Die Ukraine versucht seit längerem, ihre Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Allerdings waren bislang die Zigtausenden wehrfähigen Männer gemeint, die ihr Land verlassen haben, um nicht in den Krieg mit Russland ziehen zu müssen. Präsident Selenskyjs Armee hat Rekrutierungsprobleme.

Völlig neue Töne in Sachen Heimholung schlug jetzt Serij Leschtschenko am Wirtschaftsforum in Davos an. Der Präsidenten-Berater appellierte an die Aufnahme-Länder der Flüchtlinge, diese nicht weiter zu unterstützen: “Die Gastländer sollten damit aufhören, damit sie heimkehren”, sagte er dem Schweizer “Tagesspiegel”.

Kiew angeblich nicht sicher: "Unsinn!"

Auf die Frage, ob die Rückkehr für die Flüchtlinge mitten im Krieg nicht zu riskant sei, antwortetenLeschtschenko: “Natürlich ist es in den Städten fünf Kilometer von der Frontlinie entfernt, die mit Artillerie beschossen werden können, sehr gefährlich. Dort leben immer weniger Menschen. Es gibt aber Städte rund 30 bis 40 Kilometer von der Front entfernt, die von der russischen Artillerie nicht erreicht werden können, etwa Kramatorsk, wo eine neue Wirtschaft entsteht.”

Solche Städte seien Knotenpunkte des Militärs. Für die vielen Soldaten gäbe es ausreichend Unterkünfte und ein Spital. Aber sie wollten auch mal zum Friseur gehen, einen Laptop oder ein Handy kaufen können. Es existierten genügend Fast-Food-Läden für Burger oder Sushi. Neue Hotels seien entstanden, wo die Ehefrauen von Soldaten wohnten, wenn sie für ein paar Tage ihre Männer besuchten. Das alles schaffe eine neue Infrastruktur und Arbeitsplätze.

Die aktuelle Situation in der Hauptstadt Kiew beschreibt er als weitestgehend normal: “Die Menschen dort sind ähnlich mobil wie vor dem Krieg. Die Plätze derjenigen, die geflüchtet sind, seien von Neuankömmlingen aus Kriegsgebieten eingenommen worden: “Wir haben drei Millionen Menschen, darunter Hunderttausende Kinder, die in Kiew leben. Das Argument, es sei nicht sicher, ist Unsinn.”

Leschtschenko: "Wir verlieren eine ganze Generation"

Die Rückkehrer müssten nicht an der Front kämpfen. Aber sie könnten in der Ukraine im Supermarkt ukrainische Produkte kaufen und Mieten für eine Kiewer Wohnung bezahlen, die Kliniken und Apotheken nutzen und ihre Steuern bezahlen, damit  Schulen finanziert werden könnten. Ihr Geld fehle in der Wirtschaft. Und die Situation werde immer schwieriger, so der Präsidenten-Berater gegenüber dem “Tagesspiegel”.

Bislang kämen sechs Steuerzahler für das Gehalt eines Soldaten auf. Die im Ausland lebenden Ukrainer verzichteten aber darauf, die Armee zu unterstützen, weil sie keine Steuern bezahlen und Konsumgüter kaufen würden.

Noch fataler für Serij Leschtschenko: “Jetzt gehen ihre Kinder und Jugendliche in europäischen Ländern zur Schule und integrieren sich immer mehr. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie zurückkommen, immer geringer. Und wir verlieren eine ganze Generation an jungen Leuten.”