Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt im Politi-Krimi gegen sämtliche Personen, darunter Ex-Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin (ÖVP). Der Verdacht: Untreue und Bestechung. Als Beschuldigte steht Karmasin das Recht auf vollständige Akteneinsicht zu. Diese wurde ihr aber bisher von der WKStA nicht gewährt, wie aus einer Mitteilung von Karmasins Anwalt Norbert Wess an die WKStA hervorgeht.

Plötzlich ist der Sinn der Chats ein anderer, sobald man ihren Zusammenhang kennt

Das ist brisant. Wess weist nämlich nach: Einzelne Chats erscheinen in völlig anderem Licht, sobald man ihren Gesamtzusammenhang kennt. Erst auf Grundlage einer vollständigen Akteneinsicht könne Karmasin daher auch aussagen. Andernfalls sei ihre Aussage nicht “möglich und zielführend”.

Tatsächlich hat die WKStA bereits Chats aus dem Zusammenhang gerissen, wie Norbert Wess in seiner Mitteilung aufzeigt. Eine zentrale Schlussfolgerung der WKStA gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in dem Polit-Krimi sei “ohne jeden Zweifel unrichtig”, sobald man ihren Kontext ermittelt – der eXXpress berichtete.

Vom Stadium vollständiger Akteneinsicht "noch weit entfernt"

Nachdem am 6. Oktober zahlreiche von der WKStA angeordnete Hausdurchsuchungen stattgefunden haben – unter anderem im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale – erkundigte sich die WKStA am 14. Oktober bei Karmasin, ob sie zu einer Aussage bereit ist. Dazu erklärt Norbert Wess in der Mitteilung an die WKStA: Seiner Mandantin müssten zu diesem Zweck “vollständige Aktenabschrift sowie alle Auswertungsergebnisse der Anfang Oktober 2021 durchgeführten Zwangsmaßnahmen vorliegen.” Aber: “Von diesem Stadium ist man derzeit freilich noch weit entfernt.”

Die WKStA verdächtigt Sophie Karmasin, im Polit-Krimi rund um Sebastian Kurz Scheinrechnungen zwecks wohlwollender Berichterstattung für Kurz erstellt zu haben. Dabei stellte die WKStA einen Zusammenhang zwischen der mutmaßlichen Manipulation von Meinungsumfragen einerseits, und einzelnen Chat-Nachrichten von Kurz andererseits her. Doch der Hintergrund der Chats war ein gänzlich anderer, wie Wess aufzeigt. Es ging in den Nachrichten von Kurz überhaupt nicht um Umfragen. (Anmerkung: Karmasin wollte damals ihr Amt als Familienministerin hinlegen. Kurz wollte sie davon abhalten. Das war der eigentliche Hintergrund.)

Wess sieht "nachweislich falsche Einschätzung" bzw. "unrichtige Interpretation"

Die sehr ausführlichen Ausführungen in der Mitteilung an die WKStA sollen “vor allem aufzeigen, dass einzelne Chat-Nachrichten, aus dem Zusammenhang gerissen, zu einer nachweislich falschen Einschätzung bzw. unrichtigen Interpretation der historischen Geschehnisse führen können”. Daher sei es umso wichtiger und rechtsstaatlich geboten, Karmasin “erst dann, eine umfassende Äußerungsmöglichkeit im Rahmen eines rechtlichen Gehörs gem. § 6 StPO einzuräumen, wenn die ermittelnden Behörden alle – aus deren Sicht – verfügbaren Beweismittel offen gelegt hat.”

Die Chats, auf die sich die WKStA stützt, wurden im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Thomas Schmid, dem Ex-Kabinettschef im Finanzministerium, sichergestellt. Bis heute sind sie unter Verschluss.