Vorläufig möchte die Europäische Zentralbank (EZB) nicht gegen die Inflation ankämpfen, zumindest nicht bis März. Sie behält ihre ultralockere Geldpolitik bei, und das trotz Rekordinflation und wieder brummendem Wirtschaftsmotor. Immer mehr Beobachter fragen sich, wie lange das so weitergehen kann.

Kombination aus Null- und Minuszinsen bleibt

Am Donnerstag fasste die Notenbank keine neuen Beschlüsse. Die Anleihezukäufe aus dem Corona-Notfallprogramm gehen damit wie geplant zu Ende, das andere Kaufprogramm wird unbefristet fortgesetzt – und der Leitzins bleibt bei null Prozent: Dort verharrt er mittlerweile seit März 2016.

Auch der Einlagenzins der Banken befindet sich unverändert bei minus 0,5 Prozent (!). Auf diesem Tiefststand senkte ihn die EZB im September 2019. Der Einlagenzins bestimmt, wie viel Zinsen die Banken von der Zentralbank bekommen, wenn sie kurzfristig nicht benötigtes Geld – typischerweise Sparguthaben – bei der EZB anlegen.

Anleihekäufe könnten doch noch enden

Zumindest bei den Anleihekäufen könnte sich in diesem Jahr etwas ändern und damit in weiterer Folge auch noch beim Zins. EZB-Präsidentin Christine Lagarde schließt ein Ende der Anleihekäufe im Jahr 2022 nicht mehr aus. Damit ist eine Zinserhöhung heuer doch noch möglich. Noch im Dezember 2021 hatte Lagarde ein Anheben des Zinses im Jahr 2022 als “sehr unwahrscheinlich” bezeichnet.

Die Inflation könnte Lagarde einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Im Jänner stieg die Inflationsrate in der Euro-Zone nochmals kräftig an, auf 5,1 Prozent. Einen vergleichbaren Preisschub hatte es in der Geschichte des Euro noch nie gegeben. Von der Zielmarke von zwei Prozent ist die EZB damit meilenweit entfernt. Was noch dazukommt: Die Wirtschaft erholt sich schnell.

Die Inflation setzt die EZB zunehmend unter Druck

“Die Inflation wird länger als erwartet hoch bleiben, wird sich aber im Jahresverlauf abschwächen”, sagte Lagarde am Donnerstag. Pikant daran ist: Die EZB hat die Inflation im vergangenen Jahr schon mehrmals deutlich unterschätzt und musste ihre Prognosen permanent nach oben korrigieren. Auch jetzt teilen nicht alle Lagardes Optimismus, selbst wenn gewisse Effekte der Corona-Zeit, veranlasst etwa durch Lieferengpässe, vorübergehen werden. Der EZB-Chefin zufolge brauche es mehr Flexibilität in der Geldpolitik. Man sei bereit, alle Maßnahmen anzupassen, damit sich die Inflation mittelfristig beim Zielwert von zwei Prozent stabilisiert.

Immer mehr deutsche Ökonomen äußern ihr Unverständnis für die Zurückhaltung der EZB. Diese betreibe noch immer Deflationsbekämpfung inmitten des stärksten Inflationsschubs seit Einführung des Euro. Seit Jahren werden darüber hinaus die hohen Staatsschulden als eigentliche Triebfeder für die ultralockere Geldpolitik ins Treffen geführt. Mit ihrer Nullzinspolitik erleichtert die EZB Staaten das Schuldenmachen und schafft auch keine Anreize, daran etwas zu ändern. Das – und nicht die vermeintlichen zwei Prozent Inflation – seien der eigentliche Grund der expansiven Geldpolitik. Angesichts einer zunehmend höheren Inflationsrate droht der EZB ein Glaubwürdigkeitsverlust.

Große Sorge bereiten die überschuldeten Euro-Staaten

Eine entscheidende Rolle spielen dabei auch die Anleihenkäufe. Mit ihrer Hilfe konnte die Renditen von hoch verschuldeten Eurostaaten unter Kontrolle gehalten werden. Das betrifft besonders Italien und Griechenland. Die EZB hält mit ihren Anleihekäufen die Nachfrage der EZB nach diesen Staatspapieren aufrecht. Wenn sie damit aufhört, steigen auch wieder die Renditen.

Schon vor der Corona-Krise hat diese Geldpolitik zu massiven Preissteigerungen geführt, allerdings in anderen Segmenten, die sich nicht im Warenkorb und damit in der offiziellen Inflationsrate widergespiegelt haben. So gingen etwa die Preise von Aktien und Immobilien durch die Decke. Diese Nebeneffekte drohen über kurz oder lang massive soziale Spannungen auszulösen, schließlich belasten sie vor allem ärmere Schichten.

Die EZB lässt sich dennoch Zeit. Andere Notenbanken haben unterdessen die geldpolitische Wende bereits eingeleitet – wie die britische Notenbank – oder zumindest angekündigt – wie die Fed.