Erst kürzlich glückte Indien mit der Sonde „Chandrayaan-3“ eine sanfte Mondlandung – als bisher viertem Land nach der Sowjetunion, den USA und China. Auch der Wirtschaftsmotor des südasiatischen Staates brummt, und zwar kräftig. Optimistisch ist Finanzministerin Nirmala Sitharaman: Indien könnte bereits heuer sein nominales Wirtschaftswachstumsziel von 10,5 Prozent erreichen.

Klimaschutz-Pläne geraten angesichts der ehrgeizigen Wirtschaftsziele in den Hintergrund, darunter auch die zusätzliche zehn-prozentige Steuer auf Dieselfahrzeuge, die Indiens Straßenverkehrsminister Nitin Gadakri noch zu Wochenbeginn vorgeschlagen hatte. Darauf angesprochen meinte Finanzministerin Sitharaman knapp: „Ich schaue auf eine Wirtschaft, die wachsen muss.“ Sprich: Man will das rasante Wirtschaftswachstum nicht durch Klimapolitik eindämmen.

Deutschlands steckt in einer Wirtschaftskrise – und will helfen

Genau gegenteilig verhält sich die Lage in Deutschland: Das Land ist im ersten Halbjahr in eine handfeste Rezession geschlittert. Inflationsbereinigt ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 0,6 Prozent gesunken. Alarmierendes ist vor allem aus der Industrie zu hören. Im Gegensatz zu Indien denkt aber Deutschland nicht daran, seine Klimapolitik aus wirtschaftspolitischen Erwägungen zu korrigieren. Unbeirrt hält es an seinen Zielen in puncto Klimaneutralität fest, die überdies wesentlich ehrgeiziger sind als jene Indiens. Schon bis 2045 will Berlin Netto-Treibhausgasneutralität erreichen. Das hat auch Neu-Delhi vor, allerdings erst bis 2070.

Da mutet es besonders kurios an, dass Deutschland trotz seiner wirtschaftlichen Nöte Indien bis 2030 mindestens zehn Milliarden Euro an Steuergeldern zukommen lässt, um Indiens Energiewende zu beschleunigen. Das haben der indische Premierminister Shri Narendra Modi und Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr im Rahmen einer „Partnerschaft für grüne und nachhaltige Entwicklung“ festgelegt. Auf diesem Weg – so Deutschlands eigentliche Hoffnung– könnte Indien das Klimaneutralitätsziel schon früher erreichen.

Berlin besorgt über Indiens Kohleausbau

Zehn Milliarden Euro an Neuzusagen und weitere zugesagte Mittel hat Deutschland 2022 Indien in der Erklärung ausdrücklich zugesagt. Schon bis 2025 soll mindestens eine Milliarde Euro in den gemeinsamen Aufbau einer Kreislaufwirtschaft für Solartechnologien fließen.

Was Deutschland etwa Sorgen bereitet: Zur Kühlung verbrennt Indien mehr Kohle. Ebenso leidet das Land unter einer enormen Hitzewelle. Zwar hat Berlin erfreut registriert, dass Indien massiv in Erneuerbare Energien investiert, vor allem in Solarkraft. Beunruhigt ist Deutschland aber über Indiens Planungen für neue Kohlekraftwerke, um den steigenden Energiebedarf zu decken.

Deutschlands Stromproduktion wurde besonders klimaschädlich

Bei all der Sorge um den südasiatischen Staat sollte Berlin aber nicht ganz auf sich selbst vergessen. Nicht nur ist Indiens Wirtschaft zurzeit deutlich dynamischer als jene Deutschlands, überdies kann auch Berlin selbst zurzeit nicht auf Kohlekraft verzichten. Im Gegenteil: In Ermangelung von Kernenergie – die letzten drei verbliebenen Kernreaktoren ließ Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im April 2023 abschalten – und russischem Gas wurde die deutsche Stromerzeugung im vergangenen Winter so klimaschädlich wie noch nie. Da nämlich Windkraft und Sonnenenergie nicht einmal annähernd aushalfen, stieg der Anteil an Kohlekraft bei der Stromproduktion in bisher unbekannte Höhen. Fazit: Deutschlands Stromerzeugung wurde noch CO2-intensiver als jene Indiens.