Keine Waffenlieferungen an die Ukraine, auch über Umwege, nur halbherziges Vorgehen gegen Oligarchen – all das stößt in Europa und in den USA sauer auf. Schweizer Politiker verweisen auf Artikel 185 ihrer Bundesverfassung: „Der Bundesrat trifft Maßnahmen zur Wahrung der äußeren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.“ Das überzeugt Kritiker der Schweizer Haltung nicht.

NATO-General Jens Stoltenberg ist verständnislos gegenüber der Schweizer Haltung.APA/AFP/Kenzo TRIBOUILLARD

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte im Jänner in Davos: „Es geht nicht um Neutralität. Es geht um das Recht auf Selbstverteidigung“, sagte er im Jänner in Davos. Noch schärfer äußerte sich der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen: „Die Neutralität stammt aus meiner Sicht aus dem vergangenen Jahrhundert.“ Die Schweiz müsse helfen, die internationale Rechtsordnung zu verteidigen. „Wir erwarten von der Schweiz, dass sie in bestimmten Stellen über ihren neutralistischen Schatten springt“, sagte der deutsche Botschafter Michael Flügger im Fernsehen.

Washington wünscht sich härteres Vorgehen gegen russische Oligarchen

Bei den Russland-Sanktionen wünscht sich Washington mehr Engagement von den Schweizer Eidgenossen. Als der Krieg begann, erklärte die Regierung in Bern zuerst, die Schweiz sei neutral und werde nicht mitmachen. Erst auf Druck aus dem Ausland erfolgte die Kehrtwende, nach Ansicht von Kritikern aber nur halbherzig.

Scott Miller, US-Botschafter in der Schweiz, wünscht sich mehr Schweizer Engagement bei den Russland-Sanktionen.APA/AFP/KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE

Die „Sanktionen sind nur so stark wie der politische Wille dahinter“, sagte US-Botschafter Scott Miller gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“. Bis Ende 2022 wurden knapp acht Milliarden Franken von Russen blockiert. Es werden aber viele weitere Milliarden in der Schweiz vermutet. Nach Ansicht des US-Botschafters könnte die Schweiz 50 oder 100 Milliarden Franken mehr  an Oligarchengeldern blockieren.

Schweizer Waffen landen nicht im Kriegsgebiet

Besonders scharfe Kritik erntet die Schweiz aber aus einem anderen Grund: Sie verweigert die Weiterleitung von Munition, die sie an Verbündete verkaufte, an die Ukraine. Der deutsche Rheinmetall-Konzern etwa darf nicht alte Leopard-Panzer aus Schweizer Beständen in Gang setzen und an die Ukraine weitergeben. Darüber hinaus verschrottet die Schweiz ihre zwar alten, aber  immer noch einsatztauglichen Rapier-Flugabwehrraketen, obwohl die Ukraine dringend Flugabwehrsysteme benötigt.

Der sozialdemokratische Bundespräsident Alain Berset ist klar gegen direkte oder indirekte Waffenlieferungen: „Gerade weil wir neutral sind und keine Weitergabe von Waffen in Kriegsgebiete erlauben, können wir sehr viel leisten für diesen Kontinent. Schweizer Waffen dürfen nicht in Kriegen zum Einsatz kommen“, erklärte in einem Interview mit der „NZZ am Sonntag“. Die Schweiz könne nicht ihre eigenen Gesetze brechen, erklärte er bei einem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz.

Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset (l.) bei Kanzler Olaf Scholz (r.) in Berlin.APA/AFP/Odd ANDERSEN

Viel Kritik, auch aus der eigenen Partei, hatte Berset zuvor einstecken müssen, als er einen „Kriegsrausch“ kritisierte. Zuspruch erntete er von der nationalkonservativen SVP.

Auch im Inland gibt es Kritik – sie setzt sich aber nicht durch

In der Schweiz wie in Österreich genießt die Neutralität breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Doch in beiden Ländern stellen sich einige Stimmen gegen die Mehrheitsmeinung. Ausgerechnet die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd rief vor der Schweizer Offiziersgesellschaft zu einer aktiveren Unterstützung der Ukraine auf: „Keiner meiner Amtskollegen hat Verständnis dafür, dass wir andere Länder daran hindern, die Ukraine mit dringend benötigten Waffen und Munition zu versorgen.”

Die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd macht sich für eine andere Haltung bei Waffenlieferungen stark.APA/AFP/Fabrice COFFRINI

Ebenfalls gegen das Verbot der Munitionsweiterleitung an die Ukraine ist der Schweizer Grünen-Abgeordnete Gerhard Andrey aus: „Die Schweiz hat ihren Ruf massakriert.“ Das sieht auch der Politologe Christoph Frei so: „Unsere Nachbarn werden sich in Zukunft noch stärker fragen, wie weit man der Schweiz politisch entgegenkommen will. Wir sind auf dem Weg, Freunde zu verlieren.“

Durch Österreich werden zurzeit Waffen problemlos an die Ukraine weitergeleitet. Das ist einigen aber noch nicht genug. So erklärte etwa die Österreichische Offiziersgesellschaft (ÖOG): Man wolle zwar keine Empfehlung abgeben, aber Tabuthema solle ein Beitritt zur NATO auch nicht sein. Man wünsche sich eine „ergebnisoffene Analyse“. Kritik an der heimischen Neutralität kommt auch von den Neos.