Alle Augen sind derzeit auf Montevideo gerichtet. Im fernen Uruguay findet ein Mercosur-Gipfeltreffen statt, bei dem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das seit 25 Jahren im Raum stehende Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den südamerikanischen Mercosur-Ländern nun zum Abschluss gebracht hat – trotz dem Nein unter anderem von Frankreich, Polen, Italien und Österreich. Vor Inkrafttreten des Abkommens  müssen alle EU-Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union erst noch ihre ihre Zustimmung geben. Laut APA will von der Leyen mit einem Verfahrenskniff die Vetomöglichkeit aushebeln.

Was ist eigentlich Mercosur? Und worum geht es bei dem Abkommen? Mercosur ist eine lateinamerikanische Wirtschaftsorganisation, die seit 1991 (Vertrag von Asuncion vom 26. März 1991) besteht. Mitgliedsstaaten sind Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay und Bolivien, das allerdings noch nicht ratifiziert ist. Venezuela trat 2006 bei, ist jedoch seit Dezember 2016 dauerhaft suspendiert.

Das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Mitgliedstaaten und der EU würde zu einer der größten Freihandelszone weltweit mit über 700 Millionen Menschen führen. So würden für 91 Prozent der gehandelten Waren die Zölle entfallen, was laut EU-Kommission jährliche Einsparungen von rund vier Milliarden Euro ermöglichen könnte. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht in dem Abkommen eine Chance, mit dem neuen südamerikanischen Markt die Exportwirtschaft zu stärken. Doch natürlich fließt der Warenverkehr in beide Richtungen.

Landwirtschaft warnt vor Billigimporten

Hier wehrt sich nun die europäische Landwirtschaft, da Argentinien und Brasilien einen enorm großen Agrarsektor haben und bekanntlich zu den wichtige Rindfleisch-Exporteuren zählen. Vor allem Frankreich befürchtet eine Überschwemmung des europäischen Marktes mit Billig-Rindfleisch aus Südamerika. Auch die italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni fordert einen angemessenen Schutz des italienischen Agrarsektors vor einer möglichen Unterzeichnung.

Wie steht Österreich zum Mercosur-Abkommen? Österreich ist durch einen Beschluss im Nationalrat vom 18. September 2019 zu einem Nein verpflichtet. Der nicht vorhandene Umweltschutz wie die Abholzung des Regenwaldes sowie die Befürchtung einer Marktverzerrung für landwirtschaftliche Produkte sind die österreichischen Argumente gegen das Freihandelsabkommen, auch wenn einige Parteien wie die NEOS sich für ein solches aussprechen. Erst im Mai kam es im Nationalrat zu einer unschönen Szene, als der NEOS-Abgeordnete Gerald Loacker den österreichischen Bauernbund „kleinhäuslerisches Denken” vorwarf und vom „depperten Rindsfilet” sprach, was NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger recht lustig fand und dazu lachte.

Bereits 2019 fand vor der brasilianischen Botschaft in Wien die Protestkundgebung ‚Stoppt Brandrodungen für Billigfleisch!' statt.APA/APA/HERBERT PFARRHOFER

Trotz der Befürwortung der NEOS, die bald in der Regierung sitzen werden, hält das Wirtschaftsministerium am Nein fest. „Erst wenn nach der politischen Einigung mit den Mercosur-Staaten ein Vertragstext vorgelegt wurde, kann eine handelspolitische Beurteilung des Abkommensinhalts und aller damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen vorgenommen werden”, teilte das Ministerium am Donnerstagabend der APA mit.

Klare Ablehnung vom Bauernbund

Ganz klar gegen das Freihandelsabkommen mit den mächtigen südamerikanischen Agrarländern ist nach wie vor der Bauernbund. „Freihandelsabkommen sind wichtig für Österreichs Wirtschaft, aber nicht um jeden Preis. Das Mercosur-Abkommen würde die heimische Landwirtschaft und in weiterer Folge auch die europäische Versorgungssicherheit unter Druck bringen. Unsere bäuerlichen Betriebe dürfen nicht unter ungleichem Wettbewerb leiden“, erklärt Bauernbund-Präsident Georg Strasser. „Es ist inakzeptabel, dass die Europäische Kommission das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern abschließen will, obwohl es deutlichen Widerstand mehrerer EU Mitgliedstaaten gibt.“

Der Niederösterreichische Bauernbund zeigt sich sogar „kampfbereit”. „Dieses Abkommen stellt eine massive Gefahr für die heimische Landwirtschaft dar. Wir brauchen faire Standards für alle – auch bei Importen. Es gefährdet die Versorgungssicherheit und die bäuerliche Existenz als Gesamtes. Kleinstrukturierte bäuerliche Familienbetriebe sollen für die südamerikanische Agrarindustrie unter die Räder kommen, sicher nicht mit uns!”, so der NÖ-Landwirtschaftskammerpräsident und Bauernbund-Abgeordnete im Nationalrat Johannes Schmuckenschlager und weist darauf hin, dass mit dem Abkommen die EU mit Billigimporten bei Zucker und Rindfleisch überschwemmt werden könnte.

„Wir können es nicht akzeptieren, dass heimische Betriebe unter einem unfairen Wettbewerb leiden, während die Industrie in Mercosur-Staaten die Umwelt zusätzlich belastet und den Regenwald brandrodet“, stellt Schmuckenschlager klar. „Wir werden weiter kämpfen gegen dieses schädliche Abkommen, das die Umwelt schädigt und die Selbstversorgung zerstört.“

NÖ-Landwirtschaftskammer-Präsident Johannes Schmuckenschlager kämpft energisch gegen das Freihandelsabkommen.APA/NÖ Bauernbund

Obwohl sich einige EU-Länder gegen eine Unterzeichnung aussprechen, hat Von der Leyen mit einer Verfahrensänderung das Abkommen zu einem Abschluss gebracht. Das Abkommen besteht nämlich aus zwei Teilen: Einem für politische Fragen wie Menschenrechte und einem für Handelsvereinbarungen, in dem die Zölle geregelt sind. Diese beiden Teile wurden nun offenbar getrennt verhandelt und die Mercosur-Gegner somit überstimmt.

Heftige Kritik regt sich nicht nur vom Bauernbund, sondern auch aus SPÖ und FPÖ. Laut SPÖ-EU-Abgeordneten Günther Sidl gehe es nur noch darum, Mercosur ohne Rücksicht auf Verluste durchzupeitschen. „Die EU muss endlich die qualitätsvolle und regionale Lebensmittelproduktion in den Vordergrund stellen und nicht zusätzlichen Preisdruck durch Massenimporte erzeugen”, so Sidl.

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl warnt vor dem Abkommen: „Während unsere Bauern strengen Auflagen unterliegen, gelten in Südamerika viel geringere Umwelt- und Qualitätsstandards, wodurch unsere heimischen Landwirte einem vollkommen ungleichen Wettbewerb ausgeliefert werden.”

Ebenfalls ablehnend stehen Greenpeace, Arbeiterkammer und Gewerkschaft dem Abkommen gegenüber, während die Industriellenvereinigung von einer „Chance für die heimische Wirtschaft” spricht und sich für einen schnellen Abschluss ausspricht.

 

Dieser Artikel wurde aktualisiert.