Bei der Anti-Terror-Operation in Jenin (Westjordanland) zu Wochenbeginn wurden zwölf Kämpfer getötet. Fünf von ihnen waren erst 16 bis 18 Jahre alt. Das sorgt für Kritik. Besonders scharf fiel sie in einem TV-Interview mit Israels Ex-Ministerpräsident Naftali Bennett aus. BBC-Moderatorin Anjana Gadgil verstieg sich tatsächlich zu der Aussage: „Israelische Streitkräfte töten gerne Kinder.”

Dieser massive Vorwurf entpuppte sich jedoch als Bumerang für die britische Journalistin. Auf den Konter des israelischen Politikers war sie nicht vorbereitet. Als er Gadgil fragte, was sie bei Anschlägen gegen ihre eigene Familie tun würde, wich sie aus.

„Alle getöteten Personen waren Terroristen“

Das gesamte BBC-Interview kreiste um die internationale Kritik an Israels Operation in Jenin. „Das israelische Militär nennt dies eine ‚Militäroperation‘, aber wir wissen jetzt, dass junge Menschen getötet werden, vier von ihnen (nach jetzigem Wissensstand fünf, Anmerkung) unter 18 Jahren“, beginnt Gadgil. „Ist es wirklich das, was das Militär vorhatte? Menschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren zu töten?“

Naftali Bennett war von Juni 2021 bis Juni 2022 Israels Ministerpräsident.APA/AFP/AHMAD GHARABLI

Der ehemalige Ministerpräsident dementiert: „Ganz im Gegenteil. Tatsächlich sind alle elf  Toten (nach jetzigem Wissensstand zwölf, Anm.) Kämpfer. Die Tatsache, dass es junge Terroristen gibt, die sich entscheiden, zu den Waffen zu greifen, liegt in ihrer Verantwortung.“ Überdies sind bei vielen der Terroranschläge des vergangenen Jahres mehrere Dutzend israelische Zivilisten ums Leben gekommen, wie Bennett in Erinnerung ruft. Die Täter kamen immer aus Jenin und wurden dort ausgebildet. „Jenin ist zu einem Epizentrum des Terrors geworden. Alle Palästinenser, die getötet wurden, waren in diesem Fall Terroristen.“

Sichergestellte Waffen im Zuge der Operation in JeninIDF

„Was würden Sie tun, wenn ein 17-Jähriger Ihre Familie tötet?“

Nun fällt Gadgils problematische Aussage – und von da an wird der Tonfall des Gesprächs schärfer. „Terroristen, aber Kinder“, meint sie. „Die israelischen Streitkräfte töten gerne Kinder.“ Dass sich die Journalistin mit diesem ungeheuerlichen Vorwurf zu weit hinausgelehnt hat, lässt sie Bennett sofort spüren. „Es ist schon bemerkenswert, dass Sie das sagen, denn sie töten uns“, kontert er. „Wenn nun ein 17-jähriger Palästinenser auf Ihre Familie schießt: Was ist er dann?

Gadgil verweist auf die Vereinten Nationen: „Nach Ihrer Definition sind es Terroristen. Die U.N. nennt sie…” Bennet unterbricht: „Nein, ich frage Sie: Wie würden Sie einen 17-Jährigen mit einem Gewehr bezeichnen, der auf Ihre Familie schießt und Ihre eigene Familie ermordet. Wie würden Sie diese Person bezeichnen?“

Die Frage bleibt unbeantwortet. „Darüber reden wir hier nicht“, meint die Moderatorin. „Das ist genau das, wovon wir sprechen“, kontert Bennett.

„Sie würden ebenfalls Truppen in einen Terror-Stadt vor London schicken“

Der Hickhack geht weiter: „Die UNO hat sie als Kinder definiert, und wir wissen, dass bei diesem gezielten Angriff vier Menschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren getötet worden sind.“ Israels Ex-Premier holt nochmals aus: „Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem, was sie tun, nämlich explizit und absichtlich Zivilisten anzugreifen, und dem, was wir tun, nämlich Terroristen anzugreifen, was genau das Gegenteil ist. Wir tun das Richtige. Sie töten Zivilisten, und die Tatsache, dass Sie dieses moralische Äquivalent oder Schlimmeres schaffen, halte ich für inakzeptabel.“

Bennett (l.) war Chef der rechten Jamina-Partei ein. Im Bild mit Mansour Abbas, dem Vorsitzenden der konservativen islamische Raam-Partei, der einer seiner Koalitionspartner war.APA/AFP/EMMANUEL DUNAND

Gadgil kritisiert die Wortwahl des Ex-Premiers. Diese Sprache würde weiter Spannungen anheizen und eine friedliche Lösung verhindern. Der israelische Politiker bleibt unbeirrt: „Wissen Sie, wenn es eine Stadt des Terrors gäbe, sagen wir mal 50 Kilometer von London entfernt, und täglich würden aus dieser Stadt, aus diesem Zentrum des Terrors, britische Zivilisten auf den Straßen von London getötet werden – ich bin sicher, Sie würden Truppen dorthin schicken. Sie wissen, dass wir keine andere Wahl haben. Der Grund, warum wir diesen Anstieg des Terrors in Jenin erleben, ist, dass wir Jenin vor etwa 30 Jahren, in den frühen 1990er Jahren, verlassen haben. Israelische Soldaten laufen nicht in Jenin herum. Ich denke, wenn wir ein bestimmtes Gebiet loslassen, wird es am Ende zu einem Hornissennest des Terrors“.

Wenn die Palästinenser Israel als Land akzeptieren, wird der Konflikt enden.

Später bekräftigt Naftali Bennet: „Keine israelische Mutter will ihren Sohn nach Jenin schicken. Wir tun es, weil wir keine andere Wahl haben.“ Und wie kann der Nahost-Konflikt beendet werden? „Wenn sie (die Palästinenser) beschließend, den jüdischen Staat im Land Israel zu akzeptieren, wird er enden“, meint Bennett.

Nach Ende des Interviews hat er ein Video davon mit hebräischen Untertiteln auf seinem YouTube-Kanal geteilt. Nach jetzigem Wissensstand wurden bei Israels Operation zwölf Palästinenser getötet, die aber alle den Terrornetzwerken angehörten. Nicht ein einziger Zivilist kam diesmal zu Schaden, wie Israel unterstreicht.

Ali Hani al-Ghul: Ein 17-Jähriger bastelt Bomben gegen israelische Zivilisten

Einer der jungen getöteten Palästinenser ist Ali Hani al-Ghul (17). Er hat dem militärischen Flügel der Hamas angehört. Ein Video zeigt ihm beim Anfertigen von Sprengkörpern in der Al-Ansar-Moschee. Palästinensischen Sendern zufolge war er auch „der Kommandant des Hinterhalts in der Al-Ansar-Moschee“. Stundenlang anhaltende Kämpfe mit den Israelischen Verteidigungskräften am ersten Tag der Operation waren die Folge, bei denen al-Ghul starb. Er hatte noch nicht die Schule abgeschlossen.