Alle Augen sind zurzeit auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine gerichtet. Was dabei untergeht, ist die sich anbahnende wirtschaftliche Katastrophe für Europa. Dass sie bisher ausgeblieben ist, dafür haben vor allem zwei Verträge gesorgt. Doch die sind nun beide gefährdet.

Russland ist führender Gas- und Getreide-Exporteur

Der eine davon ist das Getreideabkommen, auch „Schwarzmeer-Getreide-Initiative“ genannt, das am 22. Juli 2022 in Istanbul unterzeichnet wurde. Dank ihm konnte Getreide weiterhin über das Schwarze Meer exportiert werden. Der Deal war tatsächlich ein großer Sieg der Diplomatie: Russland und die Ukraine gehören zu den größten Getreide-Exporteuren der Welt.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Antonio Guterres (l.) im Gespräch mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan (r.) nach Unterzeichnung des Getreideabkommens, das von der Türkei vermittelt worden war.APA/AFP/OZAN KOSE

Das andere Abkommen war der Gastransit-Vertrag zwischen Moskau und Kiew. Russland als weltweit führender Gasexporteur deckte vor der Invasion 50 Prozent des EU-Bedarf. Österreich profitiert nach wie vor davon im hohem Umfang.

Doch mittlerweile wurde Getreide-Abkommen ausgesetzt, der Gastransit-Vertrag hingegen könnte bald auslaufen. Kein Gas, kein Getreide – die Folgen wären verheerend, besonders für Europa.

Der ehemalige OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss warnt schon länger: Der Gastransit-Vertrag könnte bald auslaufen.APA/HERBERT NEUBAUER

Kiew öffnete Ammoniak-Pipeline nicht mehr – gegen Vereinbarung

Dank des Getreide-Abkommens verließen im vergangenen Jahr mehr als 1000 Schiffe mit fast 33 Millionen Getreide die ukrainischen Häfen. Am 17. Juli zog sich Putin vom dem Abkommen zurück – was trotz der scharfen Kritik europäischer Politiker eigentlich alles andere als überraschend war. Für wachsende Spannungen hatte zunächst eine Verschärfung der westlichen Sanktionen gesorgt. Der wichtigste Grund war aber die Sprengung der Ammoniak-Pipeline Togliatti-Odessa.

Für Moskau ist der Betrieb dieser Pipeline unerlässlich. Sie führt von der russischen Stadt Togliatti zu verschiedenen Schwarzmeerhäfen in der Ukraine. Vor dem Krieg wurden über sie jährlich 2,5 Millionen Tonnen Ammoniak exportiert. Im Zuge der Verhandlungen über das Getreide-Abkommen hatten sich Kiew und Moskau darauf geeinigt, die sichere Durchleitung von Ammoniak durch die Pipeline zu ermöglichen. Doch Kiew hat die Pipeline nie wieder geöffnet. Im September 2022 forderten die Vereinten Nationen die Ukraine nachdrücklich auf, den Transport wieder aufzunehmen, da Ammoniakdünger für die weltweite landwirtschaftliche Produktion von entscheidender Bedeutung ist – ohne Erfolg.

Putin machte die Fortsetzung des Getreideabkommens von der Durchleitung von Ammoniak durch die entsprechende Pipeline abhängig.Getty

Pipeline-Sprengung beseitigte alle Hoffnungen

Im vergangenen Monat nannte Moskau neuerlich die Wiedereröffnung der Pipeline als Bedingung für die Erneuerung der Schwarzmeer-Getreide-Initiative. Alle Hoffnungen wurden wenige Tage später zunichte gemacht, als ein Abschnitt der Pipeline auf ukrainischem Gebiet in die Luft gesprengt wurde. Wieder einmal schieben sich beide Seiten die Schuld zu. Russland spricht von ukrainischen Saboteuren, der Gouverneur der ukrainischen Oblast Charkiw behauptet, die Anlage sei durch russischen Beschuss zerstört worden.

Das Schicksal des Abkommens war auf jeden Fall besiegelt: Putins Sprecher Dmitri Peskow verkündete einen Monat später, dass „die Schwarzmeerabkommen nicht mehr in Kraft sind“. Überrascht waren nur wenige.

Dmitir Peskow verkündete das Ende des Abkommens.

Die Kosten für das Ende des Getreide-Deals werden auf jeden Fall auch die westlichen Länder zahlen müssen. Der Transport von billigem ukrainischen Getreide durch EU-Staaten, hat schon bisher Landwirte verärgert. Ohne Schwarzmeer-Getreide-Initiative wird der Druck wohl zunehmen.

Es droht eine weitere Gaskrise

Ähnlich sieht es beim Gas aus. Trotz des Krieges ist weiterhin russisches Gas durch die Ukraine nach Europa geflossen. Davon hat auch die Ukraine profitiert, weil sie Geld in Form von Transitgebühren einnehmen konnte. Der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko erklärte jedoch kürzlich in einem Interview mit der Financial Times, dass Kiew den Gastransitvertrag wahrscheinlich nicht verlängern wird, wenn der Liefervertrag der Ukraine mit Gazprom 2024 ausläuft. Dieser Schritt würde viele EU-Länder – darunter Österreich – erheblich schwächen. Davor hatte jüngst auch Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss gewarnt und staatliche Eingriffe gefordert, um die Versorgung Österreichs sicherzustellen. Es müssten etwa die Pipelinekapazitäten nach Deutschland ausgebaut werden.

Ohne Putins Gas drohen neuerlich ein kalter Winter und hohe Gaspreise

Jüngsten Analysen des Center on Global Energy Policy der Columbia University zufolge dürften dann die Lieferungen an die EU-Länder auf 45 bis 73 Prozent des jetzigen Niveaus sinken. In der Folge könnten die Gas-Preise wieder in die Höhe schießen. Die Konsequenzen wären auch für Deutschland verheerend, das bereits mit einer schleichenden Deindustrialisierung zu kämpfen hat. Überdies wird Europa in diesem Winter ein Erdgasdefizit von mindestens 60 Milliarden Kubikmetern haben, es sei denn die Temperaturen sind überdurchschnittlich hoch wie im Vorjahr. Dann stünde eine weitere Gaskrise vor der Tür.

Fazit: Wenn sich Europas Diplomatie nichts einfallen lässt, droht eine schwere wirtschaftliche Krise, in der sich Europas größte Volkswirtschaft – Deutschland – ohnehin bereits befeindet.