Ein anonym bleibender Direktor einer Wiener Pflichtschule bekennt: „Ich verstehe jeden Lehrer, der aus Wien wegzieht.“ Schüler, die als islamische Sittenwächter weibliche Schülerinnen terrorisieren, seien keine Seltenheit. „Das ist haram (im Islam verboten, Anmerkung)“, sei ein Satz, den man oft hört, auch im Unterricht. Wehe, wenn ein Lehrer verdächtigt wird, den Propheten des Islam oder dessen Religion beleidigt zu haben. Dann erwartet ihn am nächsten Tag womöglich ein ganzer Elternverein.

Einige Schüler weigerten sich, neben Mädchen zu sitzen, einigen Väter weigerten sich, mit weiblichen Lehrerinnen zu sprechen. LGBTQ+ ist zwar ein wichtiges Thema der Politik, doch an Wiener Pflichtschulen fängt man am besten erst gar nicht an, davon zu reden an. Zuweilen drohten Schüler offen mit Amokläufen. De facto jeder Schuldirektor in der Bundeshauptstadt habe zumindest einmal die Justizanstalt Josefstadt aufsuchen müssen – wegen Anzeigen gegen seine Schüler.

Durchschnittlich drei Anzeigen pro Schultag

Die Wiener Volkspartei ließ den Schuldirektor bei einer Pressekonferenz zu Wort kommen. Zuvor hatte ihre Anfrage im Gemeinderat Erschreckendes zutage gefördert. So wurden im vergangenen Schuljahr an einem gewöhnlichen Wiener Schultag durchschnittlich drei Anzeigen gegen Schüler erstattet. Insgesamt 528 Mal wurden Schüler angezeigt, mehr als die Hälfte (269) in Mittelschulen. (Das Schuljahr besteht aber nur aus 184 Schultagen.)

Zuvor, im Schuljahr 2021/22, waren es noch 139 Anzeigen gewesen, viermal so wenige. Verdoppelt haben sich in derselben Zeit die Suspendierungen von 494 auf 814, davon 533 wegen körperliche Gewalt. „Seit Monaten berichten uns Lehrer, Eltern und Schüler von einem deutlichen Anstieg der Gewalt in Schulen“, warnt ÖVP-Bildungssprecher Harald Zierfuß. Unsere Anfrage beweist jetzt deutlich: Die Gewalt an Wiens Schulen ist so spürbar wie noch nie!“

Reden unerwünscht: Schuldirektoren machen sich unbeliebt, wenn sie über die Probleme sprechen

Ein großes Problem sei: Die rot-pinke Stadtregierung kehrt alles unter den Teppich. Das bestätigt auch der Schuldirektor: „Wir fühlen uns als Schulen allein gelassen.“ Die Bildungsdirektion würde auf Suspendierungen verschnupft reagieren und diese mitunter unterdrücken. Schuldirektoren, die offen über die wachsenden Probleme sprechen, machten sich unbeliebt.

Wiens ÖVP Chef Karl Mahrer (l.) und ÖVP-Bildungssprecher (r.): Es ist 5 nach 12 an Wiens Schulen.ÖVP

ÖVP-Landesparteiobmann Stadtrat Karl Mahrer kritisiert die fehlende Transparenz. Die nun bekannt gewordenen Zahlen über Anzeigen und Suspendierungen wurden zuvor nicht bekannt gegeben. „Es ist schon 5 nach 12, wenn sich Lehrer und Schüler in Wien fürchten müssen, in die Schule zu kommen.“

SPÖ begründet Anstieg der Anzeigen mit höherer Anzahl der Schüler

Bemerkenswert sei, wie die Wiener Politik den rasanten Anstieg bei Anzeigen rechtfertigt: mit dem Anstieg der Schüler. „Wir hatten vergangenen Schuljahr 2000 Schüler mehr als zuvor“, berichtet Zierfuß. „In Summe gibt es 200.000 Schüler. Diese kleine Anstieg soll eine Vervierfachung der Anzeigen erklären?“. Auch den Hinweis auf internationale Krise von Seiten der Stadt hält er für eine Ausrede.

Wo ist die vielversprochene Transparenz der NEOS, kritisiert die Wiener ÖVP. Im Bild: Vizebürgermeister und Stadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS)APA/ROBERT JAEGER

„SPÖ und NEOS haben das Gewalt- und Integrationsproblem total verschlafen“, meint Zierfuß. A propos Integration: Mehr als die Hälfte der Wiener Pflichtschüler spricht daheim nicht Deutsch. Das erschwere oft auch die Kommunikation mit den Eltern, die andererseits zahlreiche Probleme mit dem Verhalten ihrer Kinder beiseite wischen.

ÖVP fordert Gewaltprävention, Transparenz, mehr Sozialarbeiter

Die Volkspartei hält die Einzelmaßnahmen der Stadt Wien zwar für nett gemeint, aber wirkungslos – und unnötig teuer. Ein Gewaltschutzprojekt an zehn Schulen hat 814.000 Euro gekostet, berichtet Mahrer. Was sofort umgesetzt werden könnte, wäre eine „flächendeckende Gewaltprävention an allen Wiener Schulen“. Dafür eigens ausgebildete Polizisten – die es schon zuhauf gebe – sollten alle Schulen aufsuchen, so wie bei der Verkehrserziehung. „Polizisten sprechen dann mit 10- bis 14-Jährigen über Gewalt und den Umgang damit“, berichtet Karl Mahrer, ehemaliger Vizepräsident der Landespolizeidirektion Wien. Das finde zurzeit nur vereinzelt statt. Das Problem: Wenn ein Schuldirektor darum ansucht, schadet er dem Ruf seiner Schule.

Überdies müssten endlich alle Zahlen zu Gewaltdelikten an Wiener Schulen veröffentlicht werden. Lehrer müssten über die einzelnen Schüler Bescheid wissen, und mit Direktoren, Psychologen, Sozialarbeitern, Jugendamt zusammenarbeiten. Die Anzahl der Schulsozialarbeiter müsse aufgestockt werden auf mindestens einen pro Schule. Überdies brauche es bei schwerwiegenden Fällen Fallkonferenz zwischen Schulen, Bildungsdirektion, Polizei und Magistratsabteilung 11 (Kinder- und Jugendhilfe). Selbst an der MA 11 seien die einige Betreuer bereits überfordert – doch die Lehrer werden ganz allein gelassen, klagt die Volkspartei.

Der anwesende Schuldirektor würde sich eine Reduktion der Klassengröße wünschen, auf maximal 15 Schüler. Das würde den Lernerfolg substanziell steigern.