Russlands Präsident Wladimir Putin hat seit Beginn des Ukraine-Krieges wiederholt mit einem Atomangriff gedroht. Als größte Atommacht sollte die NATO eine präventive Drohung an die Adresse Russlands schicken, forderte Melnyk nun.

„Entscheidend ist, dass man klar benennt, welche desaströsen Folgen ein russischer Atomschlag in der Ukraine für Putin hätte“, sagt der Diplomat, der im Oktober aus Deutschland abberufen wurde und nun wieder in Kiew lebt. Das sei wirksamer als das Verhalten vor der Invasion, meint Melnyk. „In den Wochen vor dem großen Krieg am 24. Februar hat der Westen gepredigt: Wir verraten Putin unsere Reaktion nicht, wenn er angreift.“ Das habe nichts gebracht, meint Melynk gegenüber dem Nachrichtenportal „T-Online“.

Andrij Melnyk kommentiert das Kriegsgeschehen mittlerweile von Kiew aus.APA/AFP/Tobias SCHWARZ

Glaubwürdige Drohkulisse müsse aufrecht erhalten werden

Nun müsse der Westen „glasklar formulieren, welche gravierenden Konsequenzen ein nuklearer Angriff nach sich ziehen würde: für Putin persönlich, sein Regime, für Russland als Staat. Die NATO ist die größte Atommacht und ich glaube, dass man diese präventive Drohung auch in den Raum stellen sollte: Der Westen muss sehr deutlich machen, dass er vor einem nuklearen Zweitschlag nicht zurückschrecken würde, wenn Putin zur Bombe greift.“

Auf den Einwand, dass eine Atombombe auf russischem Gebiet einen Atomkrieg bedeuten würde, entgegnet der Ex-Botschafter: „Es geht um die Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Drohkulisse als Reaktion auf einen möglichen russischen Nuklearschlag, der hoffentlich nie geschieht. Im Kalten Krieg hat diese Abschreckungslogik perfekt funktioniert, allen war klar: Ein Atomschlag kommt einem Selbstmord gleich, weil die andere Atommacht adäquat reagieren würde. Nur so wurde die Welt von einem nuklearen Inferno bewahrt.“

Lage in Kiew: „Man bereitet sich auf das Schlimmste vor“

Natürlich sei ein Atomkrieg schrecklich. Aber: „Der Westen hat sämtliche Mittel in der Hand, um Putin von diesem wahnsinnigen Schritt abzubringen, aber nicht durch falsches Einlenken, sondern nur aus einer Position der Stärke heraus.“

Die Gesamtlage in Kiew sei zurzeit sehr schwierig. „Täglich gibt es – planmäßig – stundenlang keinen Strom, mal fällt das Wasser aus, mal die Heizung.“ Zurzeit würden die Menschen diesen Zustand erstaunlich gelassen zur Kenntnis nehmen. „Aber man bereitet sich auf noch Schlimmeres vor.“

In Kiew gehen mittlerweile die Lichter aus.

Der Winter wird hart – „aber wir werden ihn durchstehen“

Einen generellen Blackout könne man nicht ausschließen. „Die perfide Kriegsstrategie der Russen, die auf dem Schlachtfeld geschlagen werden, besteht ja vor allem darin, unsere Energieinfrastruktur im gesamten Land mit Raketen und Drohnen zu zerstören. Laut Völkerrecht sind das klare Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung.“ Und: „Dieser Winter wird hart, aber wir werden ihn durchstehen.“

Im Gespräch mit der „Welt“ konkretisierte Melnyk seine Warnungen vor einem „heftigen“ Winter. Schon jetzt fehlten der Millionenmetropole Kiew zeitweise Strom und Wasser. „Das ist der Preis, den man zahlen muss“, sagte Melnyk. Zugleich bat er um die Lieferung weiterer Luftabwehrraketen von der Bundesregierung, um russische Angriffe auf kritische Infrastruktur besser abwehren zu können und „die Stadt vor einem Blackout zu retten.“

Putins Gerede von Verhandlung ist Täuschung

Der Diplomat stellt sich nach wie vor gegen jegliche Verhandlungen, wie sie einige westliche Staatenchefs fordern. Dies sei „nichts weiter als Altweibergeschwätz“, erklärte er gegenüber „T-Online“. Und: „Die ukrainische Position ist klipp und klar: Isoliert den Kriegsverbrecher Putin und den Terrorstaat Russland auf der Weltbühne.“ Der Appeasement-Kurs gegenüber Moskau habe ja genau „in das heutige Desaster“ geführt.

Putin rede von Verhandlungen nur wegen der Bilder. „Fotos von Putin, Schulter an Schulter mit Biden, Scholz und dem Rest der zivilisierten Welt – das würde reichen, um sich in Russland und Europa als ‚großer Friedensstifter‘ zu inszenieren.“ Das sei aber eine Falle: „Putin erzeugt nur den Anschein, er wolle verhandeln.“ Das „Kreml-Gequatsche“ darüber sei „nichts anderes als ein Täuschungsmanöver“.