Marlene Dietrich trug ihn, später auch Romy Schneider, Grace Kelly, Sophia Loren oder Audrey Hepburn in „Breakfast bei Tiffany“. Dass Turbane hip sind, gerade bei Frauen, entdeckten erstmals die Roaring Twenties, doch großer Beliebtheit erfreuen sie sich wieder heute, und zwar bei Alt und Jung, wie Mirjam Zaidan berichtet. Ihr Online-Shop Mirjam Zai verzeichnete inmitten des vergangenen Covid-19-Jahres eine stetig wachsende Nachfrage. Möglicherweise kündigt sich schon ein Revival an, mutmaßt Zaidan. Fasziniert ist sie von der kunstvollen Kopfbedeckung schon von klein auf.

„Die Symbiose von Orient und Okzident hat mich immer angezogen“, erzählt Zaidan, Jahrgang 1994, die aus einem syrischen Elternhaus stammt. Aufgewachsen ist sie zunächst in einem Vorort von Frankfurt, ehe sie in der dritten Klasse Volksschule mit der Familie nach Wien zog („der wohl schönsten Stadt der Welt“). Mit zwölf begann sie ihre eigenen Turbane aus Schals anzufertigen. „Ich habe mir die Turbane selbst gebunden. Aber irgendwann störte mich, dass sich die gebundenen Kunstwerke nach wenigen Stunden auflösen. Das war lästig. Daher begann ich Turbane mit Nadelstichen zu fixieren.“

Beliebt bei orthodoxen Jüdinnen und modernen Muslimas

Mirjam Zaidans Turbane kann man wie Hauben aufsetzen, und zwar je nach Geschmack mit offenem Haar oder mit verhülltem, im lässigen Streetstyle, oder mehr im Sinne des Old Hollywood Looks. Zaidans Turban-Modelle unterscheiden sich nicht nur in ihrem Look, man kann sie sich auch auf verschiedene Weise über den Kopf stülpen:

 

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von MIRJAM ZAI TURBANS (@mirjamzai)

 

Die Modelle passen auf – fast – jeden Frauenkopf („bei 95 Prozent“). 57 bis 58 Zentimeter betrage der durchschnittliche weibliche Kopfumfang. „Nur fünf Prozent der Produktion sind Spezialanfertigungen.“ Die Kundschaft ist fast ausschließlich weiblich, aber höchst heterogen. „60 Prozent tragen den Turban als Accessoire. Da sind wirklich alle Altersgruppen dabei.“ Auf Wunsch von Müttern kreierte Mirjam Zaidan auch Turbane für Kinder. Ganze Kindergartengruppen sollen bereits auf den Geschmack gekommen sein. Unter den übrigen 40 Prozent befinden sich orthodoxe Jüdinnen, die ansonsten eine Perücke tragen, und muslimische Frauen, die ein Kopftuch über dem Kopf durch einen Turban ersetzen. Manche Kundinnen leiden aus gesundheitlichen Gründen unter Haarausfall, beispielsweise Krebspatientinnen, die gerade eine Chemotherapie durchlaufen.

Möglicherweise spielte auch der Lockdown eine Rolle. Immerhin mussten alle Friseure zusperren, weshalb man mit dem Haarefärben oft länger warten musste, und das hat auch zu bekannten Problemen geführt – Stichwort herausgewachsener Haaransatz. Auch die Selbstversuche daheim sollen nur von geringem Erfolg geprägt gewesen sein, bei Männern wie bei Frauen, wie Friseure zu berichten wissen. Die selbst geschnittenen Haare der Männer erinnerten mitunter an Fred Feuerstein, und die Resultate beim Haarefärben reichten von Quietschorange bis Dottergelb. Wie auch immer…

Wir bringen Erfolgsstories inmitten der Corona-Krise

Mirjam Zaidan machte ihre Leidenschaft zum Beruf. Alles begann spontan. Zunächst stieß ihre Haargarderobe bei Freundinnen auf hohes Interesse. Die damalige Mode-Studentin fertigte also weitere Exemplare an, die dann in der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit von Passantinnen auf sich zogen, die Mundpropaganda tat ein Übriges. So funktionierte das Marketing, ganz wie von selbst und ungeplant. „Mein Business entstand auf der Straße.“

Mirjam Zaidans Turbane punkten bei Alt und Jung.Turban, Jana Hofmann Fotografie

Es ging Schlag auf Schlag: Im Sommer 2019 gründete Mirjam Zaidan ihr Unternehmen, startete einen Facebook- und Instagram-Auftritt, und schon bald trudelten Woche für Woche neue Anfragen herein. Zaidans Vorteil: Die Herstellung von Kopfbedeckungen ist in Österreich ein freies Gewerbe, kein reguliertes. Eine abgeschlossene Lehre braucht man dafür nicht. Schon bald wurde das Start-Up von einer Neben- zur beruflichen Haupttätigkeit. Zaidan bereiste zahlreiche Messen – bis der Lockdown kam. „Ich dachte: Das war es jetzt.“ Alle Messen wurden abgesagt, doch Mirjam Zai war bereits bekannt. Zaidan richtete einen Online-Shop ein („Ist ganz einfach, das kann jeder!“) und schon vervielfachte sich die Nachfrage, vor allem aus Deutschland.

Arbeit im Home Office – mit Ehemann und Sohn

Von zu Hause aus, in ihrer Wiener Altbauwohnung, erledigt Mirjam Zaidan seither alles. Hier wohnt sie mit ihrem Mann und ihrem fünfjährigen Sohn Benjamin. „Ich brauche nur meine Nähmaschine und das Internet.“ Mittlerweile ist sie keine Kleinunternehmerin mehr, so stark war das Wachstum im vergangenen Jahr, und ohne eine Assistentin käme sie mit der Produktion auch nicht mehr nach. Dass sie bis spät in die Nacht vor der Nähmaschine sitzt, kommt schon mal vor.

Eventuell wird Zaidan künftig doch in ein Wiener Geschäft übersiedeln, denn so ganz will sie auf den persönlichen Umgang mit den Kunden nicht verzichten, allen Vorteilen des Web-Auftritts zum Trotz: „Die Leute wollen auch ausprobieren.“ Im siebten Wiener Gemeindebezirk bieten einige Geschäfte bereits ihren Turban an, zum Beispiel „Oberwalder und Co.“, ein Hutgeschäft auf der Mariahilfer Straße.

In ihren freien Stunden liebt es Mirjam Zaidan in den Straßen Wiens zu flanieren. „Ich lebe hier, aber manchmal fühle ich mich wie im Urlaub“, erzählt sie. „In Wien gibt es viel zu entdecken. Anders als in Frankfurt ist noch viel aus der Zeit des Kaiserreichs erhalten. Außerdem finde ich: Wien ist offen für Neues!“