Die Offensive der Ukraine erfolgte wesentlich rascher und erfolgreicher als selbst die größten Optimisten angenommen haben, sagt Polit-Experte Dr. Ralph Schöllhammer (Webster University) im Gespräch mit eXXpress-Chefredakteur Richard Schmitt. Waffenlieferungen und Training haben offensichtlich mehr geholfen als gedacht. „Gleichzeitig war die Erwartung, dass Russland einlenkt und klein beigibt, zu optimistisch.“ Die Teilmobilisierung Russlands ist schon länger im Raum gestanden. „Mit dieser Reaktion war zu erwarten.“

Bisher war das keine „russische“ Armee – in ethnischer Hinsicht

Für wahrscheinlicher als die nukleare Option hält Schöllhammer die Energieoption. Bemerkenswert sei etwa, dass die EU die Sanktionen für Kohle eben gelockert hat. Nun darf wieder russische Kohle durch die EU an Drittstaaten geliefert werden – um von dort wohl wieder von der EU gekauft zu werden, weil der EU die Energieknappheit eben stark zu schaffen macht.

Gespannt darf man sein auf die russische Armee von angeblich 300.000 Soldaten, die auf die Ukraine zusteuern wird. „Bisher hatten wir keine ‚russische‘ Armee“, sagt Schöllhammer. Es waren Männer aus verschiedenen Regionen der russischen Föderation an der Front, aber nur wenige ethnische Russen. Bisher war die Moral bei diesen Truppen relativ niedrig.

Man wird sehen, wie groß die Kriegsbegeisterung der russischen Soldaten wirklich ist

Laut Umfragen unterstützen 65 Prozent der Russen diesen Krieg. „Man wird sehen, ob das wirklich stimmt, ob die wirklich mit Begeisterung in den Krieg ziehen werden oder ob sie den Kriegsdienst verweigern“, sagt Schöllhammer. Man werde auch sehen, ob die neuen Soldaten gut ausgerüstet sind und besser kämpfen werden als die bisherige Armee. Auch die Strategie ist unklar: Wird diese Armee am Ende auf die Hauptstadt Kiew zumarschieren – das könnte nochmals zu einem Strategiewechsel bei der NATO führen – oder wird sie vor allem die bisher eroberten Gebiete verteidigen.

Bisher wurde viel Geld in die Modernisierung der russischen Armee gesteckt. Doch offensichtlich sind einige Investitionen auf Schweizer Bankkonten gelandet und bewirkten nur auf dem Papier Modernisierungen wie Nachtsichtgeräte auf Panzern. Wie viele der Luftstreitkräfte, die bisher noch nicht im Einsatz waren, tatsächlich einsatzbereit sind, sei ebenfalls unklar.

Der Druck von Seiten der Hardliner auf Putin ist zurzeit am größten

Eines steht für Schöllhammer fest: Der Druck auf Putin von Seiten der pro-nationalistischen Kriegskreise in Russland  ist gegenwärtig wesentlich größer, als jener der Pazifisten. Sollte es tatsächlich einen Putsch gegen Putin geben, könnte das die Generalmobilmachung erst einleiten, weil „die Hardliner in der politischen Klasse stärker vertreten sind als man glaubt“ – und denen zufolge wird der Krieg bisher viel zu wenig hart geführt.

Viele weitere spannende Fragen werden in dieser eXXpress-Sondersendung besprochen, etwa die Auswirkungen eines Machtvakuums in den russischen Grenzregionen, oder die Möglichkeit, dass Länder wie Polen auf einmal doch gegen Russland in den Krieg ziehen.