
Ein Auge verloren: Erstes Bild von Salman Rushdie nach islamistischer Messerattacke
Der Schriftsteller Salman Rushdie (75) wurde im Vorjahr von dem islamistischen Attentäter Hadi Matar (24) mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Er ist seither auf einem Auge blind. Die Messerattacke hat Rushdie bis heute nicht überwunden – jetzt veröffentlichte er ein erstes Foto.

Ein knappes halbes Jahr nach dem Attentat auf ihn leidet Salman Rushdie noch immer körperlich und mental. “Ich fand es sehr, sehr schwierig zu schreiben. Ich setze mich hin, um zu schreiben, und nichts passiert. Ich schreibe, aber es ist eine Kombination aus Leere und Schrott, Sachen, die ich schreibe und die ich am nächsten Tag wieder lösche. Ich bin noch nicht aus diesem Wald heraus”, sagte der britisch-indische Autor dem Magazin “New Yorker” in einem am Montag veröffentlichten Interview.
Rushdie (75) war am 12. August des Vorjahres bei einer Literaturveranstaltung im US-Bundesstaat New York von dem islamistischen Attentäter Hadi Matar (24) angegriffen und schwer verletzt worden – er ist seitdem auf einem Auge blind. Rushdie wird seit Jahrzehnten von religiösen Fanatikern verfolgt. Wegen des Romans “Die satanischen Verse” hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Jahr 1989 dazu aufgerufen, den Schriftsteller zu töten.

Salman Rushdie: "Ich versuche, vorwärts zu blicken und nicht rückwärts."
Den Verantwortlichen des öffentlichen Events, bei dem er mit dem Messer attackiert wurde, macht Rushdie keine Vorwürfe. Nach dem Attentat war Kritik laut geworden, weil es bei der Veranstaltung keine Metalldetektoren gab, durch die man auf die Waffe des Angreifers aufmerksam hätte werden können. Stattdessen hatte man Kontrollen darauf beschränkt, das Publikum nach mitgebrachten Getränken zu durchsuchen.
“Ich habe die letzten Jahre immer wieder versucht, Anschuldigungen und Verbitterung zu vermeiden”, sagt Rushdie. “Ich versuche, vorwärts zu blicken und nicht rückwärts. Was morgen passiert, ist wichtiger als was gestern war.”
Trotzdem falle ihm das Schlafen nicht immer leicht: “Es gab Albträume – nicht genau der Vorfall, aber einfach beängstigend.” Ihm gehe es ansonsten aber gut, so Rushdie. Er könne aufstehen und herumlaufen. Das Tippen falle ihm schwer, weil er das Gefühl in einigen Fingern verloren habe. Es sei ein “kolossaler Angriff” gewesen. Rushdies neues Buch “Victory City” soll am Dienstag auf Englisch erscheinen. Die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung ist für den April geplant.

