerin interessieren.

Als Schmids Handy beschlagnahmt wurde, durfte er im Beisein eines Staatsanwalts private Photos löschen. Das dauerte Stunden. Und bei einer Behörde des Rechtsstaats konnte man sich bisher darauf verlassen, dass solcherart als privat Eingestuftes privat bleibt.

Nicht so in Österreich des Jahres 2021.

Das Internet vergisst nicht. Man kann weder WhatsApp-Chats noch Photos wirklich löschen. Auf einer Cloud fanden die Ermittler, was sie offensichtlich suchten: Chats, die wir jetzt schnipselweise lesen, aber auch die höchst privaten Photos – die postwendend geleakt wurden. Wofür in diesem Fall eindeutig nur die Behörde selbst in Frage kommt – die übliche Ausrede auf den Rechtsanwalt und sogar den Untersuchungsausschuss entfällt diesmal.

Wo ist der Rechtsstaat, wenn eine Behörde der Justiz einem Beschuldigten Privatsphäre einräumt, nur um diese dann in einer nie dagewesenen Aktion zu verletzen? Bisher dachte ich immer, dass ein solcher Rechtsbruch nur in Staaten wie Russland, China oder Nord-Korea passieren kann. Aber bei uns?

Ist das der Putsch der Staatsanwaltschaft, den der Spitzenjurist Christian Pilnacek diagnostiziert hat?

Wo sind die Datenschützer? Gegen die überlebenswichtige elektronische Gesundheitsakte sind sie aufgestanden, weil ein daten-hackender Chef den Alkoholismus eines Mitarbeiters entdecken könnte. Hier aber betreibt eine Justizbehörde schweren Datenmissbrauch gegen einen Bürger – und die ARGE Datenschutz schweigt? Gibt es Menschen mit schützenswerten Daten und solche, deren Daten Munition einer Jagdgesellschaft sein dürfen? Und wer entscheidet über das „who is who“?

Wo sind alle, die vorgegeben haben, die Justiz vor türkisen Angriffen schützen zu müssen – vom Bundespräsidenten abwärts? Hier müsste ein machtloser Bürger vor einer wild gewordenen Behörde geschützt werden. Zählt der einzelne Staatsbürger nicht?

Wehret den Anfängen

Wenn sich die Justiz aussuchen darf, wen sie fertig macht und mit welchen ungesetzlichen Mitteln, wenn sie Menschen mit gezielt verbreiteten Indiskretionen verunglimpft, verletzt sie Recht, Staats- und Menschenrecht.

Wenn man sie das aber lässt, weil es in diesem Fall ins „Weg mit Kurz“-Konzept passt, dann ist das ein Dammbruch. Dann ist Österreich kein Rechtsstaat mehr.