Während viele ukrainische Politiker noch immer von einer kompletten Rückeroberung der von russischen Truppen gehaltenen Gebieten sprechen und auch die Rückgewinnung der seit Jahren besetzten Halbinsel Krim einfordern, sieht dies Aleksey Arestovich offenbar etwas anders: Der im Jänner zurückgetretene enge Berater von Wolodymyr Selenskyj sprach nun in einem Interview über eine wesentlich realistischere Situation.

So meinte Arestovich: “Lassen Sie 20 Prozent der ukrainischen Gebiete vorübergehend unter russischer Kontrolle und der Rest des Landes wird der NATO beitreten.” Dies werde angeblich bereits offen in politischen Kreisen in Kiew diskutiert. Und der Ex-Berater weiter: „Wir halten weiterhin 80 Prozent des Landes. Für den größten Teil des Staates stellen wir die Feindseligkeiten ein und treten der NATO bei. Das ist eine historische Chance.”

Ex-Berater des ukrainischen Präsidenten: Aleksey Arestovich.

Arestovich über Selenskyj: "Er wird Gebietsverlusten nicht zustimmen"

Ebenso hoch interessant ist die Einschätzung der aktuellen militärischen Lage durch Arestovich: “Eine Fortsetzung der militärischen Lösung mit einem Versuch der Rückeroberung der Krim kostet weitere 200.000 ukrainische Soldaten das Leben – und die Wirtschaft der Ukraine wird komplett zerstört.”

Allerdings hat der Ex-Politiker wenig Zuversicht, dass seine Vorschläge vom Präsidenten angenommen werden: “Er wird nicht bereit sein,  Frieden gegen Territorium einzutauschen. Selensky wird kein Friedensabkommen mit der Abtretung eines Teils der Gebiete der Ukraine unterzeichnen. Das kann er nicht: Die Frage des Landbesitzes ist für ihn eine existenzielle Frage. Russland würde ja die Gebiete, die es besetzt hat, dann zu Beginn des Verhandlungsprozesses erhalten.”

Arestovich nannte diese Lösung – also eine West-Ukraine so wie einst West-Deutschland zu schaffen – eine “historische Chance”. Ob diese Variante noch möglich ist, das entscheidet aber auch die Regierung der Russischen Föderation: So wurde bereits in Moskau gesagt, dass die ersten Kriegsziele überholt seien, nun gehe es bereits darum, “einen 400 Kilometer breiten Schutzstreifen auf dem Gebiet der bisherigen Ukraine einzurichten, damit die kürzlich von Deutschland und Großbritannien an Kiew gelieferten Marschflugkörper nicht russisches Gebiet treffen könnten”.

Bei diesen neuen russischen Plänen wäre auch Kiew in diesem eroberten “Schutzstreifen” – und auch weitere wichtige Städte der Ukraine.

Die Gegenoffensive der Ukraine läuft nicht gut: Wolodymyr Selenskyj
Die militärische Lage im Osten der Ukraine.