Man stelle sich vor, eine EU-skeptische Regierung würde ihre Amtsperiode mit solchen Repressionen einleiten. Ob Brüssel dann ebenfalls so laut dazu schweigen könnte?

Donald Tusk ist seit einer Woche Polens neuer Ministerpräsident – und schon bleibt beim öffentlich-rechtlichen TV-Sender TVP kein Stein auf dem anderen. Dass die neue Koalition die öffentlich-rechtlichen Medien auf Linie bringen will, macht sie gleich bei ihrem Amtsantritt klar – offiziell um eine „neutrale“ Berichterstattung zu garantieren.

Alle Vorstandschefs von TV, Radio und Nachrichtenagentur gefeuert

Was das bedeutet, führte Tusk in der Nacht auf Mittwoch vor: Er entließ die Vorstandschefs und Aufsichtsräte ALLER öffentlich-rechtlicher Medien, also nicht nur von TVP, sondern ebenso des Polnischen Radios und der Nachrichtenagentur PAP. Die Entlassungen sollen fristlos gewesen sein, ohne Einhaltung der Kündigungsfristen, berichtet das Online-Magazin „Tichys Einblick“ unter Berufung auf Betroffene.

Es wird erwartet, dass der neue Ministerpräsident Donald Tusk (Bild) einen EU-freundlicheren Kurs fährt.APA/AFP/Wojtek Radwanski

Sympathisanten der bisher regierenden rechtskonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit), darunter auch Parlamentarier, solidarisierten sich am Dienstagabend mit dem Personal des Senders und verbarrikadierten sich mit ihm im Sendegebäude. Daraufhin wurden sie vom Sicherheitsdienst gewaltsam entfernt und dabei teilweise verletzt – laut Zeugen und Aufnahmen in den sozialen Kanälen.

Erstmals seit Kommunismus Abschaltung des polnischen Fernsehens

Die eingeschaltete Polizei sollte zunächst die im Gebäude verschanzten Personen schützen, musste aber später die Regierung unterstützen, was Augenzeugen zufolge zu chaotischen Zuständen führte. Das Ergebnis: Der Fernsehsender wurde auf Tusks Anweisung hin abgeschaltet, live, mitten während der Sendezeit. Seither blicken die Zuschauer auf Standbilder. Zuletzt hatte es eine gewaltsame Abschaltung des polnischen Fernsehens in der Endphase des Kommunismus gegeben, zur Erklärung des Ausnahmezustands.

Ex-Ministerpräsident sieht Polen auf dem Weg zu einer Diktatur

Bis Weihnachten soll ein weitreichender personeller Umbau stattfinden, eine beispiellose Kündigungswelle könnte bevorstehen. Dann wird der Sendebetrieb fortgesetzt.

Polens ehemaliger Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kommentiert auf X (Twitter): „Das unrechtmäßige Vorgehen des Kulturministers gegenüber TVP, Polskie Radio und PAP zeigt, wie die Behörden, die sich angeblich um die Rechtsstaatlichkeit kümmern, diese auf Schritt und Tritt brechen. Und sie regieren nur eine Woche lang… Wir werden nicht aufgeben. Wir werden nicht zulassen, dass in Polen eine Diktatur errichtet wird.“

Zuvor hatte die Regierung bereits am Dienstag dem TV-Sender den Zutritt zu einer Pressekonferenz mit Ministerpräsident Donald Tusk verweigert.

Ex-Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warnt vor der Errichtung einer Diktatur.Heikki Saukkomaa/Lehtikuva/via REUTERS

Regierung will offiziell Unparteilichkeit wiederherstellen

Die jetzige Koalition wirft der Vorgängerregierung vor, in ihrer achtjährigen Amtszeit systematisch PiS-freundliches Personal ernannt zu haben. Nun sei eine vollständige Reform der öffentlich-rechtlichen Sender nötig – offiziell zur Wiederherstellung der Unparteilichkeit. Man verfolge einen ausgewogeneren Ansatz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In einem Entschließungsentwurf forderte das Unterhaus des Parlaments „alle staatlichen Behörden auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, die darauf abzielen, die verfassungsmäßige Ordnung in Bezug auf den Zugang der Bürger zu zuverlässigen Informationen und das Funktionieren der öffentlichen Medien wiederherzustellen”.

Angehörige der ehemals regierenden PiS bezweifeln, dass die neuen, radikalen Maßnahmen rechtens sind. Deshalb wandten sie sich an den Verfassungsgerichtshof, damit dieser entscheide, ob die Regierung solche Maßnahmen zur Liquidierung der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten überhaupt ergreifen darf.

Polens Regierungswechsel erfolgt alles andere als konfliktfrei

Verfassungsgerichtshof wegen Justizstreit in EU in Verruf

Tusk wiederum hatte zunächst erklärt, er hoffe bei der Reform der staatlichen medien auf eine Zusammenarbeit mit dem Präsidenten und der Opposition. Präsident Andrzej Duda, ein Verbündeter der PiS, hielt jedoch in einem Brief an den Parlamentspräsidenten Szymon Holownia fest: Jegliche Änderungen an den staatlichen Medien müssten im Einklang mit der Verfassung erfolgen: Ein politisches Ziel könne „keine Entschuldigung dafür sein, verfassungsmäßige und gesetzliche Vorschriften zu verletzen oder zu umgehen“, schrieb er.

Die Regierung scheint verfassungsrechtliche Bedenken nur bedingt ernst zu nehmen. Der Hintergrund: Der jetzige Verfassungsgerichtshof soll von der PiS zuvor politisch besetzt worden sein. Das war auch der Grund für den jahrelangen Streit der ehemaligen Regierung mit Brüssel.

Kritiker der neuen Regierung sehen in den Maßnahmen eher eine Gleichschaltung von Polens Medienlandschaft, was gerade zu Lasten des Meinungspluralismus führen wird, denn die privaten Medien seien auch in den vergangenen acht Jahren „in der Hand von Trägern, die inhaltlich mit der damaligen Opposition sympathisierten“, verblieben.