
Top-Militärhistoriker: Russland betrachtet den Krieg als Fortsetzung der Politik
Martin van Creveld (75) gilt als weltweit führender Militärhistoriker. Hohe Generäle studieren seine Bücher. Im eXXpress-Interview erläutert er die Eigenheiten der russischen Kriegsführung und wie sich die ukrainischen Streitkräfte darauf vorbereiten konnten. Am Dienstag (Teil 2) spricht er über die militärischen Herausforderungen für Europa.

Sie haben richtig prognostiziert, dass Russland die Ukraine von mehreren Seiten angreifen wird, und dass Putin kurz vor Kriegsbeginn seinen Truppenrückzug ankündigen wird. Mit welchem Verlauft des Krieges rechnen Sie nun?
Im Moment sieht es so aus, als würden die Ukrainer nicht nachgeben, nicht einmal, wenn sie die Kontrolle über ihre wichtigsten Städte verlieren. Das Ergebnis wird ein langer und blutiger Krieg sein.
Der Jerusalem Post zufolge versucht Russlands Kriegsführung historischem Know-how im Bereich der Artillerie aufzubauen, das auch in Tschetschenien, Georgien, Syrien erworben wurde. Teilen Sie diese Einschätzung?
Eigentlich nicht. Verglichen mit der Ukraine waren die Kriege in Tschetschenien, Georgien und Syrien für die Russen klein und unbedeutend. Die Artillerie kann viele Dinge tun, aber sie kann nicht mit Guerilla und Terrorismus fertig werden. Im Gegenteil: Kanoniere, wenn man sie erreichen kann, sind gute Ziele.

"Die Ukraine wird vermutlich der eigentliche Test für Russlands Armee sein"
Putins Kriege aber bisher erfolgreich, oder?
Schon, nur um es zu wiederholen: Im Vergleich zur Ukraine waren seine bisherigen Gegner klein. Die Ukraine wird wahrscheinlich der eigentliche Test sein.
Bisher konnte Putin seine Interessen in den Nachbarstaaten und in Syrien mit militärischen Mitteln durchsetzen. Worauf gründete sein Erfolg?
In erster Linie darauf, die richtigen lokalen Kollaborateure zu finden. Das ist etwas, was die Sowjets in Afghanistan nicht geschafft haben. Auch die Amerikaner in Vietnam, Afghanistan und im Irak waren dazu nicht in der Lage. Jedes Mal, wenn sie irgendwo hingingen, verbündeten sie sich mit den falschen Leuten.

