Um Friedensgespräche einzuleiten, müsste der UNO-Sicherheitsrat einen Tag für einen sofortigen Waffenstillstand festlegen, eine UNO-Friedenstruppe müsste auf ukrainischem Territorium stationiert werden. Das fordern für Prominente aus Deutschland in einem in der Schweizer Zeitung „Zeitgeschehen im Fokus“ erschienenen Beitrag. Gleichzeitig warnen sie: Der Ukraine-Krieg dürfte „nicht zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts werden“ – so wie es der Erste Weltkrieg für das 20. Jahrhundert war. Sie unterstreichen mit Nachdruck die „Legitimität der bewaffneten Selbstverteidigung der Ukraine“, sparen aber nicht nicht mit scharfer Kritik an Europa und an den USA, und liefern Anhaltspunkte für Russlands Gesprächsbereitschaft.

Horst Teltschik, Ex-Berater von Helmut Kohl und langjähriger Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, hat den Vorschlag unterzeichnet. Im BIld: Auf der Konferenz „Toward a Europe Whole and Free“ beim Atlantic Council am 29. April 2014 in Washington.APA/AFP/MANDEL NGAN

Unterbreitet wurde der Vorschlag zum Verhandlungsfrieden von Bundeswehr-General a. D. Harald Kujat (81), der in der Vergangenheit Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) beraten hat, und vom Wirtschaftsmanager und Honorarprofessor Horst Teltschik (83), der von 1999 bis 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz leitete und zuvor enger Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) war. Ebenso hat der emeritierte Historiker Peter Brandt (74), Sohn von Bundeskanzler Willy Brandt, den Vorschlag ausgefertigte, sowie der ebenfalls emeritierte Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher Hajo Funke (78).

Hajo Funke bei einer Gedenkveranstaltung für Rudi Dutschke am 11. April 2018: Der Forschungsschwerpunkt des Politologen liegt Sein Schwerpunkt liegt auf Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Waffenlieferungen könnten nicht die personellen Verluste der Ukraine ausgleichen

Die „von Laien geforderte Lieferung von ‚Wunderwaffen‘“ könne keineswegs „der erhoffte ‚Gamechanger‘“ sein, unterstreichen die Autoren. Vielmehr drohe nun eine weiteres Eskalation mit gefährlichen Konsequenzen für Europa: „Scheitert die Offensive, so ist damit zu rechnen, dass die Ukraine fordern wird, westliche Soldaten sollen westlichen Waffen folgen. Denn auch die geplanten westlichen Waffenlieferungen können die enormen personellen Verluste der ukrainischen Streitkräfte nicht ausgleichen.“

Umgekehrt habe „Russland bisher noch nicht die Masse seiner aktiven Kampftruppen eingesetzt. Man kann daher davon ausgehen, dass Russland nach weiteren ukrainischen Verlusten in Gegenangriffen dazu übergehen wird, die annektierten Gebiete zu sichern und damit das Ziel der ‚militärischen Spezialoperation‘ zu erreichen.“

19. April 2005: General Harald Kujat (l.), damals Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, bei einem Treffen mit Polens Generalstabschef General Czeslaw Piatas (r.)APA/AFP/WOJTEK RADWANSKI

Kritik: Bemühungen um diplomatische Lösungen wurden hintangestellt

Die legitime Selbstverteidigung der Ukraine entbinde „die Regierung in Kiew und die sie unterstützenden Staaten allerdings nicht von der Verpflichtung … Vernunft walten zu lassen, sich der Steigerung von Gewalt und Zerstörung nicht hinzugeben“. Gerade während des Krieges dürfe „das stete Bemühen um eine diplomatische Lösung nicht nachlassen“.

