Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung über Hubert Aiwanger wirft schwerwiegende Fragen auf – nicht nur über Bayerns Vize-Ministerpräsident, sondern auch über die Berichterstattung der Tageszeitung. Vor Veröffentlichung hat die SZ, die sich bereits bei der Ibiza-Causa hervorgetan hat, nicht ein einziges Mal mit Aiwanger gesprochen. Sie begnügte sich mit einer kurzen Stellungnahme des Pressesprechers der Freien Wähler, deren Chef Hubert Aiwanger ist. Das ist nicht das einzige, was am Bericht sauer aufstößt, vor allem angesichts der Schwere des Vorwurfs.

Gewaltiges Rauschen im Blätterwald kurz vor den Wahlen

Der Artikel von Freitagabend hatte für ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald gesorgt – für Aiwanger zur Unzeit: In eineinhalb Monaten wird in Bayern gewählt. Ausgerechnet jetzt wurde dem bayerischen Vize-Ministerpräsidenten vorgeworfen, als Schüler ein antisemitisches Pamphlet verfasst und verteilt zu haben.

Der Chef der Freien Wähler reagierte auf den Medienwirbel: „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend.“ Der tatsächliche Verfasser sei ihm allerdings bekannt – und er meldete sich wenig später zu Wort. Das war Aiwangers Bruder: „Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes“, sagte er. „Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig.“

Ausschließlich anonyme Quellen

Von Anfang an skeptisch war die „Neue Zürcher Zeitung“: „Hat der Chef der Freien Wähler als 17-Jähriger ein Flugblatt verfasst, das sich über den Holocaust lustig macht? Das behauptet die SZ. Falls die Geschichte stimmt, wäre es wohl das Ende seiner Karriere. Falls nicht, hätte die Zeitung ein Problem.“

Die SZ berief sich ausschließlich auf anonyme Quellen. Niemand – ehemalige Schüler und Lehrer – wollte namentlich aussagen, angeblich wegen möglicher „dienstrechtlicher und gesellschaftlicher Konsequenzen“. Auch das stimmt skeptisch.

Ausgerechnet jetzt, nach 35 Jahren, taucht das Flugblatt auf

Was die NZZ an dieser Form der Berichterstattung ebenfalls kritisiert: „Warum taucht dieses Papier ausgerechnet jetzt auf: dreieinhalb Jahrzehnte später, aber nur eineinhalb Monate vor der nächsten Landtagswahl im Freistaat? Hubert Aiwanger und seine Freien Wähler standen zuletzt in den Meinungsumfragen sehr gut da und konnten hoffen, ihr starkes Ergebnis von 2018 (11,6 Prozent) noch einmal zu übertreffen – zum Verdruss des Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Markus Söder, der abermals befürchten muss, unter 40 Prozent zu bleiben. Das heißt: bis zu diesem Freitagabend.“

Und noch etwas kritisiert die Schweizer Tageszeitung: „Der Bericht der ‚SZ‘ insinuiert an mehreren Stellen, dass das angebliche Flugblatt irgendwie ins Bild von Aiwanger passen würde. Dass sich dieser ‚weit am rechten Rand‘ bewege ‚und gelegentlich darüber hinaustritt‘, werde ihm ja immer wieder vorgeworfen, heißt es im Text.“

Missbrauch des Antisemitismus-Vorwurfs?

Der Antisemitismus-Vorwurf ist ein besonders schwerer. Gerade deshalb sollten diejenigen, die ihn erheben, sorgfältig sein. Verheerend ist vor allem eins: Wenn er zum Werkzeug wird, um politisch missliebige Personen zu diskreditieren. Wer Antisemitismus-Anschuldigungen für fragwürdige Kampagnen instrumentalisiert, beweist damit vor allem eins: Dass es ihm jedes Mittel Recht ist, um politische Gegner in den Schmutz zu ziehen, und gerade nicht, dass ihm der unerlässliche und enorm wichtige Kampf gegen den Antisemitismus besonders wichtig sei. Eher das Gegenteil.