"Maskirova (Täuschung) ist ein Grundpfeiler russischer Kriegsführung"
Was charakterisiert die russische Kriegsführung?
Krieg zu führen ist wie ein Bild zu malen. Je nach den Umständen und den Zielen hat jedes Land und jedes Militär seinen eigenen Stil, der teils alteingesessen ist, teils von anderen Militärs kopiert wird, und zum Teil von der militärischen und technologischen Entwicklung diktiert wird.
Die russische Kriegsführung ruht auf sechs Grundpfeilern. Erstens wird der Krieg nicht als autonome Aktivität betrachtet, sondern als Fortsetzung der Politik mit einer Beimischung anderer Mittel. Zweitens: das Primat der Offensive. Drittens: Sorge dafür, dass du so stark wie möglich bist, zuerst allgemein und dann im entscheidenden Moment. Viertens: Nutze jede Art von Maskirovka (Täuschung), um deine Absichten zu verschleiern und den Feind zu verwirren. Fünftens: Schlage schnell und hart zu. Sechstens: Schlage nicht nur an der Front des Feindes zu, sondern in der Tiefe, hinter seinen Linien.
Die Ukrainer haben sich vermutlich zu sehr auf konventionelle Kriegsführung konzentriert
Wie könnte sich die Ukraine auf diesen Krieg vorbereiten?
Dazu gab es zwei Möglichkeiten. Erstens, die modernsten Waffen zu kaufen und eine moderne konventionelle Armee aufzubauen. Das wäre aber ungeheuer teuer gewesen. Also wählten die Ukrainer eine andere Lösung, nämlich alle möglichen alten Systeme, die sie bereits besaßen, zu flicken und aufzurüsten. Bislang scheint dies nicht sehr gut zu funktionieren.
Die andere Methode wäre gewesen, sich auf einen Stadt- und Guerillakrieg vorzubereiten. Dazu gehört der Aufbau einer entsprechenden Organisation, die Ausbildung des Personals und die Ausstattung mit Waffen (vor allem Panzer- und Flugabwehrwaffen), Munition, Kommunikationsmitteln etc. Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, ob sie dies bereits getan haben, und kann nur hoffen, dass es noch nicht zu spät ist.
Haben sich die Ukrainer im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessen darauf vorbereitet?
Die Ukrainer haben es sicherlich versucht. Um jedoch zu wiederholen, was ich gerade gesagt habe, würde es mich nicht überraschen, wenn sie sich zu sehr auf die konventionelle Kriegsführung konzentrierten, die sie sich nicht wirklich leisten konnten, und sich nicht genügend auf die Guerilla und den Aufstand vorbereiteten.
Martin van Creveld wurde 1946 in Rotterdam geboren und wuchs in Israel und England auf. Er ist emeritierter Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und einer der weltweit einflussreichsten und bekanntesten Militärhistoriker.
Van Creveld hat Verteidigungseinrichtungen zahlreicher Regierungen einschließlich jener der USA, Kanadas und Schwedens beraten und an praktisch jedem Institut, das sich mit strategischen militärischen Studien beschäftigt, Vorträge gehalten und gelehrt. Er ist häufiger Gast bei CNN, BCC und anderen internationalen Medien und hat darüber hinaus Artikel für Hunderte von Zeitschriften verfasst, einschließlich “Newsweek” und “International Herald Tribune”.
Seine vielen Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Kommentare
Und Amerika als legitime Unterstützung!
Ihrer Wirtschaftlichen Ziele!!
Guerillakrieg in einem relativ gut entwickelten Land, ist ein Wahnsinn für die Bevölkerung und wozu auch und für wen? Russland wird seine klar formulierten strategischen Ziele durchsetzen und je früher dieses sinnlose Gemetzel ein Ende findet, desto besser für die Menschen. Wieder spielen gewisse Gruppen den Helden auf Kosten anderer, allen voran dieser Komiker-Präsident, der sich inszeniert um seinen Auftraggebern zu gefallen, mit ihm natürlich seine Clique von Korruptionisten, die andere ins Feuer schicken – ich harre im Führerbunker aus, Kampf bis zur letzten Patrone und begleitet von orchestrierten Medien, was und wen feiert ihr da, wisst ihr überhaupt was ihr tut? Dass diese Freiwilligenbataillone mit SS – Runen am Stahlhelm um ihr Leben kämpfen, ist verständlich – die können nur bis zum Ende kämpfen – ähnlich ihren Vorbildern vor 77 Jahren in Berlin und sich dann erschießen – trauern wird um die keiner, ähnlich wie vor 77 Jahren, aber die nehmen in ihrem Todeskampf, kaltblütig die Verluste unter Zivilbevölkerung in Kauf.
Bei aller Bewunderung für das ukrainische Volk, aber dieses Land mittels Schnellschuss in die EU aufzunehmen, wäre ein Kardinalfehler der Brüsseler Sesselpupser.
Naja, möglicherweise auch nur die notwendige Zerstörung dieses fehlgeführten Konstrukts.
Tatsächlich wäre die Ukraine für einen Guerillakrieg durch ihre Freiwilligenbataillone gut gerüstet. Doch mit dem, was diese schon angerichtet haben, ist man nicht mal in der Ukraine einverstanden, und man ist froh, wenn man sie unter Kontrolle halten kann. “Im September 2014 nahmen 37 Freiwilligenbataillone aktiv an den Schlachten des Krieges im Donbass teil. Es wird allgemein angenommen, dass sie für den größten Teil der Kriegsverbrechen und Gräueltaten pro-ukrainischer Kräfte verantwortlich sind. Die meisten Bataillonskämpfer sind ehemalige Euromaidan- Aktivisten.” (Wikipedia) Finanziert werden diese Banden durch Oligarchen. Nach “Vertreibung” der Russen würde dasselbe wie in Afghanistan passieren. Das Land würde unter verfeindete Warlords aufgeteilt, die sich bekämpfen. Vielleicht ist es gerade das, was Putin sich wünscht!