Der Wirtschaftsmotor wird wieder anspringen, ganz ohne Stimuli der Politik. Davon ist der deutsche Ökonom Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kieler Institut für Weltwirtschaft, fest überzeugt. Doch die Politik kann sich wieder einmal nicht zurückhalten, sie macht mehr, als sie eigentlich sollte, sagt der Top-Ökonom.

Zurzeit werden EU-weit milliardenschwere Industrieprogramme in die Wege geleitet, großteils über den EU-Wiederaufbaufonds. Das hält Kooths für höchst bedenklich, wie er gegenüber dem eXXpress unterstreicht. Sein Fazit: In der Corona-Krise haben sich die Staaten so hoch verschuldet wie noch nie, doch nun sind sie auf den Geschmack gekommen. Das werde nicht gut gehen. Die anhaltend hohen Schulden drohen zu massiven Verteilungskonflikten zu führen.

„Wir benötigen keine Konjunkturprogramme“

Kooths analysiert gegenüber dem eXXpress: „Bei der Krise handelt sich um einen exogenen Schock, der die unternehmerische Tätigkeit unterbrochen hat. Kontaktsensitive Branchen und damit auch Länder, die stark vom Tourismus abhängig sind, waren natürlich besonders stark getroffen. Nun aber wird die Wirtschaft von ganz allein wieder Fahrt aufnehmen, zumal sich bei den privaten Haushalten während der Pandemiezeit eine erhebliche Kaufkraft aufgestaut hat. Von daher benötigen wir keine Konjunkturprogramme.“

Vor Corona sei die Auslastung normal gewesen. Durch die Krise dürfte das Potenzial sicher etwas gelitten haben. „Nun aber kehrt die Wirtschaft ganz von allein, ohne Stimuli, zurück. Doch stattdessen fließen zusätzliche Gelder aus EU-Töpfen, und die Fiskalregeln bleiben auch 2022 trotz zu erwartender weitgehender Erholung außer Kraft. Zudem hat die Geldpolitik die Schleusen noch weiter geöffnet.“

Die besonders betroffenen Branchen profitieren nicht

Mit dem Wiederaufbaufonds und weiteren industriepolitischen Maßnahmen der einzelnen Regierungen drohe die EU in eine „Überauslastung“ zu schlittern. „Die Gelder kommen ja nicht jenen Branchen zugute, für die sie besonders gebraucht werden, die also besonders unter der Krise gelitten haben. Die Gelder fließen im Gegenteil in Bereiche wie Digitalisierung und Klimapolitik, die gerade nicht unter der Pandemie gelitten haben.“

Die derzeitigen konjunkturellen Stimuli sind daher „völlig unnötig, darüber hinaus wird die EU-Architektur durch ein neues Verschuldungsvehikel beschädigt“.

Wiederaufbaufonds wurde 2020 zum Spaltpilz

Der Wiederaufbaufonds hat einen Umfang von 750 Milliarden Euro, die über gemeinsame europäische Anleihen am Kapitalmarkt aufgenommen wurden. Im vergangenen Jahr sorgte er für schwere Spannungen innerhalb der EU, weil sich die „Sparsamen Vier“ – darunter Österreich – gegen seiner Elemente wehrten. Grundsätzlich in Frage gestellt wurde er aber von keinem EU-Land. Manche mutmaßen, Großbritannien hätte als Noch-EU-Staat ein Veto eingelegt.

