
Daniela Holzinger: Aufstand der Ziegenhirten – Warum jetzt Zeit für die Black-Box ist
Warum Afghanistan seine Probleme jetzt selbst in die Hand nehmen muss und der Westen, statt Intervention, besser auf Black-Box-Realismus setzt, erläutert eXXpress-Kolumnistin Daniela Holzinger.
Die Taliban sind zurück. Kaum vier Wochen hat es gedauert das 38 Millionen Einwohner-Land am Hindukusch wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine strategisch wichtige Stadt nach der anderen wurde eingenommen. Armee und Sicherheitskräfte leisteten kaum Widerstand, wechselten teilweise mitsamt hochmoderner US-Militärtechnik die Seiten.
Unfähig, schlimmer aber noch, absolut unwillens die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Errungenschaften seit dem Sturz des Terrorregimes im Jahr 2001 zu verteidigen.
Verstörende Bilder
Die Bilder, die uns seitdem erreichen, sind an Skurrilität kaum zu überbieten: Da blödeln brutale Kämpfer im Fitnesscenter des Präsidentschaftspalastes herum, fahren schwerbewaffnet Autodrom oder posieren in landesüblicher Tracht der Ziegenhirten vor milliardenschwerem High-Tech-Militärgerät.
Freundlich zur Verfügung gestellt vom US-Taxpayer, um die zarten und im rauen afghanischen Klima nur zaghaft gedeihenden Pflänzchen, Demokratie, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zu schützen. Spätestens aber seit der Flucht des Präsidenten und dem Fall der Hauptstadt wissen wir: Erstens, da wächst nix und zweitens, Hirten wissen mit ihren gefräßigen Horden auch dem kleinsten Pflänzchen den Garaus zu machen.
Gescheiterter Idealismus
Nach mehr als 40 Jahren Krieg, Bürgerkrieg und Dauerkrise sollte eines also klar sein: Afghanistan verträgt keinen Idealismus – zumindest keinen der dem Land von außen, links oder rechts aufgezwungen wird. Viele mussten das schon auf die harte Tour lernen.
Zuerst die kommunistischen Revolutionäre Anfang der 1980er-Jahre, denen (Achtung: Treppenwitz) die Modernisierung des Landes, der Ausbau von Frauenrechten, die Fortschritte im Bildungs- und Gesundheitswesen und einiges mehr in der damaligen Monarchie zu langsam vorangingen.
Dann die Sowjet-Invasoren beim Versuch das, auf Unabhängigkeit ausgerichtete, afghanische KP-Regime an die Kandare zu nehmen und gleichzeitig gegen islamistische Aufständische zu stabilisieren. Jene aufständischen Mudschahedin übrigens (schon wieder so ein Treppenwitz), die so gar nichts mit den oktroyierten Reformen anfangen konnten und beim Kampf um ihre liebgewonnene Mittelalter-Gesellschaft letztlich so tatkräftig wie erfolgreich von westlichen Bündnispartnern – allen voran den USA – unterstützt wurden.
Sie haben den Krieg gewonnen
Ja und spätestens seitdem die Kinder der Mudschahedin, die Taliban, im Handstreich – man möchte fast sagen im Blitzkrieg – 20 Jahre an westlichen Demokratisierungs- und Modernisierungsbemühungen vom Tisch und auf die Müllhalde der Geschichte wischten, steht eines fest: „Sie haben den Krieg gewonnen und man wird mit ihnen reden müssen“, wie es der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nüchtern zusammenfasste.
Afghanistan nämlich, das ist kein Ort, es ist vielmehr eine Zeit. Dominiert von mittelalterlichen, fundamental-patriarchalen-Stammesgesellschaften und legitimiert durch ein ebenso rückständiges Religions- bzw. Islamverständnis, ist da nichts zu machen. Minds-and-Hearts sind nicht und nicht zu gewinnen. Da reden wir ganz einfach mehrere hundert Jahre an sozio-kultureller Entwicklung aneinander vorbei. (Was übrigens auch der Grund ist, warum viele afghanische Migranten hierzulande nicht verstehen wollen, was wir mit „Integration“ meinen).
