Es sind beängstigende und schockierende Szenen, die sich an Polens Grenzen zu Belarus abspielen: Menschenmassen sammeln sich vor den, vom Bewachungslevel bereits jedes Hochsicherheitsgefängnis in den Schatten stellenden, Grenzzäunen und drängen auf Einlass. Das Eskalationspotential ist hoch, die polnische Regierung in höchster Alarmbereitschaft. Dass es sich dabei keinesfalls um einen Zufall handelt, davon ist nicht nur Polens Außenstaatssekretär Piotr Wawrzyk überzeugt, der dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko am Montag vorwarf, eine “große Provokation” vorzubereiten: “Belarus will einen bedeutenden Zwischenfall, Medienberichten zufolge möglichst mit Schüssen und Opfern”, meinte Wawryzk im staatlichen Radio – und auch der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer findet eindringliche Worte zur Lage. In einem Interview mit der “Bild” fordert Seehofer Unterstützung von der EU bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms, denn mittlerweile ist klar: Deutschland und Polen allein können das Problem nicht lösen.

“Wir müssen der polnischen Regierung bei der Sicherung der Außengrenze helfen. Das wäre eigentlich Aufgabe der EU-Kommission. An die appelliere ich jetzt, dass sie aktiv wird”, so der CSU-Politiker im Interview mit der “Bild”. Und er ging noch weiter: Alle EU-Staaten müssten nun zusammenstehen, da der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko versuche, die Schicksale der Flüchtlinge zu benutzen, “um den Westen zu destabilisieren”.

"Die Europäische Botschaft muss sein: 'Es reicht!'"

Deutschland hat der Regierung in Warschau bekanntlicherweise bereits die Unterstützung deutscher Polizisten zur Sicherung der Grenze angeboten, nun sollen weitere EU-Länder folgen – auch, um ein klares gemeinsames europäisches Zeichen zu setzen. CSU-Europapolitiker Manfred Weber fordert, ebenfalls gegenüber der “Bild”, in diesem Zusammenhang ein entschiedenes Auftreten der Europäischen Union: “Die europäische Botschaft muss sein: Es reicht!”. Er sprach sich für “verschärfte Sanktionen” gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und sein Umfeld aus. Und die EU-Länder reagieren: Polens Nachbarland Litauen sicherte Polen bereits “jede erforderliche Unterstützung” zu und verstärkt indessen auch seinen eigenen Grenzschutz. Auch in Österreich laufen die Beratungen über den bestmöglichen Beistand bereits auf Hochtouren.

Polen allein kann der Lage an den Grenzen nicht mehr Herr werden - auch nicht mit der Unterstützung der DeutschenAFP

Indessen forderte die EU-Kommission am Montagabend, dass neue Sanktionen gegen Belarus beschlossen werden sollen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: “Die Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke durch Belarus ist inakzeptabel.” Sie rufe die Mitgliedsstaaten zur Billigung erweiterter Sanktionen gegen die belarussischen Behörden auf.

Harsche Kritik am Handeln der russichen Führung übt auch die Nato: Ein Vertreter des Militärbündnisses erklärt, dass Alexander Lukaschenko die Nato-Mitgliedsstaaten Polen, Lettland und Litauen mit dieser “Welle” von Flüchtlingen gezielt unter Druck setze. Es sei “unakzeptabel, wie das Lukaschenko-Regime Flüchtlinge als hybride Taktik einsetzt”, so der Nato-Sprecher.

Polen schließt Grenze mit Dienstag

Die “katastrophale” Lage an der Grenze bewegte die polnische Regierung nun auch dazu, einen Grenzübergang zu schließen. Mit Dienstag 7.00 Uhr werde der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica eingestellt, teilte der Grenzschutz am Montag über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen.

Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Er hatte als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land erklärt, Menschen auf ihrem Weg zu einem besseren Leben im “gemütlichen Westen” nicht mehr aufzuhalten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten.