Zwei maßgebliche Außenpolitik-Berater in den USA haben sich zu Wort gemeldet und offen eingeräumt: Der Ukraine-Krieg hat in eine Sackgasse geführt. Der Westen könne den eingeschlagenen Weg nicht fortsetzen, weil er auf unrealistischen Annahmen basiert. Die Ziele, die man sich gesetzt habe, seien illusorisch gewesen. Am besten sei ein Waffenstillstand, dem aber sowohl Moskau, als auch Kiew zustimmen müssten.

Bei den beiden US-Experten handelt es sich um den Diplomaten Richard Nathan Haass (72) – er ist seit 20 Jahren Präsident der maßgeblichen US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (Rat für auswärtige Beziehungen), und um Charles A. Kupchan (65), Professor für internationale Beziehungen an der Georgetown University in Washington, D.C. und ehemaliger Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten.

Richard Haass ist seit Jahren Präsident des Council on Foreign Relations und ehemaliger Direktor für Politikplanung des Außenministeriums.Win McNamee/Getty Images
Charles Kupchan war in Washington jahrelang National Security Senior Director for European AffairsCheriss May/NurPhoto via Getty Images

Kriegsziele sind „außer Reichweite“

Angesichts der ins Stocken geratenen Gegenoffensive der Ukraine und der schwindenden Bereitschaft der USA und Europas, Kiew weiterhin militärisch zu unterstützen, fordern die beiden Experten im US-Magazin Foreign Affairs „eine umfassende Neubewertung der aktuellen Strategie“ im Ukraine-Krieg. Dies offenbare aber „eine unbequeme Wahrheit: nämlich, dass sich die Ukraine und der Westen auf einem unhaltbaren Weg befinden“.

Bei Außenpolitik-Berater fordern in Foreign Affairs neue Zielsetzungen im Ukraine-Krieg.

Bisher habe ein „eklatantes Missverhältnis zwischen den Zielen und den verfügbaren Mitteln“ bestanden. Kiews Kriegsziele – „die Vertreibung der russischen Truppen aus dem ukrainischen Land und die vollständige Wiederherstellung seiner territorialen Integrität, einschließlich der Krim“ – seien zwar „rechtlich und politisch unangreifbar. Aber strategisch gesehen sind sie außer Reichweite, sicherlich für die nahe Zukunft und möglicherweise auch darüber hinaus.“

Russland hat trotz der ukrainische Gegenoffensive mehr Territorium gewonnen

In diesem Jahr habe „Russland trotz der vielbeschworenen Gegenoffensive der Ukraine tatsächlich mehr Territorium gewonnen als die Ukraine. Insgesamt hat keine Seite nennenswerte Fortschritte gemacht.“ Selbst wenn der Westen noch mehr Waffen liefert, zeigt „das ukrainische Militär keine Anzeichen dafür, dass es in der Lage ist, die beeindruckende Verteidigung Russlands zu durchbrechen, egal wie lange und hart es kämpft.“

Kim Jong-un bei Wladimir Putin: Nordkorea unterstützt Russland mit Waffenlieferungen.

„Die Zeit wird nicht auf der Seite der Ukraine sein, wenn sich ein hochintensiver Krieg auf unbestimmte Zeit hinzieht.“ Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt, erhält Waffen aus Nordkorea und dem Iran, sollte es „seine militärische Präsenz in der Ukraine verstärken müssen, kann es auf einen großen Pool an Arbeitskräften zurückgreifen.“ Überdies hat die russische Förderation „neue Märkte für seine Energie gefunden, während die Sanktionen nur bescheidene Auswirkungen auf die russische Wirtschaft hatten.“

Ukraine soll Anstrengungen auf Verteidigung verlagern

Gleichzeitig „verlieren in der Ukraine weiterhin zahlreiche Soldaten und Zivilisten ihr Leben, das Militär verbrennt seine Waffenvorräte und die Wirtschaft ist um etwa ein Drittel geschrumpft“. Ebenso sinkt die Unterstützung für die Ukraine im Westen. Die Autoren verweisen auf Donald Trumps Umfragewerte, sowie auf die Regierungen in der Slowakei und in Ungarn.

Eine fortgesetzte Gegenoffensive der Ukraine würde das Leben zahlreicher Soldaten kosten, die Kiew aber braucht.John Moore/Getty Images

Washington müsse erreichbare Ziele festlegen, und die verfügbaren Mittel mit ihnen in Einklang bringen. Die Ukraine müsse ihren „militärischen Schwerpunkt von der Offensive auf die Verteidigung verlagern“. Überdies solle Washington mit Kiew und den europäischen Partnern Gespräche führen, bei denen es um „die Bereitschaft der Ukraine“ geht, „mit Russland über einen Waffenstillstand zu verhandeln“. Zwar werde Kiew weiterhin an seine Zielen festhalten wollen – diese sind, seine territoriale Integrität wiederherzustellen oder Russland zur Rechenschaft zu ziehen – doch nun sollte es seine Bemühungen mehr auf die Verteidigung und die Reparatur der mehr als 80 Prozent seines Territoriums verlagern, das noch immer unter seiner Kontrolle steht.

Bisheriger Kurs hat „in eine Sackgasse geführt“

Selbst wenn der Kreml einen Waffenstillstand ablehnt, „würde der Übergang der Ukraine von der Offensive zur Verteidigung den anhaltenden Verlust ihrer Soldaten begrenzen“. Das Land brauche mehr Ressourcen für die langfristige Verteidigung und den Wiederaufbau. Dabei könnte der Westen die Ukraine weiterhin unterstützen. Das könnte Moskau davon überzeugen, „vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu wechseln“. Diplomatie sei überdies der „realistischste Weg, nicht nur den Krieg, sondern langfristig auch die Besetzung Russlands zu beenden“.

Putin und Selenskyj: Es ist ungewiss, ob Kiew und Moskau einen Waffenstillstand befürworten werden.APA/GETTY

„Für Kiew und seine Unterstützer ist es weitaus besser, eine neue Strategie zu verfolgen, die Ziel und Mittel wieder ins Gleichgewicht bringt, als weiterhin einen Kurs zu verfolgen, der in eine Sackgasse geführt hat – und der schon bald zu einem drastischen Niedergang führen könnte in der westlichen Unterstützung für die Ukraine.“ Ein Waffenstillstand würde überdies „Leben retten, den wirtschaftlichen Wiederaufbau ermöglichen und es der Ukraine ermöglichen, eingehende westliche Waffen für Investitionen in ihre langfristige Sicherheit zu verwenden“.

Freilich: Einem solchen Waffenstillstand müssten beide Seiten – Russland und die Ukraine – erst zustimmen.