Der Weg in die Staatengemeinschaft
Gleichzeitig scheinen die vergangenen 20 Jahre aber auch an den Taliban nicht gänzlich spurlos vorübergegangen zu sein. Für die Terrorfürsten der 1990er Jahre, die Musik, Spiel und Spaß als unislamisch verurteilten und selbst für Kinder unter Strafe stellten, wäre es nämlich schlicht undenkbar ihre Kämpfer feiern oder im Fitnesscenter und am Kirtag herumblödeln zu lassen. It’s 2021 (inshallah!)
Und auch die erste Pressekonferenz der Islamisten macht vorsichtig Mut. Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Mitbestimmung aller Bevölkerungsgruppen waren da Thema, wenn auch unter fetten Scharia-Anführungszeichen.
Den Taliban scheint jedenfalls bewusst, dass der Erfolg ihres Regimes auch davon abhängen wird, Zugeständnisse zu machen und sich innerhalb des (ohnehin großzügigen) Rahmens der internationalen Staatengemeinschaft zu bewegen. Den Weg dorthin, kann man ihnen offensichtlich nicht aufzwingen, aber man kann ihn weisen.
Zeit realistisch zu werden: Her mit der Blackbox
Ersten Reaktionen aus China, Russland aber auch der EU lassen vermuten, dass man bereit ist, in der Afghanistan-Frage diesen Weg zu gehen. Weg vom gescheiterten, ideologischen Hinterhof-Kampf der Kalten-Krieger, hin zum Black-Box-Realismus. Wie die Afghanen ihr Land organisieren, das interessiert nicht mehr – es zählt einzig und allein, wie sich das Land der Afghanen am Parkett der Staatengemeinschaft bewegt. Nach 40 Jahren Chaos, möglicherweise ein vielversprechender Ansatz.
Mit nur 26 Jahren zieht Daniela Holzinger-Vogtenhuber erstmals in den Nationalrat ein. Bald als SPÖ-Rebellin bekannt, stellte sie sich mehrfach gegen den Klubzwang und trat letztlich erfolgreich für die Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte ein. 2017 bricht sie endgültig mit ihrer ehemaligen Partei, kann ihr Mandat bei den vorgezogenen Neuwahlen jedoch behaupten. Diesmal parteiunabhängig über ein Ticket der Liste JETZT, wo sie zur „fleißigsten“ weiblichen Abgeordneten des Parlaments avancierte. Heute ist Holzinger-Vogtenhuber Seniorpartnerin einer Agentur für Politikberatung und leidenschaftliche eXXpress-Kolumnistin.
Kommentare
Die afghanischen Ziegenhirten vermissen bei uns die Ziegen. Wozu auch immer sie diese benötigen . . .
Solange man das Thema Afghanistan so sieht – und das dürfte bei vielen der beteiligten Politiker in den letzten 20 Jahren so gewesen sein – ist jede Hoffnung auf Wirksamkeit internationaler Maßnahmen verfehlt.
Nein, man musss zur Kenntnis nehmen, dass Demokratie nicht das Rezept für gleich welchen Staat ist.
Und vor allem nicht der Glaubenssatz, dass Demokratie und Freiheit zu Frieden und Wohlstand führen.
Es stimmt, dass in den Gesellschaften, die demokratisch organisiert sind, mehr Fortschritt und Wohlstand für alle entstanden ist. Daraus eine Kausalität zu vermuten, man brauche einer Kultur einfach Demokratie überstülpen und dann werde das mit Fortschritt und Wohlstand automatisch kommen, ist grundfalsch.
Man hat vor rund 10 Jahren das grandiose Scheitern des arabischen Frühlings erlebt, die Ergebnisse reichen von failed states wie Lybien (keine bzw. zwei konkurrierende Regierungen) bis hin zu Militärdiktaturen wie in Ägypten. Oder einem jahrelangen Bürgerkrieg wie in Syrien.
Nein, Demokratie ist nicht das Universalrezept. Und es ist vermessen vom sogenannten “Westen”, zu versuchen, sein Gesellschaftsmodell zu exportieren und dann würde alles gut. Und die, die das nicht verstünden und zu schätzen wüssten, wären “Ziegenhirten”.
Es gibt auf der Welt unterschiedlichste Regierungs- bzw. Herrschaftsformen. Viele Demokratien haben nach makroökonomischen Gesichtspunkten bessere Ergebnisse (BIP/Kopf, Lebenserwartung, Analphabetenrate, Kindersterblichkeit, …), das heißt aber nicht, dass das demokratische Modell in andere Länder “exportiert” werden soll bzw. kann, dass die Menschen in diesen Ländern nur darauf warten würden und dass das alles besser würde.
In Afghanistan wollte die überwiegende Bevölkerung dieses Modell nicht. Gewollt hat das die Stadtbevölkerung von Kabul, nicht die ländliche Bevölkerungsmehrheit. Sie haben die westlichen Militärs und zivile Helfer nicht als Demokratie-Entwicklungshelfer gesehen, sondern als Besatzer, die sie los werden wollten.
Was am Ende relativ schnell geschehen ist.
Sinnvoll ist allerdings die Conclusio: Black Box. Der “Westen” braucht sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen, nicht versuchen, mit den Menschenrechten zu missionieren.
Es genügt, den Staat an der Schnittstelle zu messen, und über diese Schnittstelle mag mehr oder weniger drübergehen. Und Sanktionen von außen (zB Kürzung von Entwicklungshilfegeldern, Visa-Erteilungen, Mitgliedschaften in internationalen Organisationen), wenn über die Schnittstelle zu viel unerwünschtes kommt (Drogen, Terroristen, Sozial-Migranten, …).
Gut analysiert,Fr.Holzinger……ob es allerdings Afghanistan mit dieser zweifelhaften Führung längerfristig zurück auf die Bühne der Staatengemeinschaft schafft,wage ich zu bezweifeln! …. außer der Westen findet Interesse an der Ausbeutung von Bodenschätzen……da ist jegliches Demokratieverständnis uninteressant. m. M
Wieder einmal wird meine Vermutung bestätigt, ein wenig mehr Daniela Holzinger- Vogtenhuber in der österreichischen Sozialdemokratie , und nicht nur diese, insgesamt würde es in Österreich besser aussehen, mit den erschreckenden Grabenkämpfe würde es eine Ende haben, Vernunft würde einkehren. Im Artikel wird die einzig vernünftige Vorgangsweise angesprochen, Gespräche aufnehmen und über Geldzahlungen es schaffen, dass notwendige Investitionen wie Schulen, Straßen und mehr getätigt werden und dass einigermaßen akzeptable Lebensformen möglich sind wie im Irak, was schwer genug ist, man muss einen Ausgleich zwischen mittelalterliche Strukturen in den Dörfern und der kleinen modernen Schicht in den Städten finden,aber wie heißt es so schön : Money makes the world go around “
Sehr gute Analyse Frau Holzinger! Das Wichtigste wäre, dass die Taliban die Grenzen auf lange Zeit abriegeln! Damit keine vollbärtigen “Minderjährigen” zu uns “flüchten” und unsere Frauen und Mädchen weiterhin belästigen, vergewaltigen und gar umbringen können. Die Herrschaften Rendi-Wagner, Ludwig, Willi und Komplizen können ja direkt persönlich bei den Taliban die Ziegenhirten adoptieren und abholen. Aber bitte nicht um unser Steuergeld!
Wahre Worte !!!
Yes, Ma´am.