Das Kartenhaus aus schweren Vorwürfen, das die WKStA gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zusammengebaut hat, könnte in Kürze in sich zusammenfallen. Grund dafür ist ein brisantes Detail, das nun der Anwalt der Meinungsforscherin und Ex-Familienministerin Sophie Karmasin ins Treffen führt, wie der “Kurier” schreibt. Demnach haben die WKStA-Ermittler einen für den Verdacht gegen Kurz entscheidenden Chat falsch interpretiert. Darin sei es nicht – wie die WKStA mutmaßt – um die mutmaßliche Fälschung von für Kurz vorteilhaften Umfragen gegangen, die danach in der Tageszeitung “Österreich” erschienen sind. Vielmehr dachte die damalige Familienministerin an Rücktritt, wovon sie aber Kurz abhalten wollte.

WKStA sah in Sebastian Kurz den "Bestimmungstäter" hinter dem vermeintlichen Umfrage-Deal

Die WKStA fährt schwere Geschütze gegen den Ex-Kanzler, Karmasin und Thomas Schmid, den Ex-Kabinettschef im Finanzministerium, auf. Aus den Chats von Schmid zieht sie nämlich weitreichende Schlüsse. Der Verdacht: Die Meinungsforscherinnen Sabine Beinschab und Karmasin hätten gemeinsam mit Thomas Schmid manipulierte Umfragen für die Tageszeitung “Österreich” geplant. Der damalige Außenminister Sebastian Kurz soll von dem vermeintlichen Umfrage-Deal nicht nur gewusst haben, sondern Karmasin sogar persönlich dazu überredet haben. Schließlich sei er ja Profiteur der angeblich geschönten Umfragen gewesen.

Seit den Hausdurchsuchungen vom 6. Oktober bestehen Zweifel an der Darstellung. Bisher ist weder der Deal bewiesen, noch dass Kurz Mitwisser war. Doch in den Augen der WKStA ist Kurz sogar “Bestimmungstäter” – also Urheber – des Deals, nicht nur “Beitragstäter”. Als Beleg für ihre These zieht die WKStA einen Chatverkehr zwischen Schmid und Kurz heran. Er stammt vom 16. März 2016 und ist entscheidender Baustein im Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Kanzler.

Thomas Schmid: "Sie ist so angefressen wegen Mitterlehner"

Damals schrieb Schmid an Kurz: “Gute News bei der Umfrage-Front. Sophie weiß ich nicht, ob ich überreden konnte. Sie ist noch voll auf…”.

Kurz antwortet: “Kann ich mit ihr reden?”

Darauf Schmid: “Ja bitte. Sie ist so angefressen wegen Mitterlehner, weil er ihr in den Rücken gefallen ist. Habe jetzt 3 Stunden mit ihr gesprochen. Und Spindi auf sie angesetzt”.

Nun legt Karmasins Anwalt Norbert Wess ein brisantes Detail offen, das einen Fehlschluss der Korruptionsjäger aus dem Chatverlauf nahe legt. Kurz habe mit Karmasin demnach aus völlig anderen Gründen das Gespräch gesucht, wie der “Kurier” schreibt. Es ging nicht um den behaupteten Umfrage-Deal. Vielmehr wollte Karmasin damals ihr Ministeramt hinschmeißen, was Kurz wiederum verhindern wollte. Eine Regierungskrise samt Neuwahlen wären Sebastian Kurz zum damaligen Zeitpunkt nämlich nicht gelegen gekommen. Das Projekt Ballhausplatz war noch nicht fertig.

Karmasin fühlte sich von Mitterlehner vor den Kopf gestoßen

Familienministerin Karmasin fühlte sich vom damaligen ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vor den Kopf gestoßen. Mitterlehner hatte sie bei ihrem “Herzensprojekt”, der Kindergeldreform, gegenüber der SPÖ nicht unterstützt. Karmasin machte die Blockade der SPÖ für das Scheitern des Projekts verantwortlich, wie sie öffentlich sagte. Dem widersprach Mitterlehner. Im Einklang mit SPÖ-Kanzler Werner Faymann erklärte er, dass die Gespräche über die Kindergeldreform “trotz Weigerung der Familienministerin” weitergingen. Dass der damalige ÖVP-Obmann der eigenen Familienministerin die Schuld zuschob, war für Karmasin zu viel. Sie wollte ihr Amt niederlegen und sich verabschieden.

Soweit kam es dann doch nicht. In einer Aussprache am 18. März 2016 konnte das Mitterlehner selbst schließlich verhindern. Öffentlich erklärte Karmasin anschließend, dass sie sich “zurückgepfiffen” fühle. Und das Treffen zwischen Karmasin und Kurz? Zu dem kam es überhaupt nicht.

Anwalt Wess unterstreicht gegenüber der WKStA: Die Chats zwischen Schmid und Kurz seien komplett anders zu verstehen. Es ging nicht darum, Karmasin “zu einem Tatplan zu überreden”, sondern sie von einem Rücktritt abzuhalten. Auch bestehe keine “besondere Nähe zwischen Kurz und Karmasin”.

Übrigens: Karmasins Anwalt lehnte das Angebot der Aussage von der WKStA ab. Der Grund: Seine Mandantin habe noch nicht volle Akteneinsicht erhalten.