In his first interview since a near-fatal assassination attempt, Salman Rushdie talks with David Remnick about the attack and its aftermath, his new novel, and the power of storytelling. https://t.co/04KulJABVY
— The New Yorker (@NewYorker) February 6, 2023
14. Februar 1989 – Mordaufruf (Fatwa) Khomeinis gegen Salman Rushdie
Am Valentinstag 1989 verbreitet Radio Teheran keine Liebesgrüße. Ayatollah Khomeini hat eine andere Botschaft: “Ich setze das stolze Volk der Muslime in aller Welt davon in Kenntnis, dass der Autor des Buches ‘Die satanischen Verse’ – das sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet – und alle an seiner Publikation Beteiligten zum Tode verurteilt sind.”
Das politische und religiöse Oberhaupt des Iran eröffnet damit eine Jagd: “Ich fordere alle Muslime auf, sie hinzurichten, wo immer sie sich auch befinden.”
Noch am selben Tag bezieht Scotland Yard in London Stellung vor dem Haus von Salman Rushdie. Er ist der Autor der “satanischen Verse” und hat durch einen Anruf der BBC vom Mordaufruf erfahren. Der Schriftsteller mit indisch-pakistanischen Wurzeln verbarrikadiert sich sofort: “Ich rannte die Treppe runter, verriegelte die Vordertür und schloss die Fensterläden.”
Zehn Jahre verbringt Rushdie anschließend im Verborgenen. In den ersten Monaten wechselt er 75 Mal sein Versteck. Seine Leibwächter bringen ihn unter anderem auf entlegene Bauernhöfe in Schottland und Wales.
Vorwurf: Gotteslästerung
Anlass der sogenannten Fatwa – ein von islamischen Gelehrten erstelltes Rechtsgutachten – ist eine umstrittene Episode, die Rushdie in seinem Roman thematisiert.
In der Entstehungszeit des Islam soll demnach der Teufel dem Propheten Mohammed bei der Abfassung des Koran falsche, die sogenannten satanischen Verse eingeflüstert haben. Orthodoxe Muslime bestreiten das und bezichtigen den Autor deshalb der Gotteslästerung und Beleidigung des Propheten.
Attentate auf Übersetzer
Rushdies “Die satanische Verse” werden nach ihrem Erscheinen 1988 zunächst in seinem Geburtsland Indien verboten. Innerhalb weniger Wochen setzen zehn weitere Länder den Roman auf den Index. Dann folgt Khomeinis Aufruf, der auch nach seinem Tod im Juni 1989 weiter gilt – mit tödlichen Folgen.
1991 wird der japanische Übersetzer der “satanischen Verse” ermordet, der italienische bei einem Attentat schwer verletzt. Rushdie schreibt dennoch weiter und tritt öffentlich auf – allerdings selten und unter großen Sicherheitsvorkehrungen.
Kommentare
Ich habe dieses Buch als Siebzehnjähriger gelesen – dann verliehen und leider nicht wieder bekommen 🤨
Ich muss das definitiv mit allem erworbenen Wissen nochmals lesen, aber ich habe es als gute und teils sehr schräge Geschichte in Erinnerung.
Rushdie wird zwar Eco niemals übertrumpfen, aber er spielt auf eine gewisse Art und Weise das gleiche Blatt. Intellektuelle und mehrdeutige Schriften bzw. “Verse”.
Der Täter war ein wahrscheinlich traumatisiert oder wir haben als Gesellschaft versagt!
Da hat die “Religion des Friedens” wieder einmal zugeschlagen…
Wer als kulturell neutral erzogener und nicht fanatisch religiöser Mensch Salman’s Buch gelesen hat (Die Satanische Verse), wird feststellen, dass das Schriftstück keinerlei Anfeindung irgendeiner Religion beinhaltet. Voraussetzung ist freilich, dass man selbst ein wenig Kenntnisse besitzt oder nebenbei objektiv recherchiert. Für mich war das Buch keineswegs einfach zu lesen. Die Neutralität der Schriftstellerei ist extrem schwierig. Alles andere ist reine Auslegungssache. – Bewundernswert solch ein Produkt zu erzeugen und nochmals bewundernswerter, dass Salman den Angriff einigermaßen überstanden hat. Weiterhin alles Gute und viel (Seelen-)Kraft.
Der eigentliche Grund für die Fatwa wird wohl eher die Figur des exilierten Khomeini sein, der in diesem Buch sehr böse wegkommt.
Als verbitterter Mann der sogar nichts mit seinem Exil zu tun haben will und sogar das Trinkwasser aus seiner Heimat einfliegen läßt.
Iranische Fatwas sind sowieso eine Sonderlösung, die kommen dort auch aus der geistlichen Führung können wie Gerichtsurteile angesehen werden.
Das war als weniger eine religiöse Sache, mehr ein Gerichtsurteil wegen der Schmähung der geistlichen Führung in diesem Buch.