Dies sei aber nicht geschehen. „Der Krieg hätte Anfang April 2022 beendet werden können, hätte der Westen den Abschluss der Istanbuler-Verhandlungen zugelassen.“ Dabei seien Waffenstillstand und Friedensverhandlungenim Interesse der Ukraine und „gleichermaßen im Interesse der europäischen Staaten, die die Ukraine vorbehaltlos, aber ohne eine erkennbare Strategie unterstützen. Denn aufgrund der zunehmenden Abnutzung der ukrainischen Streitkräfte wächst das Risiko, dass der Krieg in der Ukraine zu einem europäischen Krieg um die Ukraine eskaliert.“

Putin und russische Medien befürworten Verhandlungen

Wladimir Putin habe sich umgekehrt „mehrfach positiv“ zu Verhandlungen geäußert, etwa anlässlich der Erklärung zur Teilmobilmachung vom 21.  September 2022: „Nach dem Beginn der militärischen Sonderoperation, insbesondere nach den Gesprächen in Istanbul, äußerten sich die Kiewer Vertreter recht positiv zu unseren Vorschlägen.“ Doch der Westen habe Kiew befohlen, alle Vereinbarungen wieder zunichte zu machen. Ebenso habe sich Russlands Staatschef offen „für einen konstruktiven Dialog“ gegenüber der afrikanischen Friedensdelegation gezeigt.

Darüber hinaus würden russische Medien – wohl „mit Billigung des Kremls“ – von Verhandlungen sprechen. Sie hätten die afrikanische Friedensinitiative „breit aufgegriffen und wohlwollend kommentiert“. Die Chefredakteurin der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Margarita Simonjan veröffentlichte einen Kommentar, in dem sie einen Waffenstillstand befürwortete und eine entmilitarisierte, von UNO-Friedenstruppen gesicherte Zone. In Referenden sollten die Ukrainer selbst entscheiden, zu welchem Land sie gehören werden.

Peter Brandt war Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Fernuniversität in Hagen.Konferenz Epochenbruch

Eine ausführliche Roadmap zum Frieden

Damit ein Frieden erreicht wird, müssten zunächst beide Seiten ihre Vorbedingungen für Verhandlungen zurückziehen, also auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der Verhandlungen per Dekret sogar verboten hat. Washington müsste ihn zu Gesprächen mit Moskau drängen.

Dann müsste mit Hilfe des UNO-Sicherheitsrats ein umfassender Waffenstillstand angepeilt werden für eine festgelegten Tag, an dem alle Kampfhandlungen eingestellt werden. Ab diesem Zeitpunkt werden weder Waffen und Munition an die Ukraine geliefert, noch von Russland an die Streitkräfte in den besetzten Gebieten und der Krim. Alle irregulären ausländischen Kräfte werden abgezogen.

UNO-Sicherheitsrat soll Deadline für Waffenstillstand festsetzen.APA/AFP/ANGELA WEISS
UNO-Friedenstruppe soll in ukrainischen Territorien stationiert werden.APA/AFP/Pascal PAVANI

Verhandlungen für einen dauerhaften Frieden beginnen. Elemente der Verhandlungslösung müssten die Verpflichtung beider Parteien enthalten, „auf die Androhung und Anwendung von Gewalt zu verzichten“, „keine kriegsvorbereiteten Maßnahmen gegenüber dem Vertragspartner vorzunehmen“, und „die Stationierung einer UNO-Friedenstruppe auf ukrainischem Territorium zu akzeptieren. Russland müsste seine Streitkräfte auf den Stand vom 23. Februar 2022 zurückziehen, die Ukraine müsste auf einen NATO-Beitritt und die Stationierung von Nuklearwaffen auf ihrem Territorium verzichten.

Sollte über den künftigen Status der Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson keine Einigung erzielt werden, müssten dort Referenden stattfinden, an denen alle ukrainischen Staatsbürger, „die am 31.12.2021 ihren ständigen Wohnsitz in diesen Regionen hatten“, teilnehmen dürfen. Überdies brauche es eine Geberkonferenz für den Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur, und die Unterstützung der EU-Staaten zur Durchführung rechtsstaatlicher Reformen in der Ukraine. Langfristig müsste eine Sicherheits- und Friedensordnungen angestrebt werden, „die Sicherheit und Freiheit der Ukraine gewährleistet. Die geostrategische Lage der Ukraine dürfe „keine Schlüsselrolle mehr für die geopolitische Rivalität der Vereinigten Staaten und Russlands“ spielen.