In Deutschland etwa fließen nun die Gelder des EU-Wiederaufbaufonds vor allem in Industriepolitik, wie sie mit dem „Zukunftspaket“ beschlossen worden war. „Das hilft uns aber jetzt nicht“, unterstreicht Kooths. „Diese Gelder tragen nicht zur Bewältigung der Coronakrise bei, und sie nützen erst recht nichts, wenn die Krise bereits vorbei ist. Allerdings ist das immer noch besser, als mit den EU-Geldern noch weitere Projekte zu finanzieren.“

Regierenden haben sich an hohe Defizite gewöhnt

Beim Wiederaufbaufonds, wie auch aber anderen industriepolitischen Programmen zeige sich ein polit-ökonomisches Muster: „Programme, die in normalen Zeiten nie eine Mehrheit bekommen hätten, werden in Krisenzeiten aufgrund ihres vermeintlichen makroökonomischen Mehrwerts durchgewunken. Das hilft dann weder in der Krise, noch danach.“

Dass man in der Krise aufgrund der großen Unsicherheit fiskapolitisch „sehr, sehr großzügig“ war, sei nachvollziehbar und bis zu einem gewissen Grad rechtfertigbar gewesen. „Damals gab es auch für sehr hohe Defizite eine gewisse Begründung, weil sie eine Puffer-Funktion haben. Nur jetzt sollte man diese Programme nicht weiterlaufen lassen. Doch mittlerweile hat die fiskalpolitische Disziplin gelitten, weil sich die Politik an die hohen Defizite gewöhnt hat. Die Regierenden sagen: ‚Wir haben ein hohes Defizit, und es ist doch gar nichts passiert, es herrscht weiterhin Ruhe an den Finanzmärkten. Also lasst uns noch länger den Fuß auf das Gaspedal drücken.‘ Dabei sollten wir gerade jetzt den Fuß vom Gaspedal nehmen, und zwar sowohl geldpolitisch als auch fiskalpolitisch.“

Überalterung der Gesellschaft verschärft das Problem

Besonders problematisch sei diese Politik angesichts des demographischen Alterungsprozesses. „Man schöpft jetzt noch einmal aus dem Vollen, aber eigentlich geht sich das nicht mehr aus. Dabei war die Situation schon vor der Coronakrise angespannt.“ Kooths Sorge: „Es droht ein Post-Corona-Boom, auf den ein Kater mit sehr heftigen Kopfschmerzen folgt. Das wird die ohnehin schwelenden Verteilungskonflikte noch weiter verschärfen.“

Darüber hinaus wurde wegen der sehr expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank vielen Staaten schon vor der Coronakrise das Schuldenmachen leicht gemacht hat. „Italien und einige andere Staaten sind daher lax mit der Einhaltung der Maastrichtkriterien umgegangen, die eine Verschuldung von maximal 60 Prozent des BIP vorsehen. Dementsprechend schwach waren sie aufgestellt, um dem Coronaschock zu begegnen. Nun aber wird nach Corona die Rückkehr zum vormaligen Reglement noch schwieriger.“

Altlasten entstehen wegen falscher Wirtschaftspolitik

Den öffentlichen Stellungnahmen, mit denen die europäische Politik ihre jetzige Freude am Geldausgeben rechtfertigt, kann Kooths nichts abgewinnen. „Wenn all diese Strukturprogramme so problemlos sind, warum hat man sie dann nicht vor der Krise umgesetzt? Warum geht das erst jetzt so schnell? Dabei ist der Ausgaben-Pegel ja nach der Krise kleiner als vorher. Die Budgets sind jetzt wesentlich belasteter als vorher.“ Durch die Krise sei man mit Sicherheit nicht reicher geworden, deshalb sollte man sich eher weniger Staatsausgaben leisten als mehr. „So hinterlässt die Krise Altlasten, die der falschen wirtschaftspolitischen Reaktion, nicht der Krise selbst geschuldet sind.“

Auch die Entwicklung, die seither die EU genommen hat, beäugt Stefan Kooths kritisch: „Einige haben die Gunst der Stunde genutzt, um die Kompetenzen der EU noch weiter auszubauen und zwar in Richtung industriepolitischer Ambitionen nach französischem Vorbild. Die noch eher marktwirtschaftlich orientierten Länder sind zu klein, um sich durchzusetzen, und Deutschland hat sich ordnungspolitisch abgemeldet.“