Österreichs Kalte Progression ist Geschichte. In Summe bleiben damit heuer satte 3,65 Milliarden Euro bei den Österreichern, wie seit August bekannt ist. Ohne Abschaffung der Kalten Progression hätte der Staat diesen Betrag immer – still und heimlich – eingesteckt. „Dass man diese schleichende Steuererhöhung abgeschafft hat, war ein historisches Ereignis”, unterstrich Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Alle Tarifgrenzen mit Ausnahme des Spitzensteuersatzes steigen damit entsprechend der Inflationsrate mit einem Richtwert von 9,9 Prozent.

Zwei Drittel davon bleiben automatisch bei den Bürgern, weil sie sich dank Inflationsanpassung in einer niedrigeren Steuerklasse befinden. Nun wird auch das letzte Drittel aus der Abschaffung der Kalten Progression im Umfang von 1,2 Milliarden Euro an die Steuerzahler zurückgegeben. Entstanden ist dabei ein Leistungs- und Familienpaket, das aus mehreren Maßnahmen besteht.

Nehammer: „Leistung muss sich lohnen“

Vor allem die niedrigen und mittleren Einkommen werden entlastet, darüber hinaus Familien, wie die Regierung am Freitag ankündigte. Überdies wurden mit der Ausweitung der steuerlichen Begünstigung von Überstunden steuerliche Anreize für Mehrarbeit gesetzt.

Nehammer unterstreicht vor allem den Leistungsgedanken.APA/EVA MANHART

Beide Koalitionspartner lobten die angekündigte Entlastung bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt am Freitag als „ausgewogenes Paket“, mit dem Erwerbstätige und Familien steuerlich entlastet würden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) unterstrich besonders den Leistungsaspekt durch die Entlastung der Erwerbstätigen: „Leistung muss sich lohnen“. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sprach dagegen von einem „sozialen Drittel“ der abgeschafften Kalten Progression, weil durch die Entlastung von Familien und Personen mit niedrigen Einkommen der soziale Zusammenhalt gestärkt werde.

Rauch betont den sozialen Aspekt.APA/EVA MANHART

Mix aus Entlastung und Anreizen zu mehr Leistung

Konkret werden mit rund 800 Millionen der knapp 1,2 Milliarden Euro zu retournierende Steuergelder die ersten vier Steuerstufen entlastet. Zusätzlich werden die Absetzbeträge, bei denen die Kalte Progression bisher nur zu zwei Dritteln an die Inflationsrate angepasst wurden, zur Gänze adaptiert. Um die Leistung von Überstunden zu belohnen, soll der monatliche Freibetrag dauerhaft von 86 Euro auf 120 Euro angehoben werden. Zeitlich befristet wird in den kommenden zwei Jahren außerdem der monatliche Freibetrag für 18 Überstunden auf 200 Euro im Monat erhöht.

Mit den Maßnahmen will die Regierung nach eigenen Angaben den Arbeitskräftemangel bekämpfen und positive Leistungsanreize schaffen. Die Entlastung der Familien soll der Kinderarmut entgegenwirken. Dazu wird der Kindermehrbetrag von 550 Euro auf 700 Euro angehoben.

Kinderarmut und Arbeitskräftemangel sollen unter anderem bekämpft werden, sagt die Regierung.APA/EVA MANHART

Stahlarbeiter: Entlastung von mehr als 1000 Euro

Ein Angestellter in einer Stahlfabrik im Schichtbetrieb, der pro Monat zusätzlich 20 Überstunden arbeitet, unein monatliches Bruttogehalt von 3666,15 Euro erhält (ohne Überstunden und SEG-Zulagen), wird um insgesamt 1208 Euro entlastet. Das rechnet Daniel Kosak, stellvertretender Kabinettschef von Bundeskanzler Karl Nehammer, auf X (Twitter) vor.

Eine alleinerziehende Angestellte mit zwei Kindern unter 18, die ein monatliches Bruttogehalt von 1650 Euro bekommt, darf sich wiederum um eine Gesamtentlastung von 706 Euro freuen. Ein Pensionist mit einer durchschnittlichen Bruttopension von monatlich 1825,70 Euro wird um 664 Euro entlastet.

Von einem historischen Ereignis für Österreich spricht Brunner.APA/EVA MANHART

Lob kommt von der Wirtschaft

Lob über die Verwendung des letzten Drittels der Kalten Progression kommt unter anderem von der Wirtschaftskammer. „Damit ist eine Entlastung auf breiter Basis sichergestellt. Gleichzeitig wird das offene Volumen für zielgerichtete Maßnahmen wie das Setzen von Leistungsanreizen verwendet“, betonen Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich und WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf. „Bürgern, aber auch einkommensteuerpflichtigen Unternehmern wird dadurch mehr netto in der Tasche bleiben. Das sorgt einerseits bei Betrieben für mehr Planbarkeit und stützt andererseits die Kaufkraft.“

Ein Leistungspaket für den Wirtschaftsstandort sieht man beim Wirtschaftsbund. „Die stufenweise Abschaffung der Kalten Progression hat wesentlich dazu beigetragen in herausfordernden Zeiten der Teuerung die Kaufkraft zu erhalten. Mit der Abgeltung des verbleibenden Drittels der Inflationsrate wird den Österreichern spürbar längerfristig mehr netto in der Tasche bleiben”, sagt Wirtschaftsbund-Generalsekretär und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Kurt Egger.

Die Kalte Progression – kurz erklärt

Die kalte Progression ist bisher entstanden, weil die Steuerklassen nicht an die Inflation angepasst wurden. Wird bei einem Österreicher der Lohn an die Inflation angepasst, so steigt sein Gehalt, seine Kaufkraft bleibt aber gleich. Das Problem: Dennoch schlittert er schon bald in eine höhere Steuerstufe und muss mehr Steuern zahlen, obwohl er eigentlich nicht mehr verdient. Seine Kaufkraft stagniert, sein Reallohn bleibt gleich, doch wegen seines höheren Nominallohns, bei dem die Inflation nicht berücksichtigt wird, steigt seine Steuerlast. Jahr für Jahr erhöhte so der Staat – verdeckt und unbemerkt – seine Steuereinnahmen, weil die Bürger bei stagnierender Kaufkraft höhere Steuern zahlen mussten.