
Ruth Pauli: Warum wir nicht selbst denken dürfen
Das Maß aller Dinge ist mittlerweile der Haltungsjournalismus. Noch ärger treibt es nur der ORF-Gebührenfunk. Dort will man das Publikum permanent missionieren. Der neue ORF-General könnte das ändern, wenn er wollte – könnte…
Die Entsetzensschreie und die Hoffnungsseufzer nach der ORF-Wahl waren, so viel lässt sich sagen, beide allzu viel Lärm um nichts – denn zumindest was die Information des öffentlich-rechtlichen Medienunternehmens betrifft, ist eines klar: Es wird sich nichts ändern. Und das hat sehr viel mit dem Zustand der Mainstream-Medien in Österreich zu tun. Maß aller Dinge ist mittlerweile der Haltungs-Journalismus. Und weil der ORF immer gern eins draufsetzt, hat er die Steigerungsstufe für sich entdeckt: den Missionarsjournalismus.
Es lohnt, sich die Portisch-Grundsätze in Erinnerung zu rufen
Da ich mit meinem Alter nicht hinterm Berg halte, könnte man mir vorhalten, dass ich halt von der neuen Zeit nichts verstehe, zurückgeblieben bin in einem Journalismus, der längst veraltet ist. Aber erinnern Sie sich bitte: Vor kurzem trat das ZiB-Moderatoren-Duo in Schwarz vor die Kamera, interviewte einen trauernden Alexander Wrabetz und teilte der Nation mit, dass der große Hugo Portisch gestorben war. Die ORF-Information hat ihm sehr viel zu verdanken – nicht zuletzt einen guten Ruf, von dem sie immer noch zehren will.
Nur: vom Portisch-Vermächtnis ist weit und breit im Gebührenfunk nichts zu sehen. In den Printmedien ebenfalls nicht. Vielleicht sollte man es hier noch einmal in Erinnerung rufen:
Portisch-Grundsatz Nummer 1: Check, re-check, double check – keine Information, die ein Journalist verbreitet, sollte ohne dreifache Kontrolle bleiben.
Nr. 2: Es sollen immer alle Seiten befragt werden. Und auch ohne (ab)wertende Beiworte im Bericht zu Wort kommen.
Nr. 3 in den Worten seines Weggefährten Heinz Nussbaumer: „Dass bei allem, was veröffentlicht wurde, das letzte Urteil immer beim Leser bleiben sollte. Portischs Journalismus war kein Tummelplatz für Ideologen und Kreuzritter, für Linientreue und Scheuklappenträger. Hinter jeder Überzeugung musste das Recht auf Zweifel und Widerspruch gewahrt bleiben.“
Die Zeit der ehrlichen Parteizeitungen ist vorbei – jetzt sind die Medien Partei
Dass bei uns nur mehr jemand mit einer anonymen Anzeige wacheln muss und die mediale Vorverurteilung faltert ab, dass bei uns keine Anschuldigung überprüft, kein Anpatzen fair hinterfragt wird, dass Gegenargumente nur höhnisch und verunglimpfend erwähnt werden: Das alles haben wir in den letzten Monaten bis zum Überdruss erlebt. Die Zeit der ehrlichen Parteizeitungen ist längst Vergangenheit – jetzt sind die Medien Partei. Eine Partei, die sich zwar keinen demokratischen Wahlen stellen muss, aber die Rechnung trotzdem bekommt: Das Image der Journalisten ist noch weiter gesunken, die Printmedien verlieren Käufer, die ORF-Nachrichten Seher (auch wenn das durch die Pandemie ein bisschen zugedeckt wurde). Die jungen Menschen suchen sich ihre Informationen ohnehin selbst im Netz.
Das alles geschieht rasant, weil besonders der dritte Grundsatz mit Füßen getreten wird: Der Leser/Hörer/Seher soll sich nur ja nicht sein eigenes Urteil bilden, denn das könnte womöglich das falsche sein. Verbreitet wird nicht Information, sondern die richtige „Haltung“. Aus den Redaktionen fließt der Mainstream eines unverdauten Marxismus gemischt mit Sozialkitsch und Geschichtsklitterung – und wird unter dem irreführenden Namen „Information“ unters (meist verachtete) Volk gebracht. Dass sich der Leser da auch nur im Entferntesten sein eigenes Urteil bilden könnte, ist gar nicht beabsichtigt.
Wenn er wollte, könnte der neue ORF-General tatsächlich etwas ändern
Noch ärger im Gebührenfunk: Dort will man das Publikum missionieren. Man will uns pausenlos bekehren, wie in den düstersten Zeiten der Gegenreformation bombardiert man uns mit der „reinen Lehre“. Hörer, Seher – in die Knie und bereue, wenn Du immer noch Fleisch isst, Diesel tankst und dem CO2i nicht abschwörst, Abschiebungen straffälliger Migranten befürwortest, nicht die Regenbogenflagge hisst, kurz: wenn Du die falsche Partei wählst. Und bist Du nicht willig, dann braucht der Missionar Gewalt – Dauerberieselung mit der richtigen „Denke“ (allerdings in falscher Sprache – gegendert mit Zwangspause, mit der sich die 0,0007 Prozent angesprochen fühlen sollen, die auf dem Impf-Formular weder männlich noch weiblich angekreuzt haben).
Der neue ORF-General Weißmann könnte etwas ändern, wenn er wollte. Er müsste nur die genannten journalistischen Grundsätze einfordern. Die Berufung auf Portisch würde den Vorwurf einer „Orbanisierung“ und eine Berufung auf „Meinungsfreiheit“ und Redaktionsstatut verhindern. Würde er sie durchsetzen, hätten wir wieder Information.
Würde. Hätte.
Träumen wird man noch dürfen.
Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.
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Kommentare
Nach meinem subjektiven Empfinden als Medienkonsument und Zwangsgebührenzahler hat sich der ORF von einem Rotfunk (der 70er Jahre) zu einem Rot-Grün-Pink-Funk entwickelt. Journalistische Grundsätze kann ich nicht erkennen, schon gar nicht das Bestreben nach Áusgewogenheit. Ich fände es gerechtfertigt, die GIS-Gebühren abzuschaffen. Wenn schon Propaganda, dann soll sie wenigstens von jenen bezahlt werden, denen sie nützt und nicht auch von all jenen., die sich angewidert abwenden. Dazu kommt noch, dass das selbstgefällige Gehabe vom “Qualitätsjournalismus” sich selbst ad absurdum führt, wenn man der deutschen Sprache mächtig ist und im Gegensatz zu vielen Moderatoren einen Satz korrekt zu Ende sprechen (oder schreiben) kann. Teile des Teletexts etwa wären als Schularbeit negativ zu beurteilen – eine Schande!
Nach meinem Dafürhalten hat sich der ORF zum Selbstzweck-Medium entwickelt.
Egal ob Radio oder TV, egal ob Regional oder National – kolportiert und gesendet wird zumeist das, was den Radio- oder TV-Journalisten des ORF passt und gefällt.
Dafür zahlen wir dann die weltweit höchsten Gebühren und zusätzlich – ebenfalls weltweit einmalig – eine SAT-Empfangsgebühr (wofür?)
ORF = Eine riesige und systematische Geldvernichtungs-Maschine!
Sorry, aber wer Liberalismus in links und rechts einteilt, hat ihn nicht verstanden. Besonders sinnfrei ist der Begriff “linksliberal”, weil er ein Widerspruch in sich ist. Zwischen den politisch größtmöglichen Gegensätzen Sozialismus und Liberalismus gibt es keine Schnittmengen. “Linksliberal” wird in letzter Zeit von Linken gerne verwendet, um sich einen neuen Anstrich zu geben bzw. weil ihnen das althergebrachte “links” und die historisch damit verknüpften Grauslichkeiten peinlich sind. Ähnlich ist es mit dem schon länger aus der Mode gekommenen “progressiv”.
Kein Liberaler kann ein progressives, also linkes Staatsfernsehen, gut finden. Dass ein solches missioniert, ist auch keine plötzliche bedauerliche Entwicklung, sondern im sozialistischen Sinn seine Aufgabe auf dem Weg zum weltweiten sozialistischen Paradies. Das müssen klarerweise gerade Liberale ablehnen und zwar grundsätzlich und immer.
das war eine Antwort auf das Posting von Poster LvM weiter unten.
Der Herr Portisch u. d. Herr Nußbaumer hatte es noch relativ leicht!
Damals gab es Telefax und Telefon, Nachrichtenagenturen, Radio und Fernsehen u. eine Hand voll Fernsehstationen. Es war eine übersichtliche Zeit um sich bei den News gut zurecht zu finden.
Ein Check und ein Re-Check u. ein Re-Re-Check waren damals viel Arbeit viel herumtelefonieren aber es war relativ leicht möglich.
Damals gab es kein Internet, kein Darknet, keine “Social-Media”, kein Russia-Today, RS, keine Epoch-Times, kein ideologisches US-Talkradio also keinen der heute unzähligen News-Fallstricke!
Der ORF schlägt sich tapfer im derzeitigen Nachrichtendschugel zwischen Breitbart, Heartland-Institute, Antifa, Russia Today, Chinesischer Kommunistischer Partei, Russischen Militärgeheimdienst, FSB-Desinformationsabteilung usw. usf.
Der ORF prüft sehr wohl was ist seriöse Info und was ist Desinformation. Was ist Faktum und was nicht heutzutage ist das nicht so leicht wie beim Portisch.
Wir brauchen den ORF in Österreich!
Natürlich muss man immer schauen wo man ihn noch mehr verbessern kann bzw. wo man einsparen kann.
Der neue GD Roland Weißmann ist hoch qualifiziert! Ich traue ihm zu den ORF sehr gut zu führen.
Wer sind “wir”?
Check, Recheck beim ORF? Mir blieb der Mund offen stehen, wie im April in der ZIB behauptet wurde, Orban hätte heute mit Pomp die ersten Dosen vom chines. Impfstoff in Empfang genommen. Meine Familie wurde bereits im Februar mit dem Vakzin geimpft! Und das ist nur ein harmloses Beispiel. Ansonsten: ich wünsche Hrn. Weißmann alles Gute und hoffe, dass er es schafft, dem Haltungsjournalismus, der unter Wrabetz leider salonfähig geworden ist, den Garaus zu machen. Ich würde mich jedenfalls über unabhängige Berichterstattung sehr freuen.
Der ORF war immer ein Instrument einer progressiven Politik. Er war niemals politisch neutral.
Und damit hat der ORF durchaus etwas erreicht. Wir sind weltoffender und liberaler geworden.
Eine weltoffener, liberaler, progressiver (und wenn man unbeding will, dann halt auch ein “linker”) ORF ist an und für sich nicht das Problem. Das Problem entsteht (wie Ruth Pauli ganz richtig erkannt hat), wenn eine progressive Elite glaubt, sie müsse dem Rest ihre Ideale mit Gewalt aufs Auge drücken.
Das passiert im Moment. Es wird erkannt und es erzeugt Widerstand und letztlich wird das Gegenteil von dem erreicht, was die progressive Elite erreichen will. Die Elite ist selbstgerecht geworden, gnadenlos in ihrem Anspruch auf moralische Überlegenheit – und das spürt man. Damit will man keine gemeinsame Sache machen.
Als Liberaler bin ich im Dilemma. Das was heute als linksliberal gilt ist eigentlich ein gemässigter Kommunismus. Die Rechtsliberalen haben sind zwar näher am Liberalismus dran, vor allem haben sie noch eine gesunde Skepsis gegenüber der linken Staatsmacht.
Aber diese gesunde Skepsis ist trügerisch. Weil sie nicht auf einer oppositionellen, kritischen Haltung gegenüber der Staatsmacht an sich beruht. Der Rechtsliberale ist solange liberal, solange es darum geht, seine Privilegien abgesichert zu wissen. Wenn es um die Verteidigung dieser Privilegien geht, dann ist ein möglichst starker und intervenierender Staat plötzlich auch kein Problem mehr.
Einen echten, weltoffenen, bürgerlichen und aufgeklärten politischen Liberalismus gibt es in Österreich nicht.
@LvM wer sind die “Eliten” ? Journalisten und Journalistinnen, oder die höchst bezahlte Menschen in unkündbaren Positionen oder sind die wahren Eliten die, die die Kohle verdienen die mit offenen Händen verschwendet wird
Der Mainstream im ORF ist sehr professionell konstruiert, prinzipiell kann jede Kritik an ihm vom Unternehmen selbst aber auch von seinen Fans als subjektiv abgeschmettert und in das Reich der Verschwörung geschoben werden.
Daher ein Fall bei dem sich jeder selbst sein Urteil machen kann.
Stellen Sie sich vor Trump hätte nun dieses Desaster in Afghanistan zu verantworten, vergleichen Sie die Dauerschleife mit der jede Tätigkeit Trumps vom ORF kommentiert wurde und nun beobachten Sie wie der ORF über Biden berichtet.
Viel Spaß beim Vergleichen und Erkennen.
Danke, Spaß hatte ich. Biden wurde in der ZIB 2 gestern dafür heftig kritisiert.
Deal mit den Taliban für den Abzug (der eigentlich noch schneller gehen sollte!) stammt aber immer noch von Trump. Das kann man schlecht ignorieren oder wegdiskutieren ….
“Heftig kritisiert” eine putzige Formulierung, der andere wurde heftig attackiert.
Es geht mir nicht darum Trump zu verteidigen, nur darum aufzuzeigen das in der selben Sache eine unterschiedliche Kampagne gefahren wird.
Am besten gefallen mir die 3 Portisch Grundsätze für journalistische Sorgfalt!
Diese findet man bei den sogenannten “Alternativmedien” nie und bei den Boulevard Medien kaum. Die Messlatte gilt für infodirekt wie für die Krone oder den ORF. Dass die ZIB Redaktionen diesem Anspruch noch am ehesten gerecht wird, heisst nicht dass sie fehlerfrei sind.
Toller Kommentar – Danke Frau Pauli !!
Hervorragender Artikel – auch wenn ich ehder der Skepsis der Autorin zuneige, geben wir dem Weismann eine Chance …
Auf den Punkt gebracht! Vielen Dank Frau Pauli!
Vielen Dank für den Kommentar, bei dem tragischerweise nur allzuviele zustimmend nicken werden.
Die Zeitungen erleben ja die Abstimmung der Leser mit den Füßen jeden Monat in ihren Auflagezahlen.
Ich denke, beim ORF wird wohl einzig eine Umstellung vom Modell der allgemeinen Zwangsgebühren auf ein Pay-TV System mit echter Opt-Out-Möglichkeit (sowohl der Empfang per Satellit oder per terrestrischem Empfänger bieten in der digitalen Sendetechnik schon heute die technischen Möglichkeiten dazu), helfen, den Inhalt an den Interessen des zahlenden Publikums auszurichten.
“Walk in the shoes of our customers” heißt es in vielen Firmen. Warum wohl?