Ein handfester Zoff zwischen der EU-Kommission und Polen kündigt sich an. Der Grund: Im schwelenden Streit um den Rechtsstaat wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. So wollen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die EU-Kommission Polen keine Strukturfördermittel mehr auszahlen, solange die Regierung in Warschau bestimmte Bedingungen nicht erfüllt – darunter die Rücknahme der umstrittenen Justizreform.

Für Polen geht es um mächtig viel: Sage und schreibe 75 Milliarden Euro an Strukturhilfen aus dem aktuellen EU-Haushalt von 2021 bis 2027 würden dem 40-Millionen-Einwohner-Land durch die Lappen gehen. Die Strukturfördermittel sollen die Unterschiede zwischen wirtschaftlich starken und schwächeren Regionen ausgleichen. Sollten diese Gelder nicht fließen, wäre der Schaden für Polen enorm: 75 Milliarden Euro machen, gerechnet auf sieben Jahre, 1,6 Prozent des polnischen Bruttoinlandprodukts aus. Warschau ist der größte Empfänger von Geldern aus Brüssel.

Polens starker Mann Jaroslaw Kaczynski (li.) und Premier Mateusz MorawieckiFoto: EPA-EFE/ANDRZEJ LANGE

Größte Kritik Brüssels: Polens Regierung habe Justiz unter politische Kontrolle gebracht

Was Brüssel besonders gegen den Strich geht: Polens Regierung von Mateusz Morawiecki habe in den vergangenen Jahren die öffentlich-rechtlichen Medien gleichgeschaltet und auf Regierungslinie gebracht. Außerdem würde sie die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten vorantreiben. Was aber für die EU-Kommission am schwersten wiegt: Die Regierung Morawiecki habe auch das polnische Justizsystem unter ihre politische Kontrolle gebracht. Der starke Mann in Polen ist aber weniger Premier Morawiecki als vielmehr der Chef der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), Jaroslaw Kaczynski.

Angesichts der Drohung Brüssels, die milliardenschweren Strukturhilfen zu streichen, kritisierte Polens Justizminister Zbigniew Ziobro das Vorgehen der Kommission als „eindeutig illegal“. Beobachter warnen, dass die erneute Eskalation mit Polen für Brüssel ins Auge gehen könnte. Der Geldentzug könnte nämlich zu einer Solidarisierung der Bevölkerung mit der Regierung Morawiecki führen und das Szenario eines „Polexit“ (angelehnt an den Brexit) heraufbeschwören. Zur Erinnerung: Die Kommission hat kürzlich auch der ungarischen Regierung von Viktor Orbán gedroht, 7,5 Milliarden Euro an EU-Geldern für Ungarn zu streichen. Laut Brüssel ist in Ungarn unter Orbán die Korruption ins Kraut